carlier | gebauer freut sich, mit Incarnator Paul Pfeiffers fünfte Einzelaus-stellung in der Galerie anzukündigen. Pfeiffers Incarnator-Serie ist eine Fortsetzung seines gleichnamigen, international beachteten Videos, das nun anhand einer Reihe von lebensgroßen Skulpturen in die Realität übergreift. Alle Skulpturen entstanden 2018 während der sechsmonatigen Residenz des Künstlers in der Künstlerstiftung Bellas Artes Projects in Bagac, in der philippinischen Provinz Bataan. Pfeiffers Galeriepräsentation von Incarnator folgt der von Diana Campbell Betancourt kuratierten Ausstellung bei Bellas Artes Projects.

Der Titel Incarnator leitet sich ethymologisch von ‚encarnador‘ ab – ein Fachbegriff aus den Bildkünsten für das Malen und Fassen nackter, menschlicher Körperteile, die lebensecht wirken. ‚Encarnación‘, oder ‚ins Fleisch setzen‘, ist eine tradierte, künstlerische Technik, die vorrangig zur Darstellung religiöser Motive und heidnischer Götter eingesetzt wurde und in der Bildhauerei auch Fassmalerei genannt einen eigenständigen Produktionsprozess beschreibt. Theologische wie weltliche Bedenken zur Verwendung des Inkarnats in der Skulptur haben sich über die Jahrhunderte hinweg gehalten – warum, zeigt sich bspw. eindrücklich in der Massenanbetung des Santo Niño de Cebú, einer polychrom gefassten Ikone, die Ferdinand Magellan 1521 von Spanien auf die Philippinen brachte. Durch einen Brand schien diese Figur verloren geglaubt, doch fand sie sich einige Jahre später in einer Holzkiste nahezu unversehrt wieder. Der Santo Niño, der in vielen Privathäusern und Betrieben im ganzen Land zu finden ist, ist das beliebteste Andachtsobjekt auf den Philippinen und zugleich die identitätsstiftende Ikone der philippinisch-katholischen Glaubensgemeinden. Der im April 2017 veröffentlichte Song Despacito (Spanisch für ‚langsam‘) eroberte den globalen Äther im Sturm, war es doch das erste Mal, dass der kanadische Popstar Justin Bieber auf Spanisch sang. Justin Bieber wurde im Alter von gerade zwölf Jahren von der Musikindustrie entdeckt, durch ein Video, das er auf YouTube hochgeladen hatte. Sein Bild und seine Identität wandelten sich von dem eines unschuldigen Jungen zu der unverkennbaren Ikone des Wertekapitalismus des 21. Jahrhunderts, die wir heute auf der ganzen Welt sehen und hören. Seine größten Fans, die man auch ‚beliebers‘ nennt, sind Kinder, die zu ihm als als mächtige Popgröße aufsehen – ein Beweis dafür, dass es möglich ist, ein Global Player zu sein, ein Kind als König.

Pfeiffers Film Incarnator beginnt mit einer Szene eines YouTube-Videos, in dem ein Mädchen in Bangladesch weinend darum bittet, dass Justin Bieber in ihr Land kommen möge. Einstellungen später schwenkt die Kamera auf Kinder, die in den Bäumen von Bataan spielen. Mit Handbewegungen ahmen sie Bieber’s ikonischen Haarschnitt nach und stellen sich ein Leben mit gesteigerter Bieber’scher Stärke und Allgegenwart vor. Als wahrhaft globales Phänomen wurde Bieber zu einem der ersten Popstar-Evangelisten der Welt, der das Christentum über seinen InstagramAccount (mit über 100 Millionen Anhänger) verbreitet, und zwar mit der gleichen Leidenschaft und Methode, mit der er seine Songs vermarktet. Singen die Kinder den Song Despacito nach zeigen sie sich wie von fremden Zungen überwältigt, wobei sich die extrem sexuelle Konnotation des Songs verliert sobald dieser von nicht Spanisch sprechenden Menschen gesungen wird (wie bspw. vom Mädchen aus Bangladesch in Pfeiffers Video).

“Für mich umreisst der Begriff ‚Inkarnator‘ das Herstellen, das Produzieren eines Images“, so Pfeiffer im Gespräch mit der Kuratorin Diana Campbell Betancourt, „die Produktion eines Bildes. Die Produktion von menschlichem Fleisch.... Was mich interessiert, ist die Bedeutung von Produktion im globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, wo die Produktionsmittel radikal getrennt von ihrem natürlichen Gebrauch existieren. Das ist Marx im 21. Jahrhundert, perfektioniert für ein globales Programm; einer Markenproduktion, mit der die Unschuld eines Kindes in ein gewinnbringendes System verwandelt wird“. In Zusammenarbeit mit Willy Layug, einem der führenden und bekanntesten Andachtsbildner der Philippinen, der bei ‚Encarnadores‘ in Spanien gelernt hat, wurde das Image Justin Biebers mit traditionellem Handwerk inkarniert, auch mit dem Akzent auf die wachsende Zahl an Tattoos, die den tätowierten Satz “Sohn Gottes” auf Biebers Bauch umgeben.

Fasziniert von den neuen Technologien industrieller Massenfertigung und gemeinsam mit seinem Team sowie den Handwerkern von Las Casas Filipinas de Acuzar erweiterte Paul Pfeiffer seine skulpturalen Überlegungen. Er ließ Porträtbüsten der Kinder der Handwerker über modernste 3DScan- und Drucktechnik und, im nächsten Produktionsschritt, in manueller Holzschnitztechnik anfertigen. Letztere wurde von einem Meister aus der für ihre Schnitzereien berühmten Stadt Paete vermittelt. Damit verkörpern die Porträtbüsten die selten sichtbaren Effekte, die der Einsatz digitaler Technik in viele analoge und manuelle Aspekte des Lebens hat.

Paul Pfeiffer (geb.1966, in Honolulu) lebt und arbeitet in New York. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, darunter ein Fulbright-Hayes-Stipendium und den Bucksbaum Award des Whitney Museums. 2011 widmete ihm die Sammlung Goetz, München, eine Retrospektive. Ausgewählte Ausstellungen: Whitney Museum of American Art, New York, MIT List Visual Arts Center, Cambridge USA, Museum of Contemporary Art Chicago, Chicago, National Gallery of Victoria, Melbourne, MUSAC León, León, Hamburger Bahnhof, Berlin, Baibakov Art Projects, Moskau, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo, Blanton Museum of Art, Austin, Artangel, London, Museum of Contemporary Art and Design, Manila. Seine Arbeiten befinden sich in internationalen Sammlungen wie LACMA, Los Angeles, Hamburger Bahnhof, Berlin, Pinault Collection, Paris, Castello di Rivoli, Turin und MoMA, New York.