«Wie lautet Ihr Name?»; «Welchen Beruf üben Sie aus?»; «Wie würden Sie Ihre Motivation beschreiben – eher gewinnorientiert oder wirkungsorientiert?» Mit diesen scheinbar banalen Fragen beginnt der Rundgang von Humanities (Humanwissenschaften) in der Kunsthalle Basel, Neïl Beloufas erster institutioneller Einzelausstellung in der Schweiz. Doch schnell wird klar, dass es nicht darum geht, psychografische und narrative Daten zu sammeln. Die Besucher*innen navigieren durch eine vielschichtige Landschaft der Selbstbeschreibung und -beobachtung und erschaffen mit ihren Antworten Stück für Stück ihren eigenen digitalen Avatar. Beloufa konstruiert ein komplexes Geflecht aus digitalen und physischen Räumen, in denen sich Erzählungen entwickeln. Es ist eine immersive Erfahrung – von den Besucher * innen selbst gestaltet. Dennoch stellt sich die kritische Frage: Wer hat hier eigentlich die Kontrolle?
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die drei Installationen Growth (Wachstum), Tombstone (Grabstein), beide 2024, und Global Agreement (Globales Abkommen), 2019. Sie beschäftigen sich damit, wie persönliche Erzählungen, gesellschaftliche Strukturen und Symbole für Erfolg und Misserfolg unser Verständnis von uns selbst und der Welt um uns herum bestimmen. Beloufa untersucht in diesen Arbeiten das Spannungsverhältnis zwischen individueller Handlungsmacht und etablierten Systemen, die unsere Wahrnehmung prägen. Weitere Werke, darunter Neuproduktionen und bestehende Arbeiten, ergänzen die Installationen und stellen zwischen diesen Verbindungen her. Dazu gehören unter anderem die Serien Applique (Wandleuchter), 2019, Double Standard (Doppelte Norm) oder ATM und themes (ATM und Motive), beide 2024. Die Werke rahmen die Landschaft ein und vertiefen nicht nur die thematische Auseinandersetzung mit den Hauptwerken, sondern lassen das Publikum in eine ästhetische Welt eintauchen, die formal von Videospielen und der Sprache digitaler Bilder inspiriert ist.
In Growth tauchen die Besucher * innen in einen interaktiven Raum ein, in dem die Grenzen zwischen individuellen und breiteren gesellschaftlichen Erzählungen verschwimmen. An verschiedenen Stationen erstellen die Teilnehmer * innen ihre persönlichen Erfolgsgeschichten, indem sie Präferenzen zu Themen wie Technologie, Ökologie, Gesundheit und Gesellschaft angeben. Nach einem Check-in-Prozess werden sie zu Protagonist * innen ihrer eigenen Erzählung: in einer gamifizierten Umgebung, in der sich jede Entscheidung auf den Verlauf dieser Erzählung auswirkt.
Die Installation umfasst über vierzig aus PU-Schaum geschnitzte Objekte, die an der Wand und auf mehreren Tischen verteilt sind. Auf humorvolle Weise zitieren sie aus den Bereichen Technologie, Geschichte, Popkultur oder zeigen ikonische Gegenstände. In Basel gehören dazu Symbole wie die Schweizer Schokolade Toblerone, das Schweizer Taschenmesser und die Bergblume Edelweiss. Die Besucher * innen sind aufgefordert, intuitiv Objekte auszuwählen, die sie als wertvoll empfinden, wobei sich jede Wahl auf subtile Weise auf den entstehenden personifizierten Avatar auswirkt. Dieses schnelle, scheinbar mühelose Auswählen ähnelt jenen Interaktionen, die für Social-Media-Plattformen charakteristisch sind, und generieren Informationen, die sich nahtlos in die fortschreitenden Erzählungen der Teilnehmer * innen einfügen. So unterstreicht die Arbeit die Absurdität des Wertes, der solchen Symbolen beigemessen wird, insbesondere mit Blick auf Erfolg und auf die Systeme, in denen dieser erst überhöht und dann wieder herabgesetzt wird.
Mit der kinetischen Skulptur Tombstone setzt Beloufa die Erforschung dieser gesellschaftlichen Strukturen fort und befasst sich mit der Fragilität von Erfolg. In Anlehnung an die Finanz- und Bankenwelt verwendet Beloufa Financial Tombstones als Rohmaterial. Diese Auszeichnungen aus Plexiglas werden für erfolgreiche Finanztransaktionen vergeben. Ihre Bezeichnung leitet sich von der rechteckigen Form ab, die an einen Grabstein erinnert. Solche symbolischen Belohnungen finden sich oft in Büros von Broker * innen oder Versicherungsmakler * innen, wo sie von deren Leistung zeugen sollen. Auf einem Förderband bewegen sich diese Trophäen langsam in Richtung einer speziell angefertigten Presse und damit auf ihre unvermeidliche Zerstörung zu. In dieser mechanischen Choreografie des Verfalls offenbart sich die Vergänglichkeit von Ruhm und Anerkennung. Die Bewegung dieser Trophäen wird zur Metapher für die Widersprüchlichkeit zwischen ihrem symbolischen Wert und ihrer materiellen Zerbrechlichkeit.
