Wenn man das Wort Verraten hört, stellt man sich das schlimmste vor und letztendlich hängt davon ab; auf welcher Seite der Verräter steht, um über ihn oder sie etwas sagen zu dürfen. Die Schriftstellerin Rebecca West hatte sich mit dem Thema befasst und zwar generell mit der Kriegsthematik. Als ich das erste mal von ihr hörte, war mir ihr Name überhaupt nicht bekannt. Ich würde sogar noch wetten, dass von der jetzigen Lesergeneration nur wenige wissen, wer sie war. West war eine charaktervolle Journalistin, so fing ihre literarische Karriere an, die im Jahr 1918 mit ihrem Debütroman The return of the soldier (London, 1918) zu Deutsch Die Rückkehr nicht so bekannt wurde, aber hinterließ eine tiefe Überlegung über die Folgen der Kriegsgewalt auf die Menschen; in diesem Fall aus dem Ersten Weltkrieg. Der Roman konfrontiert eine Familie mit der Rückkehr eines Bruders, der aus dem Krieg traumatisiert zurückkommt. Es trifft ein sehr wichtiges Thema, mit dem man sich selten auseinandersetzt; die Folgen eines Krieges in Form von Traumata in einer Familienumgebung.
West schrieb ihr Werk, als sie 24 Jahre alt war, das lässt uns nachdenken, wie sich eine Journalistin im jungen Alter solche Sorgen machte. Der Erste Weltkrieg trug mit sich nicht nur menschliche Verluste sondern auch Armut. Der Komfort, der sich durch die Industrielle Revolution in Europa verbreitete, war nach dem Krieg in vielen Ländern, grundsätzlich Deutschland, ein Nachholbedarf.
Das Gesamtwerk von Rebecca West beinhaltet mehr journalistische Veröffentlichungen als belletristische Manuskripte. Sie hatte eine sehr vertiefte Darstellungsform, ernsthafte Themen zu analysieren. In ihrer Heimatstadt London war das Leben damals nicht besser als in Berlin oder anderen, von dem Ersten Weltkrieg getroffenen, europäischen Städten. Bis zum Jahr 1946 war West eine bekannte Journalistin renommierter Tageszeitungen. Und so wurde sie als Prominente bei den Nürnberger Prozessen als Pressevertreterin des The Daily Telegraph eingeladen. Die Erfahrung aus dieser Zeit ergab das Werk The meaning of treason, 1947, (kein deutscher Titel vorhanden; etwa wie: Die Bedeutung des Verrates), in dem sie sich mit dem Thema Treubruch gegen ihr Land befasst.
Im Zweiten Weltkrieg gab es unheimlich viele Verräter aller Arten. Es fing an mit den Verrätern in engen Kreisen wie Familienmitglieder oder Freunde bis hin zu Militärverrätern, die das eigene Land hintergingen. Auf jeden Fall mitten im Krieg, wenn man einen Freund oder Familienmitglieder verraten hatte, hatte man das Gefühl; etwas bei dieser Person sei ungerade gelaufen. Aber selbst wenn es so seien sollte, können wir die echte Motivation des Faktums nicht erkennen. In Wests Buch geht es in einem breiten Abschnitt um den in den Vereinigten Staaten geborenen britischen Verräter William Joyce, der in Deutschland bei der Rundfunkproduktion eine Stelle fand und später Sprecher der Radiosendung Germany calling, gestrahlt über den Reichssender Hamburg zwischen 1942 und 1945, war. Enttäuschend bei dem Buch ist es, dass die Autorin keine präzise Informationen über den wahren Grund Joyces Verrat ans Licht bringt. Ihre Mutmaßungen darüber sind unklar und man spürt tatsächlich, dass sie eine gewisse Abneigung gegen ihn hatte.
Germany calling, vermutlich in Berlin im Haus des Rundfunks anfangs produziert, war in England eine sehr beliebte Sendung in englischer Sprache mit einer hohen Quote, in der William Joyce sich sarkastisch über die Zustände „in den Inseln“ (laut Drehbuch) äußerte; gemeint war es hiermit die, während des Zweiten Weltkrieges, prekäre wirtschaftliche Situation vieler Städten Englands im Vergleich zu Deutschland. Aber auch diente Joyce der britischen Bevölkerung, in dem er die Namen der englischen Kriegsgefangener bekannt gab und sogar auch Nachrichten an deren Familienmitglieder auf Sendung las. Dadurch hörten Millionen Engländer mit etwas Hoffnung seine Reden Dank der damaligen modernen Weltempfänger.
Anscheinend war Joyce größtes Verbrechen, der Rundfunksprecher einer Radiosendung gewesen zu sein. In Wirklichkeit flüchtete er aus England,weil sein Leben bedroht war und so könnten wir uns vielleicht vorstellen, dass andere politischen Meinungen dort auch unbeliebt waren. Joyce hatte den Hinweis, dass die britischen Behörden ihn in einem Gefängnis internieren wollten. Die Vorgeschichte geht noch viel weiter zurück; er hatte eine riesige Narbe, vom Ohrläppchen bis zur mittleren Wange auf der rechten Seite seines Gesichts, Folge des Angriffs eines politischen Gegners. Tatsache ist es, dass er bei seiner Verhaftung unmittelbar nach dem Krieg nicht die Möglichkeit hatte, seinen Ausweis zu zeigen und wurde von seinen eigenen Landsmännern in Flensburg angeschossen. Auch während seiner Gefangenschaft wurde er relativ schnell verurteilt, weil sein britischer Pass unter falschen Angaben abgeändert wurde. Damit habe er dem König Treue geschuldet und aus diesem Grund wurde er zum Tode verurteilt. Was uns aber diese offizielle Version nicht sagt ist, wie er und unter welchen Bedingungen seine Verteidigung durchfuhr. Wegen einer unechten Aussage bei den englischen Behörden hätte er in der Regel ein Bußgeld aber keine Hinrichtung als Strafe bekommen.
Zurück zum Buch und seiner Wichtigkeit, Rebecca West kann uns in ihrem The meaning of treason nicht erklären, warum William Joyce in England von Bedeutung war. Auch bewegt sie ihre Theorie nur in der Dunkelheit der Eckdaten und begründet nicht, aus ihrer Perspektive, warum Joyce Verrat begangen hätte. Man kann an dieser Stelle überhaupt nicht beweisen, ob er die Drehbücher geschrieben oder nur gelesen hatte. Und sicherlich fragen wir uns; sind nicht auch die Menschen Verräter, die damals die Sendung aus dem Feindland Deutschland gehört hatten? Schließlich hat sich das Publikum drei Jahre lang vergnügt und höchstwahrscheinlich versuchte Joyce mit seinem übertriebenen Vergleich zwischen Realität und Phantasie den Ärmsten ein Fünkchen Hoffnung zu geben.