In One Day For Eternity, der dritten Einzelausstellung der Künstlerin in der König Galerie, setzt Tatiana Trouvé sowohl ihre Auseinandersetzung mit Zeit, Raum und Erinnerung, als auch dem erweiterten Kontext des kreativen Prozesses fort. Die Ausstellung präsentiert die neueste Installation einer Serie mit dem Titel Les Indéfinis.
Die Ursprünge dieses Werkkomplexes liegen in den unzähligen Transformationen, die ein Kunstwerk erduldet: von einer Idee zu einer Arbeit und schließlich zum Status eines gesammelten Objekts — ein dynamischer Prozess, der an folgende These des Sozial- und Kulturanthropologen Arjun Appadurai erinnert: „alle Dinge sind erstarrte Momente in einer längeren sozialen Trajektorie [...] kurze Ablagerungen dieser oder jener Eigenschaft, Fotografien, die die Realität der Bewegung verschleiern; ihre Objekthaftigkeit ist eine momentane Atempause”. Die Künstlerin hebt ihre Frustration mit der Schwierigkeit der Ausleihe eigener Kunstwerke für Ausstellungen als eine der Inspirationen für Les Indéfinis hervor, indem sie eine Sammlung schafft, die sich jeglichem Einfangen entzieht. Es entsteht ein unbehaglicher Raum der Zwiespältigkeit — eine Operation, die weniger aus dem Bereich der Theorie hervorgeht, als aus dem intuitiven und fantastischen Raum der Fiktion, nämlich der Arbeit von Schriftstellern wie Italo Calvino, Jorge Luis Borges, Georges Perec und Dino Buzzati. Trouvé erklärte einmal, dass ein Hauptmechanismus der Fiktion nichts weiteres sei als eine Verdoppelung der Dinge, und genau solch ein versteckter Vorgang der Verdoppelung findet in den beunruhigenden, liminalen Räumen ihrer Zeichnungen, Skulpturen und Installationen statt.
In Les Indéfinis umgibt eine Ansammlung von Metall-, Marmor- und Holzsockeln die gläserne Reproduktion einer gigantischen Transportkiste. Von jeder Basis erstrecken sich schlanke Metallstützen unterschiedlicher Höhe. Obwohl sie sich auf wirkliche Werkzeuge beziehen, die für die Ausstellung von Artefakten in anthropologischen und ethnologischen Sammlungen verwendet werden, artikulieren diese eleganten, spindeldürren Armaturen in ihrer aktuellen Konstellation, ganz ohne Funktion, ein Territorium von Leere, Abwesenheit und Erinnerung. Laut Walter Benjamin postuliert eine Sammlung eine imaginäre Topografie der Erinnerung. Sie ist ein komplexes Mittel zur Konstruktion des Bewusstseins; ihre Ordnung ist innerhalb der Kluft zwischen Erinnern und Vergessen begrenzt. Hier ist die besagte Sammlung Trouvés eigenes Oeuvre, auf welches sie durch die rosafarbenen Etiketten, die an jedem leeren Podest hängen, verweist. Jedes Etikett enthält den Titel, das Datum und die Inventarnummer eines einzelnen Werkes; einige, wie Desire Lines, existieren tatsächlich, andere Etiketten listen jedoch Werke auf, die fiktiv sind oder noch entstehen werden. Wie Trouvé selbst schon erklärte, „werden Werke durch unsere Erinnerung an sie bereichert, es kann dabei die Erinnerung an eine bestimmte Form, ein Material oder eine Intuition sein”. In der Tat bilden poetische Mimesis und die Schaffung von Erinnerungsarchitekturen den Kern der künstlerischen Produktion von Tatiana Trouvé. Dies war bereits erkennbar in ihrer ersten bedeutenden Arbeit Bureau of Implicit Activities, ein künstlerisches Projekt, das Trouvé als „ein Gehirn, ein großformatiges Porträt eines Lebens" beschrieben hat. Ähnlich wie B.I.A. schlägt Les Indéfinis eine gefühlsanregende Architektur vor, die die Mechanismen des Erinnerns und Vergessens aktiviert, um somit schwer fassbaren Echos der Vergangenheit eine greifbare Form zu verleihen.
Tatiana Trouvé (* 1968) lebt und arbeitet in Paris. Zu jüngsten Einzelausstellungen gehören Villa Medici, Rom, Italien (2018); Red Brick Art Museum, Beijing, China (2016); Public Art Fund, New York (2015); Museion Bozen, Italien (2014); MAMCO, Genf, Schweiz (2014); Kunsthalle Nürnberg, Deutschland (2014); Kunstmuseum Bonn, Deutschland (2014); Schinkel Pavillon, Berlin, Deutschland (2014); Kunsthaus Graz, Österreich (2010), Migros Museum, Zürich, Schweiz (2009); Kunstverein Hamburg, Deutschland (2009), Johann König, Berlin, Deutschland (2007) und Palais de Tokyo, Paris, Frankreich (2007). Sie hat an der Istanbul Biennial (2017), der Biennale de Lyon (2014), der São Paulo Biennale (2010) und der La Biennale di Venezia (2007 und 2003) teilgenommen. Sie erhielt zahlreiche Kunstpreise, darunter den Prix Marcel Duchamp (2007).Werke von Trouvé sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, unter anderem im Centre Georges Pompidou; Migros Museum, Zürich, Schweiz und MAMCO, Genf, Schweiz. Ihr Werk wird in mehreren Monographien hervorgehoben.