carlier | gebauer freut sich, die Einzelausstellung mit Asta Gröting zu präsentieren, die am Freitag, den 26. April von 18-21 Uhr eröffnet. Not feeling too cheerful: reclining figures, facades and more (27. April – 1. Juni 2019) ist die 5. Einzelausstellung der Künstlerin in der Galerie.
Asta Gröting übersetzt in ihrer vielfältigen künstlerischen Praxis, die sie seit Mitte der 1980er Jahre entwickelt hat, ihre künstlerischen Gedanken in unterschiedliche Medien. Gröting schreibt eine Art Wörterbuch von raumgreifenden Skulpturen, um das Abwesende sowie die physischen und emotionalen Zwischenräume bei Menschen und Dingen zu benennen. Ob an Familienmitglieder, Freunde, Liebende oder historische Figuren gerichtet, Gröting strebt mit ihrer medienübergreifenden Arbeit danach, abstrakte Eigenschaften wie Denken, Intimität, Trauer, Konflikt und Subjektivität abzuformen. Ihre andauernde Auseinandersetzung mit Zwischenräumen, Innenräumen und inneren Organen hinterfragt den Sozialkörper, indem er ihm etwas wegnimmt und „allows this absence to do the talking“, also dieser Abwesenheit erlaubt, das Gespräch zu übernehmen, wie es die Autorin Deborah Levy ausdrückt.
Grötings aktuelle Ausstellung bei carlier | gebauer widmet sich in drei neuen Arbeitszyklen und ausgewählten früheren Arbeiten der Verletzbarkeit und dem Verletzten sowie dem An-dieOberfläche-Bringen. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten zeugen von einem erweiterten Körperbegriff, der Michel Serres’ Vorstellung von einem „Gemenge und Gemische” (im Sinne von ineinander verschmolzenen Körpern) ins Gedächtnis ruft. Serres zufolge ist der Körper „eine Welt“ und ein offenes, gemischtes menschliches Dasein, das durch den Kontakt mit anderen Körpern – sei es menschlichen Körpern, Sozialkörpern oder metaphorischen Körpern – zum Leben erweckt wird. In Grötings Arbeiten sehen wir eine Faszination von den unsichtbaren Welten, die unter der Oberfläche verborgen sind und von dem stillen Abgrund, der zwei Körpern oder Dingen innewohnen kann.
Um ihre aktuelle Serie Berlin Fassaden (2016–2018) zu erschaffen, hat Gröting die Fassaden öffentlicher Gebäude, die im 2. Weltkrieg beschädigt wurden, in Silikon abgeformt. Wie Gesichter weisen auch Gebäude „Narben, Pocken und Verletzungen“ auf. Grötings Silikonabformungen geben nicht nur die architektonische Struktur der Gebäude preis, sondern sie bringen darüber hinaus die Tiefe der Einschusslöcher an die Oberfläche – bauchige Vorsprünge und Wölbungen, die auch Sandsteinpartikel, Dreck, Staub und Farbreste enthalten, die sich über die Jahrzehnte in den Löchern angesammelt haben. Da diese Strukturen im Zuge städtischer Renovierungen verschwinden – die Strategie der Städte, die Spuren des Krieges auf öffentlichen Flächen auszuradieren – kann man Grötings forensischen Ansatz gegenüber den beschädigten Fassaden Berlins in diesem Kontext als einen Protest gegen das Vergessen verstehen. Die Fassaden sind eine „plastische Langzeitbelichtung, eine einzige, ununterbrochene Aufnahme, die sich durchs ganze 20. bis ins 21. Jahrhundert hineinschiebt.“ (Deborah Levy: Berlin Fassaden. Die archäologische Metapher.) Grötings jüngstes Video Things zeigt eine ähnliche Betonung der Langsamkeit. 16 verschiedene Gegenstände, die vom Alltäglichen (ein Handschuh) bis hin zum Außergewöhnlichen (ein Oktopus) reichen, gleiten durch die Luft und schweben langsam nach unten. Dies beschreibt das immense Spektrum der Dinge, die uns im täglichen Leben umgeben; es ist eine Hommage an die Langsamkeit, die jeden einzelnen Gegenstand mit einer in die Länge gezogenen Intensität, die ans Komödiantische oder Absurde grenzt, untersucht.
Mit Reclining Figures übersetzt Gröting die in der Kunstgeschichte traditionelle Assoziation von der Liegenden Figur: Anstatt sie dem Blick preiszugeben, verdeckt sie diesen Blick – und stellt das existenzielle Ausgesetzsein des menschlichen Körpers, der auf dem Boden ruht, aus. Die Reclining Figures sind aus Wachs- und Epoxidharz gegossene Schlafsäcke in gewundener Haltung und von Kokon-artiger Erscheinung. Damit weist Gröting auf die Fragilität des menschlichen Körpers hin sowie auf den Versuch, ihn zu schützen. Emanzipiert vom gewohnten Verständnis des Körpers, zeigt die Skulptur Verdauungswege (1990) nicht nur den unbekannten Teil des Körperinneren, sondern weist auch auf die sinnlichen und affektiven Aspekte des Enterischen Nervensystems hin – auf dem Boden vor uns ausgebreitet liegt das „zweite Gehirn“ des Körpers, von dem die antiken Philosophen behauptet haben, dies sei die Heimat der Seele. Emoji-Skulpturen aus gefärbtem und verspiegeltem Glas mit dem Titel Not feeling too cheerful überblicken die gesamte Ausstellung – ihr emotionaler Ausdruck des Lächelns geht über in ein kühles, glänzendes Piktogramm.
Asta Gröting (geb. 1961 in Herford) lebt und arbeitet in Berlin. Kommende Einzelausstellung: Where do you see yourself in 20 years im Centre Pasquart in Biel/Bienne sowie die Gruppenausstellungen Life Casts, James-Simon-Galerie, Staatliche Museen zu Berlin; Kleinplastik Triennale, Fellbach; L’homme qui marche, Kunsthalle Bielefeld; Sculptures infinies, Palais des Beaux Arts, Paris; und Goethe – Verwandlung der Welt, Bundeskunsthalle, Bonn. Gröting hatte zahlreiche Einzelausstellungen u.a. im KINDL – Centre for Contemporary Art, Berlin; Kunstraum Dornbirn, Austria; ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologien, Karlsruhe; n.b.k., Berlin; Lentos Kunstmuseum Linz; Henry Moore Institute, Leeds; und Marta Herford. Sie hat an zahlreichen renommierten internationalen Ausstellungen, inklusive der 22. Biennale von São Paulo, der 8. und 14. Biennale von Sydney sowie der 44. Biennale von Venedig mitgewirkt. Asta Gröting ist Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.