Ich gehe von der Annahme des Nutzlosen aus ...
ein Kunstwerk - was auch immer es ist - ist nicht wesentlich!
Dann werdet ihr sagen: warum erschaffst Du, warum recherchierst Du?
Einfach aus ästhetischen Gründen und um Stellung zu beziehen, wenn mich das Soziale und/oder die Politik drängen, oder um sich über den Alltag lustig zu machen, ihn zu dämpfen, ihm zu entkommen.(Das Bedūrfnis nach Kunst, aus dem italienischen Originaltitel: L’esigenza dell’arte von Paolo Moretto)
Genau mit diesem Zitat von Paolo Moretto, entscheiden wir uns, das Interview zu beginnen. Zumindest gibt er es zu, er ist aufrichtig mit der Welt, aber vor allem mit sich selbst. Und es wird auch widersinnig erscheinen, aber oft ist es genau, wenn man davon ausgeht, dass etwas nicht unbedingt notwendig ist, jedoch bald so wird.
Und jedenfalls ist es nur eine offensichtliche „Nutzlosigkeit“, und am Ende geht die Show weiter eben Dank dieser Flucht ins Abstrakte, ins Vergebliche. Es wird eine Art Droge, worauf man nicht mehr verzichten kann!
Paolo Moretto, veronesischer Herkunft und seit schon 30 Jahren mit festem Wohnsitz in Hamburg könnte als „undefinierbar“ bezeichnet werden, da er sich entschieden hat, sich nicht in einer bestimmten Richtung „niederzulassen“, nicht Maler oder Bildhauer werden zu wollen, sondern seine Werke auf der Grundlage der Inspiration des Augenblicks zu schaffen, ganz nach dem, was ihm sein inneres „Ich“ empfiehlt, kurz gesagt, seinem Verstand und seinen Händen folgend. Er hat nicht einmal bestimmte Materialien oder Lieblingsfarben für die Realisierung seiner Werke.
Seine künstlerische Karriere bewegt sich enorm, beginnend mit schweren und anspruchsvollen Eisen- oder Holzskulpturen, wie der Wagen (aus dem Italienischen Carro) oder der Klotz (aus dem Italienischen Tacco), die fast wie primitive, architektonische Bauwerke aussehen, die nach Schutz vor etwas Gefährlichem, Unbekanntem suchen.
Dann beginnt der Künstler eine neue, fast traumhafte Vision von Skulptur zu ergreifen; weiterhin entwickelt er Ideen mit Metall und Eisen, allerdings werden die Werke immer dünner, zarter, fast luftig wie die Mobile Einheit (aus dem Italienischen Unità mobile) oder der Einsame (aus dem Italienischen Solitario), die fast eine Art „Befreiung von der Angst“ ausdrücken wollten, von der ich vorher sprach. Oder geht es eher mehr um eine Flucht aus der Wirklichkeit, leichter sein zu wollen, um den Sprung auf etwas Magischeres als unsere Realität zu wagen?
Seine Bilder und Darstellungen auf Papier zeigen dagegen eine komplexere, fast verwirrtere, weniger definierte Seele als seine skulpturale Arbeit. Wenn wir sie im Detail betrachten, stellen wir fest, dass sowohl in den Skulpturen als auch in den Zeichnungen und Gemälden der frühen Perioden ein gemeinsames Element vorhanden ist: das architektonische Element.
In den folgenden Werken ändert der Künstler jedoch die Richtung und entwickelt eine Liebe zur Natur und zu Tieren, insbesondere zu Fischen, wie auf dem Gemälde Worauf zu sehen ist, aber auch zu Kaninchen, Nashörnern, Elefanten, die in einer Art von imaginären Landschaften schweben.
Es ist auch wahr, dass die Szene, wie in der Darstellung von* Lost*, durch die Präsenz von Schornsteinen oder Kernkraftwerken „gestört“ wird: eine andere Provokation oder in diesem Fall keine Flucht mehr, sondern eine „Akzeptanz” der traurigen Realität? Zur Zeit beschäftigt sich Paolo Moretto mit der Entwicklung kleinerer Werke, die von einem anderen Künstler stammen könnten, weil sie sich von allem, was wir bisher gesehen haben, völlig unterscheiden: der Stoff und die Spitzen gewinnen jetzt die Oberhand und bedecken nun harmonisch die Farbpaletten, die deren Grundlage bilden.
