Zusammenarbeit ist einer der Schlüsselbegriffe im Werk des Künstlerkollektivs IRWIN. Während Zusammenarbeit natürlich die Conditio-sine-qua-non jeder Künstlergruppe ist, bedeutet dies im Fall von IRWIN noch etwas anderes: das Framing. Was auch immer IRWIN in den Blick nimmt, egal ob es das Werk anderer Künstler oder Teil einer anderen Realität ist, es wird zu IRWINs eigener Kunst. Während IRWINs Framing mit der Aneignung von Kunst in Verbindung gebracht werden kann, gründet es auch auf der konstruktivistischen Avantgardetradition. Übertragen auf IRWINs Sprache bedeutet das, dass Kunst zugleich Kunst und Urheberin eines neuen Kunstsystems sein kann, in dem das, was zuvor marginalisiert wurde, nun in den Mittelpunkt rückt.
IRWIN wurde 1983 ins Leben gerufen. Im folgenden Jahr gründeten IRWIN und zwei weitere Gruppen, die Multimediagruppe Laibach und das Theater der Scipion Nasice Schwestern (SSN), die Neue Slowenische Kunst (NSK), eine der wichtigsten Kunstbewegungen im ehemaligen Osteuropa. Die drei Gründungsgruppen teilten sich untereinander verschiedene Aufgaben auf: Laibach übernahm die Verantwortung für die Ideologie, die Theatergruppe SSN konzentrierte sich auf Religion, und IRWIN avancierte zum Chronisten der NSK. In dieser Funktion übernahm IRWIN anfänglich in seinen Gemälden verschiedene Motive von Laibach. Danach ging das Kollektiv dazu über, die regionale Avantgardetradition zu „archivieren“, in der die in den 1960er Jahren tätige Gruppe OHO besonders hervorstach.
Obwohl die Malerei das Hauptmedium von IRWIN ist – und hier ist ihre größte Errungenschaft das 1986 begonnene, immer noch laufende Projekt Was ist Kunst –, arbeitet die Gruppe auch mit anderen Formaten, bei denen die Zusammenarbeit immer ein wesentliches Element darstellt. 1996 begaben sich IRWIN sowie einige russische und amerikanische Künstler auf eine Reise durch die Vereinigten Staaten, „eine Fahrt von Ost nach West“, um über die osteuropäische Kunst zu diskutieren: Existiert sie überhaupt, oder ist sie nur ein Konstrukt? IRWIN „dokumentierte“ die Reise später in einer Kunstinstallation.
Wer sind die Mitglieder der IRWIN-Familie? In der Wandinstallation Retroavantgarda, die sie erstmals 1996 produzierten, umfasst der IRWIN-Familienstammbaum Künstler und Gruppen von der historischen Avantgarde bis hin zu ihrer eigenen Generation.
1992 verwandelte sich die Neue Slowenische Kunst in den „NSK State in Time“. Seither hat IRWIN verschiedene, damit in Zusammenhang stehende Projekte, darunter auch den Pavillon des NSK-Staates in Venedig bei der 58. Biennale im Jahr 2017, organisiert. Hier verkehrte IRWIN die vermeintlich normalen Verfahren der Kunstwelt ins Gegenteil: Die Gruppe selbst gab sich als Auftraggeber und Kommissar des Pavillons aus und lud zwei Kuratoren zur Konzeption der Ausstellung ein. Die Kuratoren beauftragten dann Ahmet Ögüt mit dem Entwurf der Kunstinstallation, bei der Asylbewerbern in der Region Veneto die Gelegenheit gegeben wurde, eine Migrationspolitik zu entwickeln und NSK-Pässe auszustellen. IRWIN gab der komplexen Zusammenarbeit schließlich in der Installation unter dem Namen IRWIN und Ahmet Ögüt den entsprechenden Rahmen.
In den 1990er Jahren arbeitete IRWIN mit drei Künstlern zusammen, die in das westliche Kunstsystem bereits bestens integriert waren: Marina Abramovic, Michelangelo Pistoletto und Andres Serrano. IRWIN lud sie zu Gemeinschaftsprojekten mit Medien ein, die diese Künstler normalerweise verwenden: Abramovic taucht in einem Foto auf, umgeben von den fünf IRWIN-Malern, so dass ihre körperliche Sexualität herausgestellt wird; Pistoletto nahm mit zwei Objekten teil – Zeichen für den menschlichen Körper als individuelles und relationales Subjekt; und Serrano schuf ein Gruppenporträt von den IRWIN-Mitgliedern, auf dem schwarze Quadrate anstelle von Schnurrbärten zu sehen sind.
All die Arbeiten verweisen auf die individuellen Praktiken der verschiedenen Künstler, die jedoch gleichzeitig Gemeinschaftsarbeiten sind. Eine ähnliche Herangehensweise finden wir in den Gemälden aus IRWINs Serie Was ist Kunst, von denen jedes von einem einzigen der fünf Mitglieder gemalt und dann in schwere schwarze Rahmen gesetzt wurde, welche die individuellen Werke zu einer Einheit zusammenfassen. Durch die Rahmen scheint IRWIN auszudrücken: Ich bin nur einer, wenn ich viele bin.