Eine Vielzahl von Erzählungen, Mythen und Legenden ist mit dem Evangelisten Lukas verknüpft. Neben den völkischen Stimmen aus den europäischen Ländern existieren weitere Quellen wie die Legenda Aurea, deren Texte darauf abzielen, die Heilungskräfte des Lukas zu betonen. Ebenso wird darauf verwiesen, dass er gemeinsam mit Paulus Dämonen austrieb und das erste Bildnis Mariens malte. Auch wenn die historische Person des Lukas nicht fassbar ist, lässt sich mit hinreichender Sicherheit annehmen, dass er ein überzeugter Christ war. Aufgrund der zahlreichen Theorien und Mutmaßungen hinsichtlich seiner Berufsausübung, seiner Begegnungen mit den ersten Christen sowie seiner Treue zum Glauben lässt sich eine reine Solidarität seinerseits ableiten.
Im Unterschied zu den anderen drei Evangelisten war Lukas kein Jude. Es lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass seine Herkunft rein hellenisch war und sein Geburtsort Philippi war. Dort hatte Paulus im Jahr 55 n. Chr. eine der ersten christlichen Gemeinden gegründet. Diese These findet ihre Bestätigung in einer Vielzahl von Belegen. Einer der frühesten ist der "Brief an die Philipper", in dem sich der Autor, Paulus, bei der Gemeinde für die Unterstützung bedankt, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt in römischer Gefangenschaft befand. Zum ersten Mal tritt aber Lukas nach der Apostelgeschichte als Begleiter von Paulus in seiner zweiten Missionsreise:
Dort hatte Paulus in der Nacht eine Vision. Ein Mazedonier stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!
(Apg 16, 9)
In diesem Buch, Apostelgeschichte, ist allerdings an vielen Teilen des Werkes die Perspektive des Autors, Lukas, die erste Person Plural (Wir) aufgrund der gemeinsamen Reise mit dem Apostel Paulus. Die Apostelgeschichte scheint für viele Experten, die Fortsetzung seines Evangeliums zu sein. So erfahren wir beispielsweise wie die Gemeinde in Philippi in Mazedonien entstand, die erste auf europäischen Boden. Die römische Kolonie hatte eine sehr starke römisch hellenistische Prägung, was zu Lukas passen könnte.
Aber warum hat sich Lukas für den Glauben interessiert, der nur Juden und Heiden betraf? Die Theorien bleiben hier sehr spekulativ, weil es kaum Beweise oder Aussagen von Dritten gibt. Nur eines ist klar, dass Lukas für die Römer ein gebildeter Iatrus1 war, denn damals waren Griechen, tüchtige Ärzte, die für das Reich arbeiteten. Sie waren in vielen Kriegen im Einsatz, um verletzte Soldaten zu behandeln. Im Grunde genommen waren sie ein Teil des Machtapparats, um neue Territorien zu erobern aber auch die normale Bevölkerung und Autoritäten medizinisch zu besorgen. Lukas hatte von den Wundern Jesu gehört und konnte sich womöglich nicht vorstellen, dass er Tote auferweckte, Aussatz-kranke Menschen und Blindgeborene heilte und Gelähmte gehen ließ.
Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas.
(Kolosser 4, 14)
Seine wissenschaftliche Erziehung ließ ihn diese Ereignisse misstrauisch beobachten, jedoch war er erstmals von Paulus überzeugt und unternahm er mit ihm die Missionsreisen zu anderen Gemeinde für längere Zeit. Das Evangelium von Lukas war auf hoch alt-griechisch verfasst, was ihn von den anderen Evangelisten unterscheidet. Zwar damals konnten nur gebildete Juden griechisch sprechen und schreiben, aber das lukanische Doppelwerk2 wurde in einem anspruchsvollerem Stil geschrieben, als die von Matthäus, Johannes und Markus. Seine Verfassung der Geschichte ist nicht nur in einer gehobenen Sprache geschrieben sondern beinhaltet auch medizinische Fachbegriffe für die Beschreibung der Krankheiten und Behinderungen.
Lukas richtete sich an eine Heidenleserschaft, also Römer und Griechen, die griechisch schreiben und lesen konnten. Damit wollte er die Botschaft Christi in den ganzen Imperium verbreiten. Allein die Tatsache, dass er von seiner Tätigkeit als Arzt absah, um Paulus zu helfen und zu unterstützen, lässt uns nachdenken, wie schwierig für ihn war eine solche Entscheidung zu treffen. Lukas wäre allerdings nicht der erste gewesen, der sich vom römischen Reich hätte abwenden wollen, um Jesu zu folgen. Denn Matthäus, Apostel und auch Evangelist, wurde vom Messias auserwählt. Er beendete seine Laufbahn als Zöllner und verlor damit den Schutz des Prätor3, des militärischen Befehlshabers, sowie sämtliche Privilegien, darunter das Haus, die Kleidung, die Wächter und der Hausdiener, um mit den anderen elf Schülern Jesus zu folgen.
Lukas ist als Einziger bei mir.
