Im Rahmen der Ausstellungsreihe Fotografie neu ordnen im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) treffen zwei Generationen mit Migrationserfahrung aufeinander: Die kurdische Künstlerin Pınar Öğrenci wurde eingeladen, sich mit den Protestbildern des deutsch türkischen Amateurfotografen Nuri Musluoğlu zu beschäftigen. In ihrer eigens für das Museum entwickelten multimedialen Installation, die auf dem Foto-, Video- und Tonarchiv von Nuri Musluoğlu basiert, reflektiert Pınar Öğrenci die Arbeiter * innenbewegung und Migrationsgesellschaft in der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre aus heutiger Perspektive. Darüber hinaus vertiefen ausgewählte Bildstrecken und Artikel aus der 1973 in Hamburg gegründeten politischen Zeitschrift "Arbeiterfotografie" den historischen Kontext der Ausstellung und geben Einblicke in ein Leben im Exil, in Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Frauenarbeit, die Friedensbewegung und ungleiche Bildungschancen von Migrant * innen in den 1980er Jahren.

Migration und ihre Darstellung stehen im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Pınar Öğrenci (* 1973 in Van, Türkei), die oftmals mit Archivmaterial arbeitet. Ihr multimedialer Zugang zu historischem und zeitgenössischem Material sowie der Fokus auf persönliche Biografien ermöglichen dabei eine kritische Betrachtung migrationspolitischer Umstände und Entscheidungen. In ihrer aktuellen Arbeit für das MK&G untersucht die Künstlerin Musluoğlus Archivmaterial des deutsch türkisch-kurdischen Zusammenlebens von 1975 bis 1988 – darunter Aufnahmen von Protestaktionen, Friedensmärschen, Sommerfesten, Musikaufführungen und Sportveranstaltungen sowie das Leben der eigenen Familie. Sie interpretiert die Protestkultur in der Türkei anhand der Fotografien und Super 8-Filme Musluoğlus neu und stellt sie in den Kontext von Praktiken des Widerstands und der Solidarität.

Pınar Öğrenci studierte Architektur und Restaurierung an der Yıldız Technical University in Istanbul und emigrierte 2018 nach Deutschland. Ihre erste Einzelausstellung zeigte sie am Kunsthaus Wien (2017), darüber hinaus waren ihre Werke auf der Documenta fifteen (2022), in der Berlinischen Galerie (2023), der Venedig Biennale (2024) und im Frac Bretagne (2024) vertreten. Zudem wurde Öğrenci mehrfach ausgezeichnet, 2022 war sie für den Preis der Böttcherstraße nominiert und 2023 erhielt sie den Villa Romana Preis. Pınar Öğrenci lebt in Berlin.

1965 folgte Nuri Musluoğlu (* 1951 in Istanbul, Türkei) seinen Eltern in die BRD und absolvierte eine Lehre als Werkzeugmacher, später arbeitete er als Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt. Parallel war er politisch aktiv, unter anderem in den Gewerkschaften IG Metall und Verdi sowie der Friedensbewegung. Gemeinsam mit anderen Akteur*innen gründete er ein deutsch-türkisches Kulturzentrum in Heilbronn. Neben seinen Protestbildern, die auf über 100 Demonstrationen entstanden sind, dokumentiert Musluoğlu deutsch türkisches Zusammenleben sowie die Fremdenfeindlichkeit im öffentlichen Raum und Lebensbedingungen in Asylunterkünften auch in Super 8-Filmen und Tonaufnahmen.

Seit 1985 veröffentlicht Musluoğlu Fotos unter verschiedenen Pseudonymen in der linksgerichteten in Deutschland erscheinenden Wochenzeitung für Arbeiter*innen und politisch Schutzsuchende „Türkiye Postası“. Zeitweilig produziert er auch eine Fernsehsendung, die er auf VHS Kassetten in Umlauf bringt. Nuri Musluoğlu lebt in Heilbronn und Bodrum, Türkei.

In der Ausstellungsreihe Fotografie neu ordnen werden Themen, Positionen, aber auch Leerstellen der Sammlung Fotografie und neue Medien am MK&G durch zeitgenössische künstlerische Interventionen kritisch hinterfragt. Im Zuge des Ausstellungsprojekts und anhand des Themas Arbeitsmigration fließen Bilder von Muhlis Kenter, Nuri Musluoğlu und Mehmet Ünal in die Sammlung ein. Vom 27. April bis 5. Oktober 2025 werden die Neuerwerbungen von Fotograf*innen mit migrantischer Herkunft im MK&G präsentiert. Langfristig arbeitet das Museum an einer Diversifizierung der Sammlung.