Es handelt sich um echte Collagen, in denen eine verwirrte Harmonie zwischen Stoffen und Farben herrscht: eine instabile, fast verrückte Seele.
Was war Ihres Erachtens der „Antrieb“, der Sie in die faszinierende, aber auch komplexe Welt der Kunst eintauchen ließ?
Nun, ich wüsste es nicht zu sagen, da ich darin seit meinem 15. oder 16. Lebensjahr stecke. Ich habe praktisch nie etwas anderes in meinem Leben getan.
Ihre Arbeit ist sehr komplex, oft fast eine Art „Provokation“, sie schenkt uns einen Fluss von Emotionen, nicht nur weil sie von Skulpturen über Darstellungen auf Papier, Ölgemälden auf Leinwand bis hin zu Installationen reicht, sondern auch weil Sie immer die Art und Weise ändern, wie Sie sie darstellen: eine großartige Forschungs- und Studienarbeit. Können Sie erklären, wie Sie dazu gekommen sind, Ihren künstlerischen Weg in diese „facettenreiche“ Richtung zu entwickeln?
Nun, auch dies hängt bestimmt damit zusammen, dass ich seit über vierzig Jahren aktiv bin. Ich bin nicht Marino Marini, den ich übrigens sehr schätze. Ich kann nicht immer die gleichen Dinge wiederholen. Einige Künstler werden sofort für ihre Linie erkannt. Sie scheinen eine einzige Besessenheit zu haben. Ich habe vielleicht mehrere.
Gab es einen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie sich gefragt haben, ob Sie sich lieber auf Malerei als auf Skulptur oder ein anderes künstlerisches Genre „spezialisiert“ hätten oder hatten Sie nie diesen Zweifel?
Nein, weil ich Kunst bei dreihundertsechzig Grad liebe!
Gibt es vielleicht unter den großen Meistern der Kunst einen, der Sie auf Ihrer Reise besonders inspiriert und „unterstützt“ hat?
In der zeitgenössischen Skulptur faszinieren mich Fausto Melotti und David Smith. Die Einflüsse sind jedoch viel größer, weil sie auch auf einer unbewussten Ebene wirken. Und vielleicht gibt es auch Archetypen. Die alten Meister von Mesopotamien, die Ägypter, die Griechen, die Etrusker … prachtvolle Dinge! Und natürlich auch das Mittelalter, die Renaissance, usw.
Während Ihrer künstlerischen Karriere hatten Sie viele Erfolge enschließlich der Tatsache, dass Sie im Jahre 2015 vom Bundestag gewählt wurden, der sich entschied, drei Ihrer Gemälde zu kaufen: Goodbye (2010), Stay (2011-14) und It’s time (2014). Was hat Sie bei der Entstehung dieser Werke inspiriert?
Der Berliner Mauerfall, ein ironisches Wachrufen der Beat Generation und die Illusion eines Wandels mit dem Aufstieg von Barack Obama in die US-Präsidentschaft.
Im Moment erstellen Sie kleine Bilder aus Stoffen und Spitzen, die durch unzählige Nähte miteinander verbunden sind, in Kurzem, richtig bunte Collagen wie Gear oder To the side. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Es ist nicht so, dass „ich“ zu der Idee komme, sondern dass die Ideen zu mir kommen. Ich habe Material zur Verfügung und versuche, das Beste daraus zu machen. Wie Picasso sagte: „Ich suche nicht... ich finde.“ Ich würde hinzufügen: „Die Ideen finden mich“.
Sie leben seit über 30 Jahren in Hamburg: denken Sie, dass Italien, Ihr Heimatland, Ihnen die gleichen Chancen wie Deutschland gegeben hätten, wenn Sie hier geblieben wären?
Ich kann einfach keine Antwort hierzu geben. Es ist wie an die Reinkarnation zu glauben!
Wie haben Sie die Zeit der ersten Zwangsquarantäne aufgrund der Ausbreitