Das zentrale Thema von Katarina Budimaier mit ihrem Unternehmen KuLT Consulting und als Geschäftsführerin des Kulturvereins Quintessenz ist die Entfaltung des Potentials von Menschen mit Hilfe der Kultur und künstlerischer Ausdrucksformen. Dementsprechend hat sie mit „ARTist Development“ ein Programm für die Bereiche der Kultur und Bildung als auch der Wirtschaft entwickelt. Sie kann dabei auf ihren außergewöhnlich vielfältigen und internationalen Studien- bzw. Erfahrungshintergrund in Kroatien, Deutschland und Österreich zurückgreifen: Einer frühen musikalischen Fachausbildung in Zagreb folgten Studien bzw. leitende Tätigkeiten im Bereich der Finanzwirtschaft, Interkultureller Kompetenz, Personalentwicklung und Musikpädagogik mit Hauptfach Fagott.
Dr. Mario Bogisch nutzte in Wien am Rande gemeinsamer Projektarbeit die Gelegenheit zu einem spannenden Interview mit Katarina Budimaier:
Welche Rolle spielen Kunst und Kultur in Deinem Leben?
Bereits im Alter von 5 Jahren lernte ich Techniken der Malerei und konnte selbst erste Kunstwerke produzieren. In der Schule wurde dann meine Gesangsstimme entdeckt und gefördert – die berührendste Erfahrung bis dahin in meinem noch jungen Leben. Ich spürte das eigene Wesen in mir und dass mein Leben willkommen ist. Etwas später kam durch pädagogische Förderung neben dem Gesang auch Instrumentalmusik in Form der Querflöte und des Fagottes in mein Leben. Die Sprache der Musik und der Kunst in all ihren Facetten fasziniert mich seitdem ungebrochen bis heute.
Dies hat für mich schon damals am eigenen Leib erfahrbar gemacht, was ich heute weitergeben will: Durch Kunst zur Selbstwirksamkeit zu gelangen. Die Freude an der eigenen Leistung zu spüren und sie mit anderen zu teilen. Und damit schließlich die eigenen Potentiale, die eigene Persönlichkeit zu leben.
Kunst und Kultur waren immer meine Motivationsquellen, auch wenn ich in meiner Berufslaufbahn, die mich bisher von Kroatien nach Deutschland und weiter nach Österreich geführt hat, nicht immer unmittelbar mit Kunst zu tun hatte. Haben die Potentiale in einem die Möglichkeit sich zu entfalten, sorgen sie gleichzeitig für Gesundheit, Glück und Zufriedenheit, Selbsterkenntnis und Vielfalt. Die Akzeptanz und Dankbarkeit, die dabei erwachsen, befähigen uns Menschen, Empathie zu entwickeln und wertschätzend mit uns selbst und anderen umzugehen.
Weshalb kann Kunst die Persönlichkeitsentwicklung aus Deiner Sicht fördern?
Mit Kunst und Kultur entfalten wir uns unmittelbar, d.h. aus unserem innersten Wesenskern heraus, wobei die ersten Ansätze der Entfaltung unbewusst ablaufen. Denken wir an ein Konzert das wir erlebt haben oder an die Eindrücke aus einer Ausstellung, verspüren wir innere Resonanz, die wir uns nach und nach immer bewusster machen können. Dadurch und durch das Kennenlernen von Interpretationsmöglichkeiten von Kunstwerken werden eigene Zugänge zur Kunst gefunden, die gleichsam ein Spiegelbild unseres inneren Wesens, unserer tieferen Persönlichkeit sind. Die Sprache der Kunst ist daher ein Kommunikationsmittel, das unserer inneren Natur entspricht. Der Mensch versteht diese Sprache, und zwar in der Dosis, die für ihn die richtige in diesem Moment ist. Genau darum geht es mir, wenn ich in meinem Unternehmen „KuLT Consulting“ von „KULTURMANAGEMENT+Plus!“ spreche. Mit Kultur zur Selbstwirksamkeit, zur Entfaltung jener Potentiale, die in meinem Wesenskern liegen – was könnte befriedigender sein? Die Instrumente, die ich dazu entwickelt habe, können unabhängig von Alter, beruflicher Ausrichtung, Herkunft und materiellem Wohlstand bzw. Mangel eingesetzt werden.
Kannst Du uns an einem konkreten Beispiel die Umsetzung oder sogar Ergebnisse dieser These vor Augen führen?
Im Jahr 2015 durfte ich auf Initiative des künstlerischen Leiters des Herbstgold Festivals auf Schloss Esterhazy, Andreas Richter, ein interkulturelles Jugendorchester gründen.