Während es also in Tombstone um die Erfolgssymbolik der Finanzwelt geht, setzt sich Global Agreement mit der Rolle des Menschen innerhalb globaler Machtstrukturen auseinander, insbesondere mit Blick auf das Militär. Anstatt sich auf die Sensationsbilder von Konflikten zu konzentrieren, wie sie in Nachrichtensendungen und diversen Medien verbreitet werden, rückt der Künstler die persönlichen Geschichten jener in den Fokus, die sich für eine Laufbahn beim Militär entschieden haben. Telefonoder Webcamaufnahmen der Soldat * innen werden auf grossen Monitoren gezeigt, eingebettet in Sitzmöglichkeiten, deren Ästhetik an Fitnessstudios oder Gaming-Stationen erinnert. Die Betrachter * innen sitzen den Protagonist * innen in der Skulptur direkt gegenüber und verwandeln sich damit von distanzierten Beobachter * innen in aktive Teilnehmer * innen. Die Installation simuliert eine authentische soziale Begegnung und täuscht eine Gesprächsdynamik vor, in der die Beteiligten intimen Einblicke gewähren. Diese Gespräche erkunden, wie Soldat * innen ihr Selbstbild in einem stark regulierten und strukturierten Umfeld konstruieren und zeigen den Menschen hinter der Uniform. Indem der Künstler anstelle abstrakter geopolitischer Konzepte persönliche Erzählungen in den Fokus rückt, zeigt er das Spannungsfeld zwischen individueller Handlungsmacht und höherer Macht, Identität und Institution auf, in dem sich ihr Rollenbild formt.
Im letzten Raum der Ausstellung scannen die Besucher * innen ihren jeweiligen Code an einem Terminal und aktivieren so ihren personalisierten Kurzfilm, den ein KI-System erstellt hat und nun auf die Wand projiziert wird. Es ist ein beunruhigender Avatar entstanden, eine auf der Grundlage der zuvor eingereichten Fotos animierte digitale Figur. Sie hält einen surrealen Monolog, in dem die Grenzen zwischen Zynismus und Realität verwischen. In diesem Finale von Growth kulminieren die Szenen, die die Besucher * innen zuvor durchlaufen haben. Darin haben sie vielleicht ein Unternehmen gegründet, eine Sekte ins Leben gerufen oder auch eine politische Partei gegründet. Es zeigen sich unheimliche Parallelen zwischen diesen scheinbar nicht zusammenhängenden Aktivitäten. Mit Selbsthilfejargon, Marketing-Sprech und einem Hauch von Absurdität bringt der Film die auf dem Weg getroffenen Entscheidungen nun zur vollen Entfaltung. So wie der fragmentarische Konsum von Online-Inhalten bieten auch diese Filme vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. Sie verdeutlichen die uneindeutige Natur der digitalen Kommunikation und zeigen, wie leicht Informationen verzerrt oder missverstanden werden können.
Indem er verschiedene Diskurse – persönlichen Erfolg, Institutionskritik und die Kommerzialisierung von Identität – miteinander in Verbindung bringt, schafft Beloufa ein gleichermassen homogenes wie vielschichtiges Porträt der heutigen Gesellschaft. In einem verschachtelten Netz der Selbstreflektion werden Unterschiede zwischen Beobachtenden und Beobachteten, Triumph und Niederlage, Virtuellem und Greifbarem unscharf und fordern unsere Wahrnehmung von Realität und Identität heraus. Jene Systeme, die unsere Gesellschaft strukturieren, entlarvt der Künstler als fragile Konstrukte. Doch in ihrer Brüchigkeit liegt auch eine befreiende Erkenntnis, denn: Wenn sich alles so leicht dekonstruieren lässt, dann kann auch etwas Neues entstehen. Am Ende bleiben mehr Fragen als Antworten, und genau darin liegt die Stärke von Beloufas Werk. Es erinnert uns daran, dass die Fähigkeit zum kritischen Denken und zur Selbstreflexion in einer von Algorithmen und vorgefertigten Narrativen bestimmten Welt unser wertvollstes Gut ist. So ist das Werk vor allem auch eine Einladung, unsere Menschlichkeit in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu erkunden und zu feiern.