In seiner sechsten Einzelausstellung in der König Galerie zeigt der Künstler Michael Sailstorfer zwei Werke. Brenner (2017), eine neue raumgreifende skulpturale Installation und das Video Traenen (2015). Die beiden Arbeiten ergänzen sich nicht nur inhaltlich sondern auch entsprechend Ihrer Platzierung innerhalb der räumlichen Gegebenheiten der ehemaligen St.-Agnes-Kirche. Auf charakteristische Weise lassen Sailstorfers Werke in Hitzefrei sein bezeichnendes skulpturales Vokabular erkennen; durch Formalisierung und Umgestaltung verwandelt er vertraute Materialien oder mechanische Systeme in Objekte, die sich mit Bedacht und Leichtigkeit über ihren ursprünglichen Zweck erheben. Durch eine Mischung von Ernst und visuellem Witz wohnt Sailstorfers Arbeiten eine innere Spannung inne, die Prozesse von Zerstörung, aber auch die Entstehung von Neuem erahnen lässt.
Diese Themen kehren in Sailstorfers Skulpturen immer wieder, wie beispielsweise bei früheren Arbeiten wie einem Autoreifen, der sich fortwährend an einer Galeriewand abreibt; einer Maschine, die scheinbar endlos Popcorn produziert; einem Raum, dessen Fenster durch die Schwingungen eines hochfrequentierten Tons zerspringen. Oft erfährt der Betrachter sinnlich wahrnehmbare Hinweise wie Gerüche oder Klänge noch bevor die Arbeiten zu sehen sind, wodurch die Wahrnehmung schon vor dem Betreten des eigentlichen Ausstellungsraums geprägt wird.
So auch bei Brenner. Der Geruch von brennendem Holz liegt in der Luft, man spürt eine angenehme Wärme. Betritt man den Ausstellungsraum, sieht man sich einer Gruppe von abstrakten Autokonstruktionen mit zylindrischen Rohren gegenüber, die mit der hohen Decke der ehemaligen Kirche verbunden sind. Es handelt sich um die Karosserien von Autos, schwarz lackiert, die direkt dem Fabrikationsprozess entnommen zu sein scheinen. In jedes Chassis ist an der Stelle, an der normalerweise der Motor seinen Platz finden würde, ein Holzofen mit Schornstein eingebaut. Wie auf einer Montagestraße, stehen die Karosserien akribisch in zwei Reihen geordnet. Entgegen der wohl vertrauten Assoziation von Bewegung, Geschwindigkeit und Freiheit, stehen Sailstorfers Brenner still – sie verbrennen ihren eigenen Treibstoff, erzeugen dabei eine andere Art von Energie und stoßen ihre Abgase himmelwärts durch Schornsteine aus. Eine laufende Bandproduktion verwandelt sich somit in einen Stau – es scheint, als seien alle Straßen verstopft, als gäbe es keinen Ausweg, und beinahe meint man, es drohe völlige Überhitzung. Die kirchlichen Räume, die einst der Gottesanbetung dienten, können somit unter anderem als Stätte einer anderen Art von Anbetung gesehen werden – vielleicht der eines Markenkults, der Konsumkultur oder Massenproduktion. Mit der Installation von Brenner in der ehemaligen Kirche, gibt Sailstorfer somit einige Interpretationsansätze zur Betrachtung seiner komplexen Installation.
Im merklich kühleren Glockenturm der Kirche ist Traenen zu sehen, eine Videoarbeit jüngeren Datums, die sich ebenfalls mit einer Mischung aus Romantik und Humor dem Begriff der Zerstörung widmet. Wo Brenner seinen Rauch nach oben und himmelwärts verströmt, fallen die „Regentropfen“ in Traenen auf ein unscheinbares Haus hinab und fügen ihm schweren Schaden zu. Die cartoonhaft überzeichneten Regentropfen zu Beginn des Videos geben sich schnell als ganz reale und sehr schwere eigens angefertigte Abrisskugeln zu erkennen. Drei „Tropfen“, die immer wieder nacheinander auf das Haus fallen, zerschmettern zunächst Dach und Schornstein, gefolgt Außen- und Innenwänden, bis von der methodischen Zerstörungsarbeit schließlich nur noch ein Trümmerhaufen übrig bleibt. Auch wenn die Aktion an sich recht gefühllos erscheinen mag, stellt sich beim Betrachter doch schließlich das befriedigende Gefühl ein, dass etwas zum Abschluss gekommen ist. Auf visueller Ebene verleiht die Nachbearbeitung, in der die Seile, an denen die Abrisskugeln hingen, entfernt wurden, dem Video die mythische Aura eines magischen Spektakels. Ein kleiner, einfacher technischer Eingriff mit wesentlicher Wirkung auf den Betrachter: Er lässt die dokumentarische Aufzeichnung einer Abfolge von Ereignissen wie ein Märchen erscheinen.
Beide Arbeiten stellen einen direkten Bezug ihrer Materialität und Ästhetik zu humanistischen, metaphorischen Reflexionen her - Reflexionen, in denen Geschichten erzählt, Vergleiche gezogen und Symbolik verstanden werden.
Michael Sailstorfer dankt der Volkswagen AG, Hartmut Dettweiler, dem Team Bernd Euler, dem Team König, Marina Wolf, Maria Bremer, Randi Mabry, Luca Longagnani, David Ebner, Kris Douglas, Esra Aydin, Jörg Drexler, Marcel Kwiatkowski, Hermann Rusch und Martin Germann.
Michael Sailstorfer wurde 1979 in Velden (Oberbayern) geboren und lebt und arbeitet in Berlin. Von 1999 bis 2005 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste München; 2004 erwarb er einen MA in Fine Arts am Goldsmiths College, London. Seine Arbeiten waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in aller Welt zu sehen, darunter Michael Sailstorfer. Silver Cloud, Studio Michael Sailstorfer, Berlin; It might as well be spring, Rochester Art Center, Rochester, Minn. (USA); B-Seite, Haus am Waldsee, Berlin; Every piece is a new problem, CAC Contemporary Arts Center, Cincinnati; Forst, Vattenfall Contemporary, Berlinische Galerie, Berlin; Tornado, Public Art Fund New York, Doris C. Freedman Plaza, Central Park, New York City; Raum und Zeit, S.M.A.K. Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent; Forst, Kestnergesellschaft, Hannover; 10 000 Steine, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main; Und sie bewegt sich doch!, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München.