Ein früher Versuch die italienische Gesellschaft durch die Kunst zu verbessern. „Italien vom Gewicht seiner herrlichen Vergangenheit befreien“,daß müsse man tun um dem Lande neuen Schwung zu geben. Es könnten Worte einer sehr progressiv eingestellten zeitgenössischen Tageszeitung sein, sie stammen aber aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, und zwar von dem Künstler Tommaso Marinetti, Gründer des Futurismus, einer der wichtigsten avantgardistischen Kunstbewegungen überhaupt. „Italien solle doch seinen jahrhundertealten Ruhm zu Grabe tragen”, da dieser das heutige Vorkommen doch nur bremsen würden. „Eine neue Kultur müsse man gründen!".
Das war am 20. Februar 1909,als der junge italienische Jurist und Dichter in der französischen Zeitung Le Figaro sein „Futuristisches Manifest“ bekannt gab. „Liebe zur Gefahr,Mut und Kühnheit, Kampf und Geschwindigkeit“. Das sind nur einige der Schlagwörter des Manifesto del Futurismo mit dem er Italien eine neue kulturelle Identität verleihen wollte. Angetrieben von der Idee, daß die kulturelle und künstlerische Vergangenheit Italiens nichts weiter als lähmend sein könne, initiierte Marinetti eine Reihe seiner Künstlerfreunde zu tiefgründigen Gesprächen und folgendem provokativem Schaffen. Ab 1910 veranstaltete er die Serate Futuriste (Futuristische Abende) in norditalienischen Theatern und öffentlichen Räumlichkeiten, während denen er die Manifeste lesen lies, Kunst zeigte, futuristische Musik und Gedichte spielen lies und mit großer Hoffnung auf ein Ende mit starkem Tumult und Gezeter wartete.
In kurzer Zeit war ein neues Genre der Kunst geboren: Modern, herausfordernd und politisch, so sah man die Künstler, die sich durch verschiedene Medien ausdrückten. Malerei, Skulptur, Architektur, Design, Musik und Poesie, um nur einige zu nennen. Anfangs inspiriert von gedruckten, zerbrochenen und wieder zusammengefügten Wörtern, wird das Interesse der Futuristen schnell von einer unermeßlichen Faszination für die Mechanik und die Geschwindigkeit gefangen. Die Repräsentation der Dynamik und des Tempo wurden in kürzester Zeit zentrale Rolle Ihrer Kunst. Immer neue Manifeste wurden geschrieben, mehr als 10 davon wurden Grundliegende Leitfäden, die alle Arten von künstlerischem Schaffen, bis hin zum Tanz und sogar der Küche, unter einem revolutionärem Aspekt zu definierend versuchten. Ausstellungen und Veranstaltungen wurden organisiert, die nicht nur in Italien blieben sondern in ganz Europa ausgestellt wurden.
Nach mehr als Hundert Jahren ist dies nun auch der Fall in New York. Das Guggenheim zeigt die Ausstellung „Italian Futurism. Reconstructing the Universe“. Die größte Ausstellung aller Zeiten die 79 Künstler und mehr als 300 Werke dieser Bewegung unter verschiedenen Aspekten ausstellt. Nun könnte man alle einzelne Kunstwerke Eines nach dem Anderen beschreiben, zitieren und analysieren. Giacomo Balla’s Forschung der Flugbahnen und Bewegungstrajektorien in der Malerei um die Geschwindigkeit visuell darzustellen. Umberto Boccioni’s und Gino Severini’s Studien zur Darstellungen der deformierende Effekte von Bewegung auf ein Objekt,siehe Ihre verzerrten Skulpturen. Marinetti’s Gemälde und visuelle Gedichte (Parole in Libertà), bis hin zu den architektonischen und visionären Projekten von Mario Chiattone und Antonio Sant’Elia für neue utopische Städte, charakterisiert von intelligenten und futuristischen Transport und Fortbewegungssystemen. Aber diese Art von Berichten haben schon viele Andere vor uns gemacht.
Abgesehen von einer spektakulären und atemberaubenden Ausstellung die den Besucher in eine Welt aus Energie und Geschwindigkeit taucht, die durch eine weise Konfiguration der Kunstwerke den Dynamismus der Jahrhundertwende aufleben läßt, die die Spannungen der Nachkriegs- und Vorkriegszeit wort-wörtlich spüren läßt, liegt eines der interessantesten Aspekte wahrscheinlich darin, das das Leitmotiv der Futuristen, eine bessere Welt zu schaffen, ja sogar das „Universum Neu zu erschaffen“, frei von einer drückenden Vergangenheit, zeitlos und aktuell der heutigen kulturellen und wirtschaftlichen Lage Italiens gegenübersteht. Das Land braucht dringend eine tiefgründige Erneuerung!
In einer Zeit in der das Überleben von Institutionen und Museen unter verworrenen politischen Komplotten leidet, in der technischer Fortschritt und Bildung von anderen Interessenskonflikten gehemmt sind, in der die junge Generation nichts anderes machen kann als durch provokative Aktionen um Anerkennung zu bitten. Ja, in diesen Zeiten sind die Worte des Manifesto Futurista von gar wahrsagerischer Bedeutung. So könnte man heute den Straßen Roms zu hören: „Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag preisen.“ Eine für Italien eigentlich sehr passende Affirmation. Oder man könnte im Teatro Stabile von Turin ein Spektakel sehen, in denen der Protagonist rufen würde: „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmäßigkeit und Eigennutz beruht.“
Denn viel hat sich in den letzten Jahrzehnten an den italienischen Bildungsinstituten leider nicht geändert. Und warum auch nicht, in Zeiten des Diätenwahns, könnte man auch eine Propaganda gegen die Pasta führen. Diese wurde von den Futuristen nicht nur als ungesund und schädlich befunden, in Linie mit den heutigen Glutenfreien Ernährungmodellen, sondern sogar als ein bremsendes Element der nationalen Wirtschaft angesehen. „Die Pasta, die 40% weniger Ernährungsstoffe hat, als Fleisch, Fisch und Gemüse, bindet die Italiener heute an Ihr Land, wie die Wolle Penelopes’ an Ihr Totentuch. Erinnert Euch, daß die Abschaffung der Pasta, Italien von der kostspieligen Abhängigkeit von ausländischem Weizen befreien würde, zugunsten der lokalen Reiswirtschaft.“
Nicht zuletzt, ist es ein Zufall daß dieses Jahr auf das hundertste Jubiläum des „Manifest der futuristischen Architektur“ (1914) fällt? Im selben Jahr hatten die beiden lombardischen Architekten Mario Chiattone und Antonio Sant’Elia zwei außerordentliche Projekte präsentiert: „Buildings for a Modern Metropolis“ e „Città Nuova“: Utopische Städte, gebaut dank innovativer Materialen und neuen industriellen Verfahren, in denen ein Schwerpunkt auf minimalistischen Strukturen, neuen Energien und Transportsystemen lag. So könnten wir uns fragen, wie wohl die zeitgenössischen Mailänder Architekten heute, in 2014, die kommende EXPO gestalten werden, dessen Thema „Den Planten nähren. Energie für das Leben.“ lautet. Ein Zufall oder der Beweis das der Italienische Futurismus wirklich zukunftsblickend, fast divinatorisch, die Fundamente gelegt hat um wirklich „Das Universum zu rekonstruieren“?
Weitere Informationen:
http://www.guggenheim.org/new-york/exhibitions/on-view/italian-futurism-1909-1944-reconstructing-the-universe