Inmitten eines Waldes verkörpern Bäume altehrwürdige Zeuginnen, deren Äste einer Vielzahl von Kreaturen einen Zufluchtsort bieten. Als stumme Beobachtende weben sie sich in das dichte Geflecht des Lebens ein, knüpfen Beziehungen, die sie in wesenhafte Klangkörper verwandeln. Sobald man dieses Gebiet betritt, weicht die anfängliche Stille dem Geräusch von lebhaftem Vogelgezwitscher – Beleg einer tiefen Verbundenheit zwischen Bäumen und ihren Gefährt*innen. Diese Symbiose ist nicht rein funktional, sie gibt auch Schutz; schafft sie doch eine Gemeinschaft, in der sich Sicherheit, Zuflucht und Pflege in ein Ganzes fügen.

In Time as a shield (Zeit als Schutzschild), Sandra Mujingas erster Einzelausstellung in der Schweiz, trifft diese natürliche Verbindung auf einen mächtigen Widerhall in einem Wald menschlicher Schöpfung, in dem die Zeit wie ein unsichtbarer Faden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem resilienten Gewebe verknüpft. In einer rätselhaften Landschaft aus monumentalen, baumartigen Skulpturen, die in Textilien gehüllt sind, wird die Zeit zu einem Schutzschild und einer Zeugin. Mit ihren starken, um die Stämme gewundenen Ästen und raumgreifenden Wurzeln verkörpern diese hoch aufragenden Figuren eine hybride Existenz an der Schwelle zwischen Natur und Technologie. In ihrer Anordnung aufeinander bezogen, deuten die Skulpturen auf Sicherheit, Gastfreundschaft, aber auch Konfrontation hin.

Umkreist wird die Formation von der Werkserie Ghost forest 1–7 (Geisterwald [1–7]), 2024, die sich wie Schatten oder Spuren der Bäume an die Wände wirft. Damit weist die Serie einerseits den Weg in weitere Bereiche der Ausstellung, lässt aber auch über die physischen Grenzen des Raumes hinausblicken und ermöglicht damit die Wahrnehmung einer unsichtbaren und dennoch präsenten Dimension vergangener Zeiten. Inspiriert von subtilen Überresten – archäologischen Abdrücken und gespenstischer Präsenz der Geisterwälder – betonen die Werke, dass die Zeit an allen Dingen ihre Spuren hinterlässt. So erinnern sie uns daran, dass jedes Sein, jede Struktur und jede Landschaft ein Echo zurücklassen, das unsere Welt fortwährend gestaltet und definiert.

Kernstück von Mujingas Ausstellung in der Kunsthalle Basel ist ihre tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Konzept der Zeugenschaft: Denn ein solches Zeugnis abzulegen, begreift sie als Akt der Resilienz. Wie können über die Jahre angesammelte Erfahrungen einen Schutzschild bilden, der diesen Widerstand befördert? In vielen Gesellschaften fungieren die Ältesten als lebendige Bibliotheken, bewahren und überliefern Geschichte(n) und Traditionen in ihren Erzählungen. Der generationenübergreifende Austausch von Erfahrungen formt fortlaufend das kollektive Gedächtnis. Im ersten Raum veranschaulichen Mujingas «singende Bäume» dieses Konzept, indem aus ihren Kronen der Gesang eines Chors erklingt. Verschiedene Stimmen, Töne und Pausen füllen die Räume und fördern so ein immersives Zusammenspiel geteilter Erinnerungen. Diese Stimmen, die manchmal fast synchron wirken, evozieren eine Kommunikation zwischen den Bäumen als Zeuginnen historischer Transformationen wie auch als Echokammern von Klimawandel und -konflikten.

Neue Technologien ermöglichen die Entwicklung makelloser, synthetischer Stimmen, die menschliche und posthumane Klänge präzise nachahmen können. Im Gegensatz zu einer solchen geklonten Perfektion präsentiert Mujingas Installation Time as a shield, 2024, einen Chor menschlicher Stimmen, der bewusst Unvollkommenheiten wie zitternde und schwankende Töne oder einen flatternden Atem bestehen lässt. Entstanden aus überlagerten Aufnahmen von sieben Sänger*innen verschmilzt der Chor Solostimmen mit synkopischen Momenten und Pausen, die aus Stille bestehen. Indem sie die fehlende Perfektion nicht als Mangel, sondern als Stärke versteht, wird die Künstlerin zur Archivarin, die die einzigartigen menschlichen Aspekte der Stimme und des Ausdrucks feiert. Im Fokus steht hier die Frage, wie eine kollektive Stimme Individuen Schutz und (Selbst-)Ermächtigung bieten kann – ein deutlicher Kontrast zur sterilen Perfektion von KI-generierten Klängen.

