Dreissig schwarze, quadratische Vitrinen erstrecken sich entlang der Rückwand der Kunsthalle Basel wie ein linearer Archipel und erinnern dabei an Inseln auf einer Weltkarte. Sie verbinden und trennen, enthüllen und verbergen. Zwischen Ordnung und Ausdehnung, Tradition und Erforschung entfaltet sich ein Spannungsfeld, das sich bereits im Titel andeutet. Canons and Continents (Kanons und Kontinente) zeigt eine ortsspezifische Installa- tion der Konzeptkünstlerin Marie Matusz. Die «canons» im Titel spiegeln sich in der strengen Geometrie und der seriellen Anord- nung der Vitrinen wider und erinnern an kunsthistorische Kanonbildungen sowie an die Regeln, die in Kunst und Gesellschaft wirksam sind. Währenddessen eröffnen die «continents» weitreichende Perspektiven und repräsentieren die Vielfalt kultureller und sozialer Erfahrungen.

In ihren Titeln greift Matusz häufig semantische Mehrdeutigkeiten auf, die sich damit einer einfachen Kategorisierung entziehen und deren sprachliche Ambiguität auch die inhaltliche Ebene ihrer Werke durchzieht. Diese Vieldeu- tigkeit steht der industriellen Präzision der verwendeten Materialien gegenüber. Anders als konventionelle Museumsvitrinen, die Objekte zur Schau stellen, zeigt Matusz schwarze Kästen, die aus der Wand herausragen, schein- bar in der Luft schweben und verheimlichen, was sie enthalten. Beim Vorbeigehen erwecken diese an der Wand befestigten Skulpturen den Eindruck, die Zeit selbst einzufangen, und spiegeln die Umgebung in einer Spannung zwischen Stille und Bewegung wider. Sie ent- hüllen mehr über die äussere Welt, die sie reflektieren, als über ihre eigene innere Beschaffenheit. Statt unmittelbarer Transparenz, setzt Matusz auf Transluzenz: Erst nach der Begegnung und Überwindung des eigenen Spiegelbildes und aus nächster Nähe treten in den Vitrinen verborgene, runde Stahlsegmente hervor, die wie aus dem Inneren der Institution zu kommen scheinen.

Die Installation wird zu einem Raum der aktiven Begegnung, der die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Innen und Aussen verwischt. Die Durchlässigkeit der Vitrine ermöglicht ein poetisches Wechselspiel, in dem das Sichtbare und das Verborgene in einem ständigen Dialog stehen. Diese Duali- tät spiegelt die komplexen Abhängigkeiten unserer globalisierten Welt wider, in der Grenzen – ob zwischen Kontinenten oder Kanons – notgedrungen immer poröser werden, auch wenn gleichzeitig neue Barrieren entstehen. Matusz’ Skulpturen verkörpern diesen Gedanken und zeigen, wie Dinge miteinander verbunden und gleichzeitig getrennt sein können. In der Arbeit klingt die Idee einer Tout-monde (All-Welt) des Philosophen Édouard Glissant an, der zufolge Kulturen in einem tiefen, sich ständig beeinflussenden Verhältnis zueinander stehen.

Matusz’ neue Arbeit kann als ästhetischer Ausdruck einer Welt im Wandel gelesen werden, in der etablierte Kanons ihre Gültigkeit verlie- ren und durch eine Vielzahl unabhängiger Mikro-Narrative ersetzt werden. Die scheinbare Uniformität der Vitrinen wird durch subtile Variationen gebrochen, die sich mit der Perspektive der Betrachter * innen ver- schieben und die Unübersetzbarkeit sozialer und kultureller Erfahrungen unterstreichen. Auf diese Weise schafft die Künstlerin einen Denkraum, in dem die Spannung zwischen Kanonischem und Kontinentalem, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Identität und Selbst nicht aufgelöst, sondern umsichtig überdacht wird. Canons and continents schafft einen Raum, in dem das Bekannte fremd und das Unbekannte vertraut wird – einen Ort, der nicht auf fertige Antworten setzt, sondern auf produktive Fragen, die uns bereits umgeben.