Unter dem Begriff Geisterstadt versteht man für gewöhnlich eine aufgegebene, meist verlassene Siedlung oder kleine Stadt. Halb- oder gar ganz verfallene Gebäude und vollkommen verlassene Häuser zeichnen solche Niederlassungen aus. Oft mit dem Genre des amerikanischen Western und Mythen von Erfolg und Verfall verbunden, sind solche Städte meist von einzigartiger Ästhetik und anziehender Stille gezeichnet. Vor allem wenn man es von unseren schnelllebigen, lauten und architektonisch erkundeten Städten betrachtet, die heutzutage wenig Raum für das lassen was einmal war. Oder eben das was vielleicht (gewesen) sein könnte. Denn die Vision unseres Lebensumfeld, aka Stadt oder Metropole, ist ja doch sehr von dem Präsens geprägt und einen Blick darüber hinaus ist vielen nicht mal in der Phantasie möglich.
So gibt es zum Beispiel in New York, wie wahrscheinlich in jeder anderen Stadt, eine Parallelmetropole von nie erstellten Gebäuden, Parks und ikonischen Entwürfen die wie Geister in der Mitte der tatsächlichen Stadt schweifen. Projekte solcher Art sind dem Normalverbraucher leider oft vorenthalten so dass es schwierig ist die eigene Stadt mit anderen Augen zu sehen. Das Queens Museum in New York hat dieses Dilemma gelöst und lädt Besucher dazu ein all die architektonischen und urbanistischen Projekte kennenzulernen, die letztendlich nur auf dem Papier geblieben sind. Futuristische Drucke, Zeichnungen, Modelle, Installationen und Animationen von nie realisierten Projekten können in der Ausstellung ‘Never Built’ (Nie Gebaut) erkundet werden. Während es vielleicht unmöglich ist New York neu zu erdenken, erforscht ‘Never Built’ eine Stadt in der man ein Fußballspiel in Manhattan spielen, über einen schwimmenden Flughafen reisen und in einer Wohnung leben könnte, die auch als Brückenhilfe fungiert.
Was den Besucher am meisten beeindruckt sind die unglaublich realistischen Graphitzeichnungen und atemberaubend futuristischen Modelle aus Zeiten in denen man von digitalen Computeranimationen noch euphorische Träume hatte. In 1956, zum Beispiel, spielte man mit der Idee den Hauptbahnhof Grand Central mit einem zirkulären Bürogebäude zu ersetzen, welches höher als das Empire State Building gewesen wäre. I.M. Pei, der Architekt, entwarf einen sanduhrförmigen Turm mit 102 Etagen und aus sich kreuzenden Stahlträgern der, dem Architectural Record nach, sogar ‘eine Nuklearbombe standgehalten hätte’. Der Entwurf wurde nie realisiert, wird heute aber immer noch als das beste Project Pei’s angesehen.
Bunt wie ein Zirkuszelt war die Vision von Frank Lloyd Wright für Ellis Island in 1959. Mehrere, miteinander verknüpfte Türme und Kuppeln hätten ein sternförmiges Agglomerat aus Gebäuden gebildet, die die Besucher und Neuankömmlinge empfangen hätten, wären sie realisiert worden… Und einst der wohl wildesten Ideen war der Dome Over Manhattan (1960) von R. Buckminster Fuller. Grundlage seines Vorschlags war teil Manhattans mit einer Kuppel zu überdecken um die klimatischen Kondition besser zu regulieren und den Energieverbrauch zu reduzieren. Ein Projekt das die Stadt heute mehr als denn je brauchen könnte.
Highlight der Ausstellung ist ein mindestens 300 Quadratmeter großer, überbrückter Raum mit einer maßstabsgetreuen Nachbildung aller 5 Bezirke von New York. Mittendrin werden alle nie erstellten Gebäude als transparente Lichtskulpturen gezeigt und es wird somit eine alternative Vision der Stadt geboten, die auf eine Reise einlädt die ermutigt über die Gegenwart hinaus zu denken und dessen Grenzen in eine phantasmatische Sphäre zu verschieben. Während sich traditionelle Ausstellungen mit den ruinen der Vergangenheit beschäftigen, werden hier die Geister der Zukunft sichtbar.
‘Never Built’, Ko-kuratiert von Sam Lubell und Greg Goldin, Queens Museum, New York.