Mujingas neue Werkgruppe setzt sich darüber hinaus kritisch mit aktuellen Technologien und ihren Auswirkungen auf Überwachung und Kontrolle auseinander. Inspiriert von Achille Mbembes Theorie der Nekropolitik untersucht die Künstlerin Methoden der Bevölkerungskontrolle, die damit arbeiten, Menschen bewusst mit dem Tod zu konfrontieren – sei es durch Krieg, Umweltzerstörung oder Armut. Mbembes Konzept, das die Überlegungen des französischen Philosophen Michel Foucault zur Bio-Macht weiterführt, thematisiert, wie diese Kräfte Kontrolle über Individuen ausüben, die systematisch in Todesgefahr gebracht werden. Bei ihrer Suche nach neuen Überlebensstrategien antwortet Mujinga auf diese Gefahr, indem sie die Stimmen in ihrer Toninstallation zum Gegengewicht der nekropolitischen Überwachung macht. Der Chor verkörpert eine Form des kollektiven Widerstands, der sich gegen die Vernichtung erhebt. Ob in Harmonie oder nicht – jede einzelne Stimme symbolisiert eine eigenständige Existenz, die dem Schweigen trotzt. Der Chor repräsentiert dabei die Macht der Gemeinschaft, die sich der Isolation und den entmenschlichenden Aspekten der Nekropolitik entgegenstemmt.

Im zweiten Raum führt Mujingas neue Fotoserie Shared breath (1–6) (Geteilter Atem [1–6]), 2024, ihre Erforschung von Identität und Schutz fort. Auf den ersten Blick scheinen die sechs Porträts dieselbe Person zu zeigen, doch bei genauerem Hinsehen treten feine Unterschiede zutage. In einer Gegenwart, in der Deepfakes in unseren Online-Interaktionen um sich greifen, nutzt sie digitale Werkzeuge, um Porträts von Freund*innen und Familienangehörigen zu verschmelzen und so umzugestalten, dass vollständig «neue Gesichter» entstehen. Statt sich um perfekte Replikate zu bemühen, betont sie Irregularitäten und Störmomente, die den kompositorischen Charakter der Bilder hervorheben.

Die Arbeiten in dieser Serie drehen sich nicht nur um die Technologie selbst, sondern darum, sich eine Welt vorzustellen, in der wir eine solche Technologie gemeinschaftsfördernd nutzen, um Gesichter voneinander «zu leihen» oder sie zu verändern – als Form wechselseitiger Protektion und Solidarität. Gleichzeitig ist sich Mujinga der sozialen, politischen und ökonomischen Implikationen dieser Technologien sehr bewusst. Ihre Arbeit thematisiert die rassistisch bedingte Voreingenommenheit einer Gesichtserkennungssoftware, die nur allzu oft dunklere Hauttöne falsch interpretiert oder gar nicht erst zu erkennen vermag. Vor diesem Hintergrund zielen geteilte Gesichter nicht nur darauf ab, der Überwachung zu entgehen, sondern stellen auch systemimmanente Vorurteile bloss, die in unserer technologischen Infrastruktur verborgen sind.

Die Vorstellung einer Existenz in der Dunkelheit taucht immer wieder in Mujingas Werk auf. Dunkelgrünes Licht, das an einen neutralen Greenscreen aus Videoproduktionen erinnert – auf den im Nachhinein alles Mögliche projiziert werden kann und der damit Ab- und Anwesenheit gleichermassen verkörpert –, illuminierte schon in früheren Ausstellungen ihre menschenähnlichen Skulpturen. Im letzten Raum steht nun eine Figur in Verwandlung: Mit einem stammähnlichen Körper und ohne Arme nimmt sie langsam die Gestalt eines Baumes an. Grief (Trauer), 2024, eine figurative, in eine Haut aus handgenähten, upgecycelten Stoffen gehüllte Skulptur, reiht sich in Mujingas Erforschung von Textilien als Oberfläche wie schützende Behausung ein. Die isolierte Gestalt, der die stimmliche Komponente der anderen Figuren fehlt, spiegelt das oft einsame Wesen des Kummers wider. Im Kontext der gesamten Ausstellung betont sie jedoch den möglichen Rückhalt in der Gemeinschaft unter Bedingungen eines systematischen Trauerns. Die Gestalt lädt dazu ein zu reflektieren, wie Trauer Identitäten und Verbindungen in einer zunehmend digitalen Welt zu verändern vermag – einer Welt, in der Erinnerungen und Gegenwärtigkeiten in unkonventionellen Formen weiterleben.

Durch die Brille der Science-Fiction schafft Mujinga alternative Welten und lässt neue Zukunftsszenarien vor dem inneren Auge entstehen, ohne dabei den Nachhall der Vergangenheit ausser Acht zu lassen. In ihrer künstlerischen Praxis zielt sie darauf ab, konventionelle Grenzen zu sprengen und neue Perspektiven auf Existenz und Identität zu bieten. Dieser Ansatz fügt sich nahtlos in ihr umfassenderes Ziel, dominante Ideologien infrage zu stellen und innovative Wege aufzuzeigen die Welt zu verstehen. Konzeptionell gesehen unterstreicht Time as a Shield den Wunsch nach und die Notwendigkeit von Gemeinschaft und Widerstand, um sich auf eine Welt in schnellem Wandel einzulassen. Die Überlagerung und das Zusammenspiel von Stimmen und individuellen Körpern schaffen ein Narrativ, das Individualität und Gemeinschaft gleichermassen feiert. Dies erinnert uns nicht zuletzt daran, dass in Zeiten konstanter Bedrohung und Kontrolle die Präsenz von Stimmen ein machtvolles Werkzeug von Überleben und Wandel bleibt.