Zurück zu den verlorenen Bauten der deutschen Geschichte, die einst existierten und aufgrund eines fürchterlichen Schicksals, verschwunden, zerstört, entstellt, oder im schlimmsten Fall abgerissen worden sind, werfen wir unter diesen Zeilen einen Blick auf eine der emblematischen Baukonstruktionen aus wilhelminischen Zeiten; das Deutsche Stadion.
Um die Geschichte des Deutschen Stadions verstehen zu können, müssen wir etwa mehr als hundert Jahren in die Vergangenheit reisen. Denn genau vor 1913 hatte Kaiser Wilhelm II das Vorhaben, ein Stadion für die Stadt Berlin in Grunewald bauen zu lassen. Das von Architekt Otto March konzipierte Projekt, das im Jahr 1916 Schauplatz der VI Olympischen Spiele der Neuzeit hätte werden können, wurde grundsätzlich errichtet, weil die Stadt Berlin, 1912, vom Internationalen Olympischen Komitee die Vergabe dafür erhielt. Zugleich nutzte der Kaiser die Gelegenheit um sein silberne Thronjubiläum feiern zu können, denn trotz Unruhen in der Bevölkerung aufgrund der Balkankriege, führte er in Zusammenarbeit mit den anderen westeuropäischen Ländern eine erfolgreiche Außenpolitik, so dass der Konflikt sich nicht ausdehnte. Seine Majestät wollte dem Volk die Bestätigung geben, dass das Reich unter seiner Regierung eine unbeschwerte Zeit erlebe. Um dieses Gefühl zu materialisieren erteilte der Kaiser dem Architekt Otto March den Auftrag, ein Stadion der besonderen Art zu entwerfen und entschied sich zudem, ihn mit der Bauausführung zu beauftragen.
Otto Marchs Projekt enthielt besondere Entwurfselemente, die kein anderes Stadion auf der Welt hatte. Der ellipsenförmige Grundriss hatte wohl die Besonderheit, dass das Verhältnis,geometrisch betrachtet, zwischen Exzentrizität (X-Achse) und Abstand zum Mittelpunkt (Y-Achse) viel größer als der normale Wert war. Dies bedeutet, dass die Ellipse viel breiter in der X-Achse war und gehörte nicht zu den sogenannten Ellipsen schönster Form. Daraus ergab sich, dass das Deutsche Stadion aus der Draufsicht geometrisch etwas atypisch aussah und ähnelte der aus römischen Zeiten Trassierung des Circus Maximus. Die Absicht des Architekten war ganz eindeutig, die exzentrische Form des Stadions sollte dazu dienen, dass auf dem Wettkampfplatz mehrere sportliche Ereignisse stattfinden und dass es 30000 Zuschauer, zwischen Steh – und Sitzplätze, fassen konnte. Die ovale Laufbahn bzw. Aschenbahn hatte eine Extralänge als die vom olympischen Maß und war zum Zeitpunkt die längste auf der Welt. An sie wurde eine Radrennbahn angeschlossen, was die riesige Sportanlage noch attraktiver machte. Die Übergröße des Stadions ermöglichte das Publikum jeder Zuschauerrampe, einen besseren Blick auf ihre zugewandte Rasenfläche haben zu können. Somit war die Haupttribüne mit dem Fußballplatz verbunden, die Osttribüne mit der Schwimm Bahn und die Nord- und Südtribüne, deren verlängerte Halbkreisfläche 4500 m² umfasste, mit Leichtathletik, wie im Sprung-Bereich, Hockey, Reitsport, Cricket, Diskus - und Speerwurf.
Am 8 Juni 1913 war es so weit, die Stadion-Weihe fand statt ohne zu ahnen, dass ein Jahr später das fröhliche und harmonische Leben im Deutschen Reich sich drastisch ändern würde und zwar durch das Attentat auf Franz Ferdinand von Österreich-Este in Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslöste. Aus diesem Tag gibt es historische Bilder, auf denen man die deutsche Sportbegeisterung spüren kann. Zu diesem Ereignis gab es eine Veröffentlichung der Berliner Druckerei Union unter dem Namen „Deutsches Stadion Weihe“, und eine Reihe Sonderbriefmarken, die einige Jahre im Umlauf waren.
Die schnelle Errichtung des Bauwerkes, etwa sieben Monate, verursachte, dass die Weihe ohne ein wichtiges Detail stattfinden sollte und zwar die endgültige Versionen der Skulpturen in Bronze. Die fehlende Überdachung – damals hatten Erdstadien von Entwurf her keine zusätzlichen Strukturen – war ein Vorteil dafür, dass auf dem 1,5 Meter breiten obersten Stufengang der Osttribüne ein Raum bzw. Sockel für Plastiken geplant war.
Die für die Osttribüne plastische Figuren wurden aus kurzlebigem Material von mehreren Künstlern geschaffen. Obwohl es keine vergleichbare Quellen dafür gibt, werden Bildhauer wie Georg Kolbe und August Kraus genannt. Letzterer war ein ehemaliger Meisterschüler von Reinhold Begas, der berühmte Bildhauer der Berliner Siegesallee. Fakt ist, dass an der obersten Gang eine Siegesgöttin flankiert von sechs Athleten, drei rechts und drei links, ein Neptun und zwei Reiter angebracht waren. Die Aufstellung einer Neptun Statue hing mit der Schwimm Bahn zusammen, als Gott des Meeres passte die mythologische Figur im gesamten Konzept, denn das Schwimmbecken schnitt in die Tribüne ein. Durch Witterung und Wetter waren die vorübergehenden Kunstwerke einer extremen Belastung ausgesetzt, sie zerfielen in Teilen und wurden ein paar Jahre später entfernt, während deren Bronze Versionen nicht gegossen wurden.
Der Architekt Otto March starb vor der Weihe, die Olympische Spiele 1916 fanden aufgrund des Ersten Weltkrieges nicht statt und plötzlich stand das Deutsche Reich vor der größten Katastrophen Europas; dem ersten Weltkrieg. In den 1930er Jahren wurde das Stadion am gleichen Ort neu geplant, die Y-Achse der ellipsenförmigen Grundriss drehte sich 15 Grad Richtung Westen und der Mittelpunkt der Ellipse wurde 190 Meter nordöstlich platziert. Der Bau begann bereits 1934, von dem ersten Stadion blieben keine Strukturen erhalten. Während Renovierungsarbeiten jedoch kam im Jahr 2001 die westliche Säulenarkade der Schwimm-Bahn-Tribüne zum Vorschein, deren Ausgrabung wie ein archäologisches Verfahren ablief. Durch die Sprengung des gesamten Komplexes für den Bau des neuen Berliner Olympiastadions befanden sich die Säulenarkade mit Bauschmuck und ein Treppenelement unter der Oberfläche, sie wurden mit Erde und Baumaterialresten vollständig verfüllt. Die insgesamt sieben dorische Säulen sind die stummen Zeugen und unsterbliche Seele des ersten Deutschen Stadions.