Unter dem Projektnamen „Einklang – ein orchestrales Friedensprojekt der europäischen Jugend“ werden künstlerisch-musikalische Weiterbildung, Interkulturalität und vor allem die Potentialentfaltung der TeilnehmerInnen gefördert. Dabei handelt es sich um ein „ARTist Development Program“, das jährlich angeboten wird. Die Betreuung der jungen Orchestermitglieder aus 8 EU-Ländern geht dabei weit über die reine Projektwoche hinaus. Die Erlebnisse aus den Sommerworkshops lassen sich kaum in Worte fassen. Da darf ich Dich einladen einmal dabei zu sein.
Ich denke u.a. an ein konkretes Beispiel:
Ein sozial benachteiligter Musiker erfuhr das erste Mal in seinem Leben, dass er so wie er ist, von allen im Projekt geschätzt und insbesondere dort unterstützt wird, wo er seine Ängste hat - nicht gesehen zu werden, weil er aus armen Verhältnissen kommt. Die Glaubenssätze, die dieser junge Mann im Laufe seines Lebens entwickelt hat, waren: „Ich bin nichts wert.“, „Meine Meinung hat keine Bedeutung und ich kann nicht zu positiven Ereignissen in der Gruppe beitragen.“ Wo kommen diese festen Meinungen über sich her? Nur aus seinem persönlichen Umfeld in der Ursprungsfamilie? Aus der Tatsache, dass er materiell im Mangel lebt? Oder haben die Mitglieder unserer Gesellschaft ihm immer wieder klar gemacht und somit bestätigt, dass er nichts wert ist?
Aus diesem Beispiel wird sichtbar wie wichtig es für diesen jungen Menschen gewesen wäre, positive Erlebnisse durch Annahme und gesehen werden zu erfahren. Das sind die wichtigsten Referenzwerte, um Zuversicht zu schöpfen, um sich auf einen ohnehin schweren Weg zu machen, wenn die Voraussetzungen nicht die besten sind. Der junge Mann hat durch das wertschätzende Verhalten der Gruppenmitglieder einige positive Erlebnisse in unserem Projekt erfahren. Er nahm wahr, dass er wertvoll ist. Wenn eine kurze Begleitung im Rahmen seiner Potentialentfaltung erfolgt, wird der Mensch neu geboren, er wird durch die endlich erlebte Selbstwirksamkeit in der Lage sein, das eigene Leben zu führen, in dem er sich dem Leben mit seiner ganzen Persönlichkeit stellt. Es war bewegend, wie empathisch die ganze Gruppe auf solche sichtbaren Ereignisse reagiert hat.
Das sind unbeschreibliche Momente aus der Kulturarbeit, die mich bewegen und mir bestätigen, wie wichtig es ist, den Menschen in seiner Art zu sehen und zuzulassen, dass er sich entfalten kann.
Menschen in ihrer Entfaltung zu unterstützen, bedeutet auch viel Arbeit zu investieren. Es erfordert viel Zeit und funktioniert nur, wenn die Hingabe zu dieser Tätigkeit stark ausgeprägt ist.
Auf Deiner Webseite für KuLT Consulting fand ich folgenden spannenden Satz: "Eine Mischung aus intuitiver Lebensführung und Bewusstwerdung lässt die Entfaltung der eigenen Potentiale leichter zu.„ Läuft diese These im Rahmen einer Gesellschaft, deren Funktionsweise aus heutiger Sicht immer mehr durch Algorithmen beeinflusst werden könnte, nicht Gefahr, keine Rolle mehr zu spielen?
Selbstwirksamkeit erfährt man nicht, wenn man Algorithmen die Arbeit machen lässt. Ratio und Intuition sind beides wichtige Anteile des menschlichen Seins und werden durch deren Kultivierung und Vernetzung als Instrumente für die Selbstwirksamkeit genutzt. Ohne Ratio-Einsatz kommt es zu keiner Reflexion und Bewusstwerdung. Hier helfen Algorithmen nicht. Denkfaulheit ist eine der negativsten Folgen im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung. Die Digitalisierung kann sehr sinnvoll genutzt werden. Dazu bedarf es aber sehr bewusster und reifer Entscheidungsprozesse, für die Ratio und Intuition gleichermaßen wichtig sind, um eine am Menschen orientierte Lebensweise zu gewährleisten und nicht Sklave der Algorithmen zu sein.
Ein Beispiel, wie hilfreich Kunst in diesem Zusammenhang sein kann:
Unreife fördert Narzissmus. Dies ist gerade in unserer Zeit aufgrund ausufernder sozialer Netzwerke deutlich zu sehen. Das führt dazu, dass viele Menschen im Umfeld narzisstischer Persönlichkeiten gekränkt werden. Mit Caravaggios Werk „Narziss“ lassen sich Menschen berühren, in bewusster und reflexiver Betrachtung können eigene Persönlichkeitsanteile zu diesem Thema erkannt werden. Diese zu erkennen, ist die erste Stufe zur Heilung.
