Rinus Van de Velde (Belgien, 1983) ist für seine großformatigen Kohlezeichnungen bekannt und ein einflussreicher Künstler dieses Mediums. Durch Geschwindigkeit, Direktheit und Fähigkeit zur Weltenerschaffung, ist Zeichnen nach wie vor der Motor seiner künstlerischen Praxis. Um ein Werk zu erschaffen, geht Van de Velde jedoch lange und aufwendige Umwege über andere Medien, darunter Installation, Skulptur und Video. Seine Arbeit entwickelte sich graduell aus einer Notwendigkeit heraus, fotografische Dokumente zu erschaffen und zu kontrollieren, die seit jeher als Quellenmaterialien für seine Zeichnungen dienen. Anfangs waren es noch bereits existierende Dokumente, entnommen aus Zeitschriften oder Archiven. Seit einigen Jahren produziert der Künstler nun seine eigenen Quellen, die Banalitäten und Fetische der zeitgenössischen Kunst, des Kinos sowie der kommerziellen und dokumentarischen Fotografie referieren und diese abstrahieren. Für Van de Velde ist der Akt des Zeichnens ein nie endender Produktionsprozess, in dem das Imaginäre als Ganzes in subjektive Bilder transformiert wird, die eine kohärente visuelle Sprache und Narration vereint. Im Zentrum dieses Narrativs steht das Alter Ego des Künstlers, das häufig in geschlossenen, studioähnlichen Umgebungen arbeitet.
Als wichtiger Teil seiner Arbeit baut Van de Velde in seinem Studio lebensgroße Dekors aus Pappe und Holz. Diese Dekors bieten dem Künstler zahlreiche Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Erzählungen und Bildsprache. Sein fiktionales und karikatives Universum erlaubt es Van de Velde, sich selbst in verschiedene Rollen zu casten und so ganz unterschiedliche Personen, Genres und Kunstformen zu bewohnen. Ursprünglich wurden die Dekors als Vorstudien für die Zeichnungen gebaut. Sie formten die Settings für seine Narrative, die er selbst mit Menschen seines näheren Umfelds im Studio entwickelt und ausspielt. Indem er die Charaktere in den Dekors fotografiert, kreiert Van de Velde eine abstrakte Realität, ein Paralleluniversum, in welchem seine imaginären Handlungsstränge stattfinden. Diese Studio-Fotografien nutzt er als Quellenmaterial für seine markanten schwarz-weißen Kohlezeichnungen, womit die Bilder erneut transformiert und schließlich zu einer reduzierten Realität in Graustufen werden.
In der KÖNIG GALERIE zeigt Van de Velde eines dieser Dekors als eigenständige Installation. Es ist ein Set für einen Film, an dem er seit zwei Jahren arbeitet und der Ende 2019 erstmals gezeigt wird. Das Dekor ist einer der zentralen Schauplätze des Films: Ein scheinbar veralteter Kontrollraum mit elektronischen Instrumenten, Bildschirmen, Knöpfen und Griffen, von wo aus der Künstler-Charakter die Handlungen der anderen Figuren überwacht. Erinnernd an den Handelsplatz der Börse oder das Hauptquartier des Bösewichts aus einem James Bond Film ist dies der Ort, an dem Informationen die Form von abstrakten Mustern annehmen.
Zusammen mit der Installation zeigt der Künstler vier großformatige Zeichnungen. Sie stellen Szenen dar, die auf den ersten Blick nichts mit dem Dekor direkt zu tun haben. Nichtsdestotrotz könnten sie als willkürliche Bilder auf einem der Monitore erschienen sein. Die Szenen sind – wie immer in Van de Veldes Arbeit – mit kurzen erzählenden Texten ‚untertitelt’. Diese aufblinkenden Fragmente einer fehlenden Fiktion sind durch das wiederholte Auftreten einer Ich-Figur, vermutlich dem Künstler oder seinem Avatar, miteinander verbunden. Auf einem Selbstporträt wird dieser dabei dargestellt, wie er eine Zigarette raucht. „In meinem Keller“, liest sich eine Zeichnung, „kontrolliere ich die Außenwelt auf meinen selbstgebauten Computern. Damit verursache ich Stress und Angst unter denen, die die Muster nicht sehen.“ Aber „hier gewinnen ist dort verlieren“, liest sich eine andere Zeichnung als aufschlussreiche Wiederaufnahme einer vorhergehenden: Welche Struktur der paranoide Verstand auch immer erdenkt, sie ist durch das ergänzt, was unberührt bleibt. Geht man tiefer in die Zeichnung, so ist das was bleibt ein abstrakter Kohlefleck gegen das Weiß der Leinwand. Genau diese Spannung zwischen dem Zeigen und Vorenthalten und zwischen textuellen, grafischen und skulpturalen Regimen ist der Motor hinter der paradoxen ‚totalen’ Kunst dieser Installation.
Rinus Van de Velde wurde 1983 in Leuven, Belgien, geboren. Seine Werke wurden unter anderem in folgenden Einzelausstellungen gezeigt: Now I am the night of nights, Kunstpalais Erlangen (2018); Rinus Van de Velde, Gemeentemuseum (2016); Donogoo Tonka, SMAK, Ghent (2016); Kunsthalle Sao Paolo (2015); und CAC Malaga (2013). Außerdem nahm Rinus Van de Velde an zahlreichen Gruppenausstellungen teil: z. B. in der Hayward Gallery, UK (2018-2019); im Kunstmuseum Luzern (2018); im Kunstmuseum Gelsenkirchen (2018); und im CAFA Art Museum Beijing, China (2014). Van de Veldes erste Einzelausstellung The Colony (2017) in der KÖNIG Galerie wird im März 2019 in Teilen im KWM Art Center Beijing gezeigt.