„Wer die Bilder kontrolliert“, sagt Andreas Mühe, „kontrolliert die Wirklichkeit. “Es geht um Macht, darum, zu bestimmen, was ist und was gelten soll. Darum, welche Bilder, wann was zeigen, wie sie es zeigen, wem sie es zeigen– und Andreas Mühe (*1979, Karl-Marx-Stadt) ist ein Meister darin, diese der Macht zu Grunde liegenden Mechanismen ins Bild zu rücken, ihre bewussten und unbewussten Ideologien aufzuspüren und so kompromisslos wie subversiv zu reinszenieren. Subversion ist Erschütterung von Macht, ist der Versuch des Umsturzes der bestehenden Ordnung, eine Art selbstermächtigter Ausnahmezustand.
Der Staatsrechtler Carl Schmitt erklärte, dass souverän – also mächtig –ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet; dass die Macht bei dem liegt, der bestimmt, welches Recht gilt und welches nicht. In Anlehnung an das geläufige Diktum könnte man im Angesicht der Kunst Andreas Mühes auch sagen:„Subversiv – also machterschütternd – ist, wer den Ausnahmezustand bewusst herbeiführt, ins Bild setzt und untergräbt.“ Genau das passiert bei Andreas Mühe, er will die Macht, der uns bekannten Bilder im Auge des Betrachters erschüttern, Erwartungen zerstören, Ordnungen und Bedeutungen unterlaufen, Propaganda enttarnen, alles in Wallung bringen und in Frage stellen.
Zu diesem Zweck zeigen Mühes mit großem Aufwand akribisch inszenierte und mit analoger Großbildkamera fotografierten Arbeiten immer wieder genau das – eine Art Ausnahmezustand, die Ausnahme von der Selbstverständlichkeit. Bisweilen nur minimal und subtil angedeutet, doch mit dem Effekt maximaler Erschütterung beim Betrachter. So sehen wir Angela Merkel gedankenverloren mitten im Grünen unter einem Baum an einem Gewässer stehen – plötzlich wirkt sie wieder wie ein junges, träumerisches Mädchen aus der Uckermark (Unterm Baum, 2008).
Die Ausstellung Subversive Praktiken versammelt zentrale Arbeiten Andreas Mühes aus sämtlichen relevanten Werkzyklen wie „Obersalzberg“, „Neue Romantik“oder „A.M. – Eine Deutschlandreise“ und spannt dabei einen zeitlichen Bogen von rund fünfzehn Jahren. Wir sehen selbstverliebte Nazis im malerischen Ambiente des Berchtesgadener Landes (Selbstbildnis I, 2012), wir sehen Dresdener Ultrasrauschhaft ihr Fan-Tum in der Semperoper feiernd (Die Hugenotten I, 2017).
Immer wieder fallen scheinbar romantische Landschaften ins Auge, der deutsche Wald als Mythos (Gespensterwald, 2015), der Kreidefelsen (Kreidefelsen,2014), ein meisterhaft stimmiges Spiel von Licht und Schatten; man fühlt sich an Caspar David Friedrich erinnert, doch ist hier keine Einstellung naiv oder verklärend. Der Obersalzberg kann es nicht sein, die Idylle des einsamen Jagdhauses von Erich Honnecker ebenso wenig. Es ist der maximale Bruch mit derRomantik gerade durch den radikalen Einsatz romantischer Mittel.
Zusammengenommen ergibt die Auswahl der gezeigten Fotografien ein subtil-verstörendes Sittengemälde dessen, was im weitesten Sinn deutsch zu nennen ist. Mehr noch als das, genau genommen gelingt Mühe hier eine komplexe Art der Familienaufstellung, wie sie in der psychologischen Praxis zur Analyse familiärer Beziehungsmuster zur Anwendung kommt – es geht in beiden Fällen um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Herkunftssystem.
So nun findet sich in der Ausstellung Subversive Praktiken der Betrachter unwillkürlich in prominenter Position wieder – um ihn herum gruppieren sich durch Mühes Fotografien plötzlich die Protagonisten unser aller Leben, deren Wirken aufs eigene Dasein man sich – ganz wie im familiären Zusammenhang – kaum erwehren kann: Angela Merkel, Helmut Kohl, Thilo Sarrazin, Erich Mielke,Bushido, Richard von Weizsäcker, der Tannenbaum, die Flüchtlinge.
Andreas Mühe gelingt es so, einen gleich doppelten Ausnahmezustand herzustellen: Einerseits ist er in all seinen Fotografien als ästhetisches Instrumentin Form von Brechungen, Inkonsistenzen und Dekonstruktionen allgegenwärtig; andererseits erfährt der Betrachter ihn unmittelbar an sich selbst, sobald er sich der meterhohen, ihn weit überragenden Assemblage der Arbeiten gegenübersieht,zu denen er sich kaum wird gleichgültig verhalten können. Andreas Mühe pflanzt dem Betrachter den Ausnahmezustand in den Kopf, er lässt ihn überscheinbare Selbstverständlichkeiten stolpern, über Hierarchien und Autoritätennachdenken – darin besteht die Subversion seiner Kunst.
Andreas Mühe (*1979 in Karl-Marx-Stadt) lebt und arbeitet in Berlin. Zu den jüngsten Einzelausstellungen gehören Eine Deutsche Intervention in KÖNIG London (2018); Zeichen der verrinnenden Zeit in der Villa Grisebach, Berlin (2017); Pathos Als Distanz in den Deichtorhallen, Hamburg (2017); A.M. – Eine Deutschlandreisein der Kunsthalle Rostock (2013). 2018 wird Mühe sowohl im Red BrickArt Museum, Beijing und in der G2 Kunsthalle Leipzig mit Einzelausstellungenvertreten sein. Der Künstler erhielt zahlreiche Fotografie-Preise, u.a. den Hansel-Mieth-Preis (2010) und den Lead Award (2015 und 2010). Werke von Mühe sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, unter anderem im Musée Nationald´histoire et d´art Luxembourg, Luxemburg; Deutsche Bank Sammlung, Deutschland;DZ Bank Sammlung, Deutschland; Stiftung F.C. Gundlach, Deutschland; Kulturstiftung Montblanc, Deutschland; Sammlung Wemhöner, Deutschland; Schloss Kummerow, Deutschland.