Für die Leser, die leidenschaftlich in die Geschichte einer erfundenen Welt eintauchen, gibt es immer zwei Faktoren, die sie von vorne an fest fangen: die Geschichte an sich oder die Figuren. In diesen Zeilen möchte ich mich mit den Figuren befassen. Nicht immer sind die Hauptpersonen eines Romans die Gesamtbreite der Fantasie, oft sind sie auch die Mischung verschiedener Persönlichkeiten, die der Autor im Laufe der Zeit mit viel Mühe, Beobachtung und kaltblütiger Analyse aus seiner Umgebung gesammelt hat. Sie dienen stets als Teil eines Puzzles der neuen Identität eines künstlerischen Geschöpfes. Genauso wie im realen Leben eines Menschen Wut, Warmherzigkeit, Gier, Mitleid oder Gnadenlosigkeit herrschen kann, so darf man diese Elemente auch steigern, damit der Leser sich direkt mit der genuinen Natur des Charakters konfrontiert. Diese Gegenüberstellung ergibt die Sympathie oder Abneigung zu den Haupt- oder Nebenfiguren einer Beschreibung.
Der Kunstschreiber setzt auch seltsame Geschöpfe in seinen Geschichten ein, deren persönliche Auszüge nicht nur eine Erfindung, sondern auch eine große Herausforderung für den Leser sind. Sie zu verstehen oder zu interpretieren hängt oft mit dem Unterbau der Argumente zusammen. Sicherlich ist es keine einfache Aufgabe nun aufzuklären, wie und aus welchem Grund sie überhaupt entstehen. Der Autor greift in der Regel auf diese Charakterisierungen zurück, um uns zeigen zu können, wie breit und unendlich sich die Fantasie ausstreckt. Jedoch nutzt er sie mit einem bestimmten Zweck, nämlich; dass das Charakterspektrum ausschließlich mit menschlichen Macken, Ticks oder Irrsinn zu beschreiben ist.
Viele Autoren haben meisterhaft mit den Vorteilen der gesteigerten Figuren gearbeitet. Beispielsweise bearbeitet Elias Canetti in seinem Roman Die Blendung die Figur eines Mannes, dessen Problem es ist, den menschlichen Kontakt in der Gesellschaft aufnehmen zu können. Dafür ist Peter Kien ein Weltfremder, der befürchtet, etwas Schlimmes wird passieren solange er unter Menschen ist. Dagegen vertraut er mehr den literarischen Figuren aus den Büchern seiner Bibliothek. Die Hauptfigur dieses Romans erinnert uns etwa an Don Quijote. Jedoch ist Herr Kien eher jemand, der die menschliche Interaktion vermeidet und in den Irrsinn fällt. Er trifft in der Bar Zum idealen Himmel seltsame Persönlichkeiten, die seine Neigung zur Realitätsverwechselung beschleunigen.
Aber nicht nur in der deutschen Sprache wurden diese psychischen Charakterisierungen geschaffen. Einer der Pioniere dieser Art literarischer Figuren war die US-Amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith. Sie baute ihre Helden aus merkwürdigen Zügen, deren Eigenschaften und Entscheidungen die Handlung sogar noch spannender machten. Als Beispiel möchte ich das Buch Zwei Fremde im Zug erwähnen. Mit großem menschlichen Gefühl und einem gezielten Zweck schuf Highsmith Charles Anthony Bruno. Der Mann, der Guy Haines im Zug kennenlernt. Er ist von einer Freundschaft mit Haines überzeugt. Da Guy Haines Probleme mit seiner Frau hat und Bruno mit seinem Vater, schlägt er Haines einen doppelten Mord vor. Er würde Haines Frau ermorden, wenn Haines Brunos Vater auch umbringt. Wochen später macht Bruno seinen Anteil des Handels, setzt Haines unter Druck und verlangt von ihm nämlich: seinen Vater zu ermorden. Gerade dieser Roman ist auf den Fundamenten einer gestörten Person gebaut, in diesem Fall, Herr Bruno, der in der Handlung eine gewisse Macht ausübt. Die Geschichte wurde von Alfred Hitchcock gekauft und erfolgreich verfilmt. Jedoch gebührt das Verdienst eigentlich ganz Patricia Highsmith, sie ist Die Autorin psychologischer Romane.
Wir können nicht wahrheitswidrig behaupten, dass die Argumente der obengenannten Romane stark und überzeugend sind. Bei solchen Geschichten ist die Hauptfigur die zentrale Säule der Romanstruktur. Sie überschreitet den Charakterumfang einer normalen Figur und dementsprechend wirkt sie mit einer anderen Gravitationskraft; stärker, pulsierend, atemberaubend aber vor allem friedlos und weltfremd. Sowohl Highsmith als auch Canetti waren sich beide bewusst, dass der Einsatz solcher literarischen Geschöpfe in einem Roman das beste Experiment war.