Was würde es bedeuten, wenn wir im Rahmen einer digitalen Hochgeschwindigkeits-Gesellschaft den Zugang zur Tiefe eines Michelangelo oder zur Klasse eines Beethovens verlieren?
Interessanterweise haben wir bis heute diese Zugänge nicht verloren. Das spricht für sich.
Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven ist ein Werk, das die Schöpfung und ihre Weiterentwicklung in sich trägt. Hier trifft sich das Materielle mit dem Geistig-Spirituellen. In diesem Werk sind alle Emotionen verpackt. Der musikalische Bogen ist von weich bis energisch sehr gekonnt dargestellt. Die musikalische Sprache ist unmittelbar für das Individuum, und gleichzeitig vereint sie im vierten Satz alle Menschen – es passiert eine Reduzierung auf das Wesentliche und doch bleibt sie vielfältig im Ausdruck. Beethoven zeigt im vierten Satz eine Vielfalt an menschlichen und Instrumentalstimmen. Diese in sich vereinte Energie bewegt bis heute viele Menschen. Nicht zufällig ist das Hauptthema des letzten Satzes zur Europahymne geworden.
David stellt eine wachsame Schönheit dar. Es scheint so, als wäre jede Zelle aus dem Marmorblock lebendig geworden. Tatsächlich war es auch so. Michelangelo erkannte dieses Potential im Statuario und machte sich an die Arbeit. Und das, ohne zu wissen, ob es ihm wirklich gelingen wird, ohne Anstückung den David heraus zu zaubern. So wie dieses Statuario mehrere Jahrzehnte auf seine Entfaltung im Florentiner Dom gewartet hat, warten viele Menschen darauf, gesehen und angenommen zu werden. Wenn sie einmal das Vertrauen und Zuversicht erfahren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihre wunderbaren Potentiale sichtbar werden.
Welche Projekte verfolgst Du aktuell und was planst Du?
Zunächst geht das interkulturelle Friedensorchester „Einklang“ in das 6. Projektjahr. Ferner bereite ich gerade einen umfassenden Universitätslehrgang für angehende Kunst- und Kulturschaffende in Wien und Zagreb vor.
Ab diesem Jahr stehen auch Kunstformate und KulturReisen an.
So habe ich bereits zum Jahresauftakt große Freude gehabt, mit Dir als KunstBotschafter die interaktive Veranstaltungsreihe „Das Barocke Feuer“ umzusetzen. Hier war ich als Kulturmanagerin+Plus tätig und konnte mit Reflexion bzw. mit Verbindungen der Kunstsparten im Kunsthistorischen Museum und in der Karlskirche zum ganzheitlichen Kunstgenuss beitragen. Mit Deinen KunstBotschaften und so wunderbarer kunsthistorischer Begleitung konnten wir mit großer Resonanz unsere TeilnehmerInnen aus drei Kontinenten erreichen. Die Kunst wurde mit diesem Format auch zur Lern- und Reflexionsplattform. Da danke ich Dir herzlichst für die großartige Zusammenarbeit. Der Veranstalter auf österreichischer Seite war der Kulturverein Quintessenz, den ich vor zwei Jahren mit weiteren vier Burgenländern gegründet habe, um Kultur(en), Künste und Menschen mit Kulturinitiativen zusammen zu führen.
Mit dem Zukunftsprojekt „Stimme verleihen“ möchte ich zudem die eigene Stimme als unmittelbaren Zugang zur Selbstwirksamkeit nutzen. Mit einem minimalen finanziellen Einsatz sollen Menschen erreicht werden, die sozial benachteiligt sind und daher unzureichend am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Stimme zu verleihen heißt, ihnen erste Referenzwerte in Bezug auf die Selbstermächtigung zu geben, um Motivation und Zuversicht zu erhalten, dass es sich lohnt an sich zu arbeiten und dass trotz schwerer Voraussetzungen im Leben, Kraft und Selbsterkenntnis einem geschenkt werden.
Eine Frage an die Visionärin in Dir: Welches langfristige Ergebnis Deiner Arbeit würde Dich innerlich zufrieden machen?
Die Entfaltung von Menschen ist ein essenzieller Beitrag zum Frieden, zum rücksichtsvolleren Umgang untereinander als auch mit der Natur. Den Frieden kann man nicht verordnen. Wenn wir ihn aber in seiner Schönheit erkannt haben, können wir alle ein gutes und qualitativ hochwertiges Leben führen. Es verschwinden Kränkungen, weil wir dann keine Schuld im Innen oder Außen suchen, sondern stets dankbar die Anforderungen des Lebens annehmen und die vielen Spiegelwirkungen um uns nutzen, um Entfaltung zuzulassen.
In diesem Sinne nutzen Sie Kunst und Kultur, die Selbsterkenntnis daraus wird Sie reich beschenken!