Margherita Spiluttinis Bildräume sind zugleich Denk- und Interpretations- oder sogar Illusionsräume. Denn so konkret die abgebildeten Gegenstände erscheinen, so konkret die abgebildete Wirklichkeit in ihren Fotografien vor Augen steht, so sehr wird nahegelegt, dass es sich um Bilder vorübergehender Setzung handelt. Keine unveränderlichen Größen sind gemeint, sondern Motive, die davon leben, dass sie die Spuren ihrer kurzen oder langen Geschichte tragen; Motive, über deren Zukunft sich mutmaßen lässt und die so zu Projektionsflächen neuer Vorstellungswelten und Lebensentwürfe werden. (zit. n. Gabriele Conrath-Scholl u. Gabriele Spindler, 2015)
Die Ausstellung SERIEN umfasst Arbeiten aus den frühen Schaffensperioden der Künstlerin, Teile ihres umfassenden Archivs werden dabei zum Thema. Noch nie gezeigte, sehr familiäre Szenen aus dem persönlichen Archiv werden als Neuproduktionen in originaler Bildgröße im ersten Galerieraum gezeigt. Eine zentrale Rolle nimmt dabei ein räumlicher, gegenständlicher oder zeitlicher Transformationsprozess ein, welcher in jedem Bild Margherita Spiluttinis zu finden ist. Besonders klar tritt dieser in den beiden Serien von 1978 und 1980 hervor: Die Fotografin räumt ihre Küche und ihr Wohnzimmer auf, die Kamera ist dabei fixiert, manchmal huscht sie selbst - oder ihre Katze - wie ein Schatten durch das Bild. Die zusammengesetzten, repetitiven Einzelbilder wirken wie Filmstills. Eine dritte Serie zeigt ebenfalls, von der jeweils gleichen Kameraposition aus, eine Woche lang den unaufgeräumten Zustand von drei Zimmern am Vormittag.
"Du und ich", "Welt der Tiere" und "Inena" sowie " 3 x 5 Spiluttini 1950, 1967, 1993" gehen einen Schritt weiter und eröffnen dem Betrachter einen vermeintlich tiefen Einblick in die private Sphäre der Künstlerin. Das anfänglich skizzierte ephemere und offene Moment zeigt sich in der Interaktion mit ihrer Tochter und im Dokumentieren ihres Heranwachsens. Diametral zu den jetzt in den sozialen Medien so beliebten Selbstdarstellungen stehen Margherita Spiluttinis akkurate und charmante Familienportraits mit ihren Geschwistern - über Jahrzehnte hinweg immer in der genau gleichen Pose. Sie konstruiert die Bildräume nüchtern, ohne Nostalgie oder zu großer Nähe. Zusätzlich erleichterte der zeitliche Abstand die Öffnung dieses Teils des Archivs.
Im zweiten Galerieraum wird Architektur ebenso unüblich verhandelt: nicht Bauten der Stararchitekten Österreichs sind ihre Motive, sondern Innen- und Außenraumarchitekturen, die in einer analogen Diashow projiziert werden. Sie sind eine Art Bestandsaufnahme der zunehmenden Verhüttelung des ländlichen Raums in Österreich seit den 1960er / 1970er Jahren. Walter Zschokke schrieb 1991: "Was da [in Österreich] zum Teil an Umbauten und Neubauten in die alten Siedlungsmuster hineingeknallt wurde, verschlägt dem Betrachter die Sprache.“
Auch das leerstehende, ehemalige AKH in Wien hat Margherita Spiluttini in den frühen 1990er Jahren vor dem Umbau dokumentiert. Das verlassene Krankenhaus zeigt noch Spuren seiner Benutzung in Form von Restmobiliar, zurückgelassenen Kleidungsstücken, Bildern an den Wänden und medizinischen Apparaturen. Eine oftmals mit Krankenhäusern verbundene Angst, der spezifische Geruch und die Grausamkeit mancher Eingriffe sind in den Bildern nur bedingt zu spüren. Der Künstlerin gelingt auch hier eine teilweise humorvolle Leichtigkeit.