Selten gibt es Künstler, die nach längerer Zeit wieder in ihre Heimat zurückkommen und dort, wie eine Art Wiedergeburt, Aufträge bekommen, mit denen sie sich in ihrer Stadt verewigen können. So ist der Fall von Georg Herting, ein relativ unbekannter Bildhauer, der durch seine interessante Bildhauerei in Linden, seinem Heimatort, und in Hannover präsent ist. Längere Zeit hat es gedauert, bis ich erfuhr, dass einige bekannte Skulpturen in der Stadt von seinen Händen geschaffen worden waren.
Die Formen und Volumen seiner Kunstwerke prägen generell eine besondere Kraft. Dies möge seiner Ausbildung und seinen Studien geschuldet sein. Sein Werdegang beinhaltet einige wichtige Stationen wie ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Hannover (heute Leibniz Universität Hannover) und Bildhauer Studium an der Kunstgewerbeschule, beides zeitgleich gemacht. Dort war er Schüler von Karl Gundelach, ein Erfahrener im Metier. In Wirklichkeit scheint die bedeutendste Lernzeit ab 1892 das Bildhauer-Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München zu sein, wo er Schüler von Wilhelm von Rümann war. Rümann war selbst an vielen Projekten – Denkmalen und Grabstätten – beteiligt, aber vor allem gilt er als Mentor und Vorbereiter einer späteren Generation Bildhauer aus der Münchener Hochschule. Als Herting mit seinem zweiten Bildhauer Studium im Jahr 1896 fertig wurde, kam er nach Linden (heute ein hannoverscher Stadtteil) zurück und arbeitete als freischaffender Künstler. Erst sechs Jahre später erhielt er seinen Debütauftrag: der Figurenfriese am niedersächsischen Landesmuseum in Hannover, zusammen mit Karl Gundelach und Georg Küsthardt. Die plastische Zusammenstellung wurde der Ausgangspunkt für eine Reihe weiterer Aufträge, deren Charakter bis jetzt die Landeshauptstadt geprägt haben.
Seine künstlerische Begabung erreicht den Menschen mit einer gewaltigen Wucht. Aus eigener Erfahrung werde ich niemals vergessen, als ich die Brezelmänner – die Wahrzeichen der ehemaligen Bahlsen-Keksfabrik in der Podbielskistraße – zum ersten Mal sah. Sie sind von einer speziellen unsichtbaren Kraft geschaffen worden, dass sogar die goldenen Haare einen gewissen Hauch an Respekt und Heldentum ausstrahlen. Beide Figuren, etwa 1,70 m hoch, tragen eine große Brezel, in deren Mitte ein goldener Keks hängt. Dieses fast unbekannte Kunstwerk, musste im Jahr 2013 einmal um die Welt gehen, denn der goldene Keks (auch von Bildhauer Herting im Jahre 1910 geschaffen) wurde entwendet und die Erpresser sendeten einen Brief an die Firma. Die Nachricht sorgte für Schlagzeilen, aber zu guter Letzt ließen die Bekenner des Diebstahls den zwanzig Kilogramm schweren Messing Keks am Hals des niedersächsischen Pferds, vor der Leibniz Universität Hannover, mit einer roten Schleife hängen.
Im Jahr 1935 schuf der Künstler ein seltsames Werk; das Egestorffdenkmal in seiner Heimatstadt Linden, ganz genau am Lindener Berg. Dort durfte er Johann Egestorff, einen sehr begabten Unternehmer der Region, verewigen. Das Denkmal besteht aus einem Quader. Auf der Frontseite ist auf einem Medaillon Egestorff geehrt, auf der linken Seite ein Blockrelief mit drei Arbeitern in Verbindung mit Eisen-Salz-Kohle und auf der rechten Seite drei weitere als Erze-Technik-Kalk. Bei dem Werk kommt die Kreativität Herting zugute, weil die Arbeiter Blockreliefs auf dem Quader eine besondere Kraft aufweisen. Sie sind in eine weite Tiefe gemeißelt, sodass auf den ersten Blick es so erscheint, als wären es drei vollständige Skulpturen.
Mit Sicherheit ist der „Arbeiter“ (bekannter als der Hammermann in Hannover), meiner Meinung nach, der überaus bedeutendste Auftrag von Herting. Die Statue steht am Eingang des Hanomag-Werkes im Stadtteil Linden, allerdings ist undurchsichtig, wie der Künstler beauftragt wurde. Im Grunde genommen sollte es für die Kunstbewunderer keine Rolle spielen, denn Herting behauptete sich als Bildhauer frei von fremden Tendenzen und wollte nur noch die Haltung der Arbeiterklasse gegenüber Fleiß, Disziplin und Ehrlichkeit einen. Der Hammermann ist die letzte offizielle Arbeit, die vom Künstler im Alter von 68 Jahren geschaffen wurde, und hat für viele Hannoveraner eine besondere Bedeutung. Auch wenn die Statue durch die Vegetation ziemlich versteckt ist, strahlt sie einen seltsamen Charme aufgrund des Materials, nämlich Muschelkalk – Material, das nur in Mitteleuropa zu finden ist – aus.
Auch in Hannovers Innenstadt lässt sich eine in extremis stilistische Erschaffung des Künstlers bewundern. Genau in der Theaterstraße 11 befindet sich ein unter Denkmalschutz gestelltes Gebäude, an dessen Fassade abwechselnd zwischen den Fenstern vier Arbeiterskulpturen angebracht wurden. Sie repräsentieren unterschiedliche Handwerksberufe, wobei Herting auch deren Werkzeuge - Schaufel, Spitzhacke und Zahnrad – darstellte.
Georg Herting starb im Jahre1951 in Hannover, aber hinterließ uns noch weitere Werke wie den Julius-Trip-Brunnen (1910, im Maschpark) und den Hänsel-und-Gretel-Brunnen (1912, an der Listerstraße), deren riesenhaft kräftige Darstellungen auch bei tiefen Temperaturen oder Nebel zum Vorschein kommen. Das Werk, das fast verschollen war, ist der Duve-Brunnen (1914). Er steht nun am Leibnizufer, allerdings wurde er auf dem damaligen Neustädter Markt (vor der St. Johannis Kirche /heutiger Stadtteil Calenberger Neustadt) im Jahr 1916 eingeweiht. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Brunnenfigur (ein Sämann und keine Abbildung von Johann Duve) nach Hamburg transportiert und zum späteren Einschmelzen eingelagert. Dank eines glücklichen Zufalls überlebte die Skulptur und nach dem Krieg wurde sie zurückgebracht und mit den Brunnen wieder zusammengebaut. Mit einigen Abänderungen, wie die Position des Sämanns und eine Verengung der Schale (der Wasserschleier strahlt nicht mehr wie im Original), steht sie wie ein göttliches Geschenk der Kunst zuliebe.