Matthias Weischer zeigt zum Gallery Weekend 16 neue Werke in der Nave der König Galerie. Der Maler, der sich in den letzten Jahren verstärkt der Landschaftsmalerei zugewandt hatte, ist zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt: Weischer war Anfang der 2000er Jahre vor allem mit eindrucksvollen Interieurs bekannt geworden und knüpft nun wieder an dieses Bildsujet an. Die kleinformatigen quadratischen Bildräume, die aus vier Farbflächen zu einer Art Guckkasten zusammengefügt sind, konnte man bei dem Künstler auch schon vor fünfzehn Jahren sehen. Umso interessanter sind die Abweichungen, die sich jetzt erkennen lassen.
Weischer arbeitet nun in Serien, bei denen auf drei, vier Bildern das gleiche Sujet mit leichten Variationen wiedergegeben wird, etwa bei jenen Bildern mit einer Matratze. Die Bildräume sind identisch konstruiert, unterscheiden sich aber in ihrer Farbigkeit oder in der Lage der Gegenstände. Zudem handelt es sich nicht mehr wie bei den früheren Arbeiten um hermetische Farbräume, sondern diese werden jetzt zusätzlich von Ornamenten strukturiert. So sind alle vier Räume von einer Stuckleiste umrandet, die aber keine klassischen Verzierungen aufweist, sondern mit ihrem modern wirkenden geometrischen Muster zum ironischen Kommentar über das Ornament wird. Hatte die moderne Architektur nicht im Ornament ein „Verbrechen“ gesehen und es aus der Innenarchitektur verbannt? Der konstruktivistische Stuck ist so etwas wie ein gemaltes Oxymoron und steht seinerseits im Kontrast zu den floralen Ornamenten der an der Wand lehnenden Matratzen.
Es gibt in diesen Bildern nicht nur jene Akzentverschiebung zu einer stärkeren Strukturierung, sondern unterhalb der Kopfkissen kann man auch eine Stelle erkennen, wo sich der Bildraum in die Elemente aufzulösen scheint, aus denen er entstanden ist. Im ersten Moment denkt man vielleicht an verstreute Kleidungsstücke, doch je länger man hinsieht, desto amorpher wird der Eindruck, bis man am Ende nichts als eingetrocknete Farbe auf dem Fußboden wahrnimmt. An manchen Stellen malt Weischer die Designoberflächen der Interieurs in einer Weise, dass man ihnen die Materialität der Farbe und der Leinwand ansieht. Hier verwandeln sich die Wohnmodule in bewohnte Räume, die Malspuren werden zu Lebensspuren. Man kann diese kleine Serie durchaus als Konzeptbilder betrachten, die in komprimierter Form etwas über die Intention aussagen, die Weischer verfolgt: seine Bilder sind jetzt konstruierter und elementarer zugleich. Aus diesem Widerstreit zwischen Ornament und Farbpallette gewinnen die neuen Interieurs ihre Spannung.
Wo dieser Neuansatz hinführt, zeigt sich bei der Serie aus drei Bildern am deutlichsten, die an ein Hotelzimmer erinnern, gerade weil die Inneneinrichtung der Räume immer gleich bleibt. Die Gegenstände, die zur Standardausstattung gehören wie Bett, Hocker, Lampe, Duschvorhang, finden sich in jedem Raum wieder; persönliche Sachen wie ein Blumenstrauß, ein Buch, ein Kalender und die Kleidung variieren im Bild. Eigentlich versinnbildlicht das Hotelzimmer aber die modularen Lebensräume, in denen man sich auch im Alltag längst eigerichtet hat. Der Blick für das Industriedesign wird durch das Ornament geschärft, das sich gleichermaßen auf den Tapeten, Duschvorhängen, Bettdecken und Schrankwänden wiederfindet. Die Bilder scheinen zur Metapher dafür zu werden, wieviel oder wie wenig Gestaltungsspielraum den Menschen tatsächlich bleibt, die in diesen Räumen leben. Deshalb tauchen bei Weischer auch häufiger und weniger umrisshaft als früher Figuren in den Bildern auf. Am Ende gehört selbst noch die Kunst zur Innenausstattung, wie man an den Gemälde-Reproduktionen sieht, die jeweils an derselben Stelle im Raum angebracht sind. Diese Bilder im Bild, die exemplarisch für ganz unterschiedliche Kunstepochen stehen, stechen aus den abstrakten Interieurs heraus. Was man ihnen selbst in dieser doppelten Brechung noch ansieht und was sich wohl erst in einer solchen reproduzierten Reproduktion zeigt, ist, dass diese einem bekannt und vertraut vorkommenden Bildsujets einen ästhetischen und geistigen Gehalt aufweisen, den das Industriedesign nicht besitzt.
Matthias Weischer (*1973 in Elte, Deutschland) lebt und arbeitet in Leipzig, wo er seine Masterstudien an der Hochschule für Grafik und Buchkunst 2003 absolvierte. Einzelausstellungen fanden im Gemeentemuseum, Den Haag (2014); Museum der bildenden Künste Leipzig (2010); Kunsthalle Mainz (2009); Centro de Arte Contemporáneo de Málaga (2009); Neuer Berliner Kunstverein (2007) und Ludwig Forum Internationale Kunst, Aachen (2006) statt. Im Jahr 2005 nahm Weischer an der Prager Biennale und der 51. Biennale Venedig. Er erhielt das Eduard-Arnhold Stipendium (2017), das Stipendium der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo, Rom (2007); den Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung (2005); das Stipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn e.V. (2002) und war Preisträger des August-Macke-Preises, Stadt Meschede (2005) und der Rolex Mentor und Masterstudent Initiative mit David Hockney (2004) unter anderem. Werke von Weischer sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, darunter Weserburg, Bremen; Museum Voorlinden, Wassenar; Arken Museum of Modern Art; Museum für Moderne Kunst (MMK), Frankfurt am Main; Gemeentemuseum, Den Haag; MOCA Grand Avenue, Los Angeles und The Saatchi Gallery, London. Seine Arbeit ist Gegenstand mehrerer Monografien.