In der Ausstellung Medien-ver-gleich zeigt der Künstler Erik Swars (°1988) neue Arbeiten in diversen Techniken.
Swars’ Videoarbeit NTY (2Turner) zeigt einen Sonnenuntergang, der eine urbane Umgebung, die von zwei Hochhäusern gerahmt ist, in Spektren von Rot- und Orangetönen erleuchtet.
Schleichend tritt Ernüchterung ein, wenn die Sonne verschwindet und alles einem kühlen Grau, dem Vorboten der Nacht, überlässt. Erst jetzt, in dem Moment, in dem das unwiederbringliche Ereignis vorbei ist, wird die Schönheit bewusst, die sich aus der Vergänglichkeit des Moments ergeben hat. Diese schmerzhafte Erkenntnis paart sich mit dem retrospektiven Erinnern des Naturschauspiels und dessen imaginärer Reproduktion in unseren Gedanken und Erinnerungen. Beiläufige Geräusche wie das Entzünden eines Feuerzeugs oder technoide Musik im Hintergrund eröffnen Assoziationen zum Kontext der Umgebung und lassen individuelle Narrative entstehen.
Gleichzeitig löst der rot leuchtende Himmel ein ambivalentes Spiel der Empfindungen aus: Swars bezieht sich hier bereits durch den Titel auf den britischen, romantischen Maler William Turner (1775–1851). Dessen gleißende und strahlende Landschaftsbilder sind zu einer Zeit entstanden, nachdem der Staub des ausgebrochenen Vulkans Tambora 1815 zu einer Intensivierung der Morgen- bzw. Abendröte führte. Die gewaltsame Entladung einer natürlichen Kraft führt zu einer Steigerung der Ästhetik und, ganz im Sinne der Romantik, zu einer Unterordnung des menschlichen Individuums gegenüber der Natur. Es erinnert aber auch an gegenwärtige Bilder: So tragen auch Aufnahmen von Waldbränden, deren Ausmaße durch den Klimawandel angetrieben werden, ambivalente Auffassungen in sich. Rein ästhetisch erinnern sie oft an Sonnenuntergänge und sind von formaler Stärke, tatsächlich sind sie jedoch zerstörerisch und kosten vielen Lebewesen ihre Existenz.
In ohne Titel (last forever 1–3) hält Swars Schatten von Pflanzen auf der Bildoberfläche in verschiedener Intensität fest. Mal nur als diffuses Rauschen angedeutet, mal als eindeutige Silhouette einzelner Halme, die sich von einem Punkt ausgehend ausbreiten und mitunter von der Last des eigenen Gewichts abknicken. So wirken die Bilder in Serie wie sich entwickelnde Fotografien, deren endgültige Bildfindung nicht abgeschlossen ist. Das Kolorit und die reduzierte Bildsprache eröffnen Assoziationen zu archaischen Bildern, die in Höhlenmalereien das Prinzip des Umrisses nutzten, um z. B. die eigene Existenz in Form der Hände darzustellen. Auf der anderen Seite erhalten die Bilder durch das Rauschen und das giftig anmutende Gelb auch eine abstoßende, bedrohliche Wirkung. So erinnern die Bilder an Aufnahmen nach Strahlenkatastrophen, bei denen die hohe Strahlung ein Rauschen in den Bildern entstehen lässt. In diesem Kontext wirken die Bilder wie der Versuch, Natur zu konservieren und vor bevorstehenden globalen Krisen zu schützen.
Swars bricht immer wieder die Grenzen zwischen Fotografie, Malerei und Objekt auf. So zeigt er ein Porträt der amerikanischen Popsängerin Taylor Swift (*1989). In monochromen Farben schaut sie aus dem Bild heraus. Es scheint, als ob eine hinter dem Bild verborgene Kraft das Bild an die Oberfläche pressen würde. Die Konturen und die Topografie des Gesichts scheinen glatt gedrückt zu werden und flachen immer mehr zu ebenen, abstrakten Flächen ab. Es bleibt ein gleichzeitig sinnliches wie verstörendes Abbild, das einer der Galionsfiguren der gegenwärtigen Popkultur ein Stück Anonymität und Autonomie verleiht. Gleichzeitig erinnert die homogene Oberfläche und die gleichmäßigen Proportionen des Gesichts an digitale Avatare, die zum einen als Parallelidentitäten in der digitalen Welt genutzt werden können und zum anderen uns, seit den jüngsten Fortschritten künstlicher Intelligenz, als Personifizierung von Algorithmen dienen.
In Ohne Titel (Ponte San Moisé) zeigt Swars eine Szene in Venedig: Menschen nutzen eine Brücke in beiden Richtungen. Eine scheinbar anonyme Masse bewegt sich wie Punkte auf einem Koordinatensystem, dessen momentane Position klar ist und sich im nächsten Augenblick verliert. Kenner des Kunstbetriebs entdecken in der telefonierenden Figur auf der letzten Stufe der Treppe den einflussreichen Kurator Hans Ulrich Obrist (°1968). Swars spielt mit Codes, die den Wissenden eine Deutungsmöglichkeit vorgeben: die Bedeutung einzelner Akteure im internationalen Kunstbetrieb, die durch ihre Entscheidungen den Kanon der zeitgenössischen Kunst bestimmen. Ohne den Kontext funktioniert das Bild als Porträt einer Stadt, die von einer reichen Geschichte geprägt ist und heute mit ökologischen Krisen und Massentourismus zu kämpfen hat.
Swars’ Werke fordern den Betrachter dazu auf, Wahrnehmungs- und Sehstrategien für die omnipräsenten Bilder unserer Gegenwart neu zu kalibrieren. Dabei stellt er auch immer Bezüge zwischen Malerei und Fotografie her, deren Grenzen er immer wieder neu auslotet und multiperspektivisch betrachtet, sodass wechselhafte Rezeptionsverläufe entstehen können.
(Text von Leo Wedepohl, 2024)