(2 Timotheus 4, 11)
Das Lukasevangelium beinhaltet ein Ereignis, welches in den anderen Evangelien keine Erwähnung findet. Dabei handelt es sich um die Verkündigung. Die Schilderung dieses Ereignisses ist äußerst detailliert, was darauf hindeutet, dass nur Maria es ihm anvertraut hatte. Allerdings muss festgestellt werden, ob ein Treffen zwischen Lukas und Maria überhaupt möglich gewesen wäre. Unter Berücksichtigung historischer Daten sowie der geographischen Entfernungen zwischen den Städten und der Kondition der Figuren lässt sich mit hinreichender Sicherheit annehmen, dass ein Treffen möglich war.
Nach dem Tod Jesu begleitete der Apostel Johannes Maria bis zu ihrem Tod. In der Folge zogen beide nach Ephesus, wo Maria verstarb. Die Distanz zwischen den beiden Städten Philippi und Ephesus beträgt etwa 750 km und liegt in der Region, in der die Missionsreise stattfand, sowie die Gemeinden in Thessaloniki, Ephesus, Korinth und Philippi gegründet wurden. Es lässt sich vermuten, dass Lukas sich in Ephesus aufhielt und Maria sowie Johannes hätte besuchen können. Diese Argumentation mündet in der Annahme, dass Lukas der erste Künstler war, der ein Bild der Mutter Gottes anfertigte. Ihm wird zudem die Schaffung anderer Werke zugeschrieben, darunter: "Unsere Liebe Frau von Wladimir" (Moskau, Russland), die "Ikone von Kykkos" (Zypern) und die "Schwarze Madonna von Tschenstochau" (Jasna Góra, Polen).
Es steht fest, dass Lukas zahlreiche dieser Gemeinden unterstützte. Gleichzeitig sammelte er Informationen für das Evangelium sowie für die Apostelgeschichte. Sein besonderes Interesse galt der Begegnung mit Menschen, die Jesus von Nazareth persönlich kennengelernt hatten. In diesem Kontext bereiste er das östliche Gebiet des Römischen Reichs, welches den heutigen Staaten Griechenland, Mazedonien, Bulgarien sowie einem Teil der Türkei entspricht. Die Frage stellt sich, auf welche Weise er die Kontrolle passieren und die ersten damals verbotenen christlichen Gemeinden besuchen konnte. An dieser Stelle kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Persönlichkeit gehandelt haben muss. Ein Arzt genoss einen ebenso hohen gesellschaftlichen Status wie ein Beamter oder eine Autorität und entsprechend wurde er auch behandelt und respektiert.
Während der Haftzeit von Paulus wurde Lukas seitens der Behörden erlaubt, diesen zu besuchen. Paulus Gefangenschaft umfasste mehrere Stationen in verschiedenen Städten, wobei er jeweils für einen Zeitraum von rund zwei Jahren inhaftiert war. Zu den Orten, an denen er festgehalten wurde, zählten unter anderem die Gefängnisse in: Jerusalem, Philippi, Cäsarea sowie zweimal Rom.
Lukas war römischer Bürger und Arzt, was ihm im Römischen Reich besondere Privilegien gewährte. In nahezu allen Gefängnisaufenthalten des Paulus weilte er an dessen Seite, insbesondere während der zweiten Haft in Rom. Es ist anzunehmen, dass er das Todesurteil unter Kaiser Nero anfechten wollte, jedoch ohne Erfolg. Der Evangelist Lukas spielte eine wesentliche Rolle als Zeuge des Briefverkehrs zwischen Paulus und den von ihm gegründeten Gemeinden. Die überlieferten Briefe, die heute als paulinische Briefe bekannt sind und zum Neuen Testament gehören, zeugen von dieser Korrespondenz. Schließlich begleitete Lukas ihn bis kurz vor seinem Tod als Märtyrer im Jahr 64 n. Chr. im römischen Gefängnis.
Vermutlich war Lukas zu diesem Zeitpunkt zwischen 35-45 Jahre alt und bezüglich seines Todes existieren jedoch zwei widersprüchliche Versionen. Die eine besagt, dass er in hohem Alter in Griechenland verstarb, während die andere davon ausgeht, dass er den Tod als Märtyrer erlitt. In der Tradition wird berichtet, dass er in Theben in Griechenland beigesetzt wurde, dem Ort, an dem er auch gestorben ist. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden Teile seiner Reliquien an verschiedene Kirchen und Klöster überliefert. Dazu zählen unter anderem: die Prämonstratenser-Kirche in Theben, Griechenland, den ursprünglichen Bestattungsort. Im 4. Jahrhundert erfolgte die Überführung der Reliquien in die Basilika Santa Giustina (Padua, Italien) und im 14. Jahrhundert insbesondere in die Kathedrale von St. Vitus (Prag, Tschechien), wo sie sich bis heute in der Schatzkammer der Kathedrale befinden.
Anmerkungen
1 Lateinisches Wort aus dem Griechischen „Iatros“, was Heiler bedeutet.
2 Es bedeutet unter Katholiken: das Lukas Evangelium und die Apostelgeschichte.
3 Amtsträger der Justiz im Römischen Reich.