Zurückkehrend zu unserem Thema abgerissene Bauwerke (siehe Abgeschaffte Baukunst, Februar 2021) werde ich in diesem Artikel über ein Ereignis, das fast surrealistisch klingt und mich für längere Zeit, bis ich mit der Forschung startete, beschäftigt hatte, berichten. Es handelt sich um die Zerstörung der hannoverschen Garnisonkirche, Bauwerk von Christoph Hehl, die nach dem Krieg aufgrund einer Überplanung der Stadt dem Urteil der Zerstörung nicht ausweichen konnte.
Die Garnisonkirchengemeinde existierte schon im 17. Jahrhundert in Hannover und durch unterschiedliche Kriege und fehlende Standorte gelang zweihundert Jahren später eine Neugründung als Preußische Gemeinde. Im Jahr 1867 befanden sich alle Stationierten und Angehörigen der Preußischen Armee und Zivilbeamte in Erwartung auf die Errichtung einer eigenen Kirche. Zu Anfang durften die Mitglieder der Gemeinde den Gottesdienst in der Schlosskirche im Leineschloss (heute Niedersächsischer Landtag) besuchen. Auch wenn dessen Gesamtanlage nicht aussah wie jetzt, denn das Gebäude hatte mehrere Seitenflügel und Straßen, gab es den dringenden Bedarf eine Kirche für die, wegen der stärkeren preußischen Beeinflussung, wachsende Gemeinde.
Um 1890 wurde am Goetheplatz in der Calenberger Neustadt mit dem Bau angefangen. Allerdings ist das Wichtigste daran der Entwurf von Prof. Christoph Hehl. Der Architekt war mit der Stadt Hannover sehr verbunden und spezialisierte sich auf Kirchen und Sakralbauten. Zu dem Zeitpunkt hatte Prof. Hehl zwar ein Architekturbüro in Hannover, verbrachte aber auch Zeit an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Laut der Deutschen Bauzeitung entwarf Hehl, der katholisch war und dessen Entwürfe – fast alle – heute unter Denkmalschutz gestellt worden sind, die Garnisonkirche in seinem Arbeitszimmer in Charlottenburg. Das Projekt war eine Basilika in neu-romanischem Stil, wie viele andere Entwürfe von Hehl. Die Fassade ähnelt den alten Basiliken in Italien oder Spanien mit zwei viereckigen Türmen, drei Eingängen, gewölbte Seitenschiffe und Chor, und die Frontfassade erhielt eine Rosette. Obwohl der rechte und linke Eingang keinen besonderen Maßen entsprach, waren dafür die Höhe der Türme und die Länge des Gebäudes beeindruckend. Da die für diesen Artikel bearbeitete Recherche ein paar Jahre zurück liegt und ich mehrere Quellen nachgeschlagen hatte, möchte ich vor allem eine Rekonstruktion des Inneren wiedergeben.
Die Garnisonkirche, die für die Gemeinde ein Symbol war, wurde am 07. Juni 1896 eingeweiht. Seitdem fanden dort und in der Dreifaltigkeitskirche die Gottesdienste für Stationierte und Angehörige statt, sodass ein ganzer Stadtteil sich damit identifizierte und die Calenberger Neustadt am Sonntagmorgen eine kleine Militärparade genoss. Viele Jahre später, als die Gemeinde und Nachbarn für die Erhaltung der Kirche kämpften, hatten andere Bürger wahrgenommen, dass sie einem Kunstwerk der Architektur gegenüber standen. Ein Zeichen, dass die Struktur kein einfaches Werk war, bestätigen die abwechselnden Träger, Pfeile und Säulen im Inneren, was an die Basilika Sankt Michael in Hildesheim erinnert. Diese hatten eine künstlerische Ausmalung durch Prof. Fritz Schaper erhalten. Zu dem Zeitpunkt war der berühmte Bildhauer, der an vielen anderen Projekten teilgenommen hatte (z.B. das Relief auf dem Giebel des Reichstags), an der Berliner Kunstakademie tätig. Er hinterließ sein Siegel nicht nur an Säulen, sondern auch mit Bildhauerarbeiten, deren Schicksal unbekannt ist. Zeitzeugen berichten von guten Holzarbeiten an den Türen und Gestühlen. Der Altar hatte einen himmelartigen Überbau (Baldachin), die Kanzel stand am rechten Chorpfeiler und am linken war die Kaiserloge angebracht. All diese Details lassen uns vermuten, dass Skulpturen und Reliefs an beiden Chorpfeilern wahrscheinlich auch von Fritz Schaper stammten. In diesem Sinne entsprechen die Schäden einem unmessbaren Wert, wenn wir überlegen wie viele Werke von Schaper in deutschen Städten noch existieren.
Im Zweiten Weltkrieg war die Basilika durch die Bombardierung vom Oktober 1943 leicht beschädigt, wobei, wie Jahre zuvor, die Einwohner des Bezirks Calenberger Neustadt eine starke Bindung zu dem Gotteshaus verspürten. Im Jahr 1959 entschied die Stadt eine Überplanung des Grundstücks des Friederikenstiftes zwischen Humboldt- und Feuerwehrstraße und verhängte den Abriss der Kirche. Unter welchen Kriterien eine solche Maßnahme getroffen wurde, konnte die Gemeinde überhaupt nicht verstehen und durchquerte den Stadtteil mit beschrifteten Plakaten wie: „Rettet unsere Kirche“. Die Gemeinde, inzwischen Zivilbevölkerung, Calenberger und Hannoversche Bürger, wünschte sich eine Restaurierung der Dächer, denn das Gebäude hatte kaum Schäden. Flieger trafen mit ihrer Munition beide Turmdächer und das rechte Seitenschiff. Sechzehn Jahre Witterung zerstörten bis 1959 die restlichen Dachflächen vollständig. In der Zwischenzeit wurde der, bis zu 1500 Personen fassende, Sakralbau von den Briten beschlagnahmt, blieb verlassen, und wurde Opfer des Zerstörungswahns. Als gäbe es einen schauderhaften Plan gegen alles was preußisch sei – es geschah auch in vielen anderen Städten nach dem Krieg - verlor die Stadt Hannover nicht nur seine zweite Basilika, sondern auch einen Teil des eigenen Gesichts, ein Stück Geschichte, einen Bauentwurf von Prof. Christoph Hehl, Kunstbeiträge vom berühmten Fritz Schaper und weitere Kunstwerke in den Innenräumen.
Die Protestierenden mussten sich mit dem drohenden Verlust abfinden und aus den eigenen Fenstern, zwischen 1959 und 1960 beobachten, wie ihre Kirche gnadenlos abgerissen wurde. Das Landeskirchliche Archiv Hannover stellte im Jahr 2013 unter dem Namen „Ungeliebt und gern zerstört“ Bilder, Gegenstände und ein architektonisches Modell aus. Jedoch gäbe es bis heute noch das Gefühl, als brenne die Glaubensflamme an dieser Ecke des Goetheplatzes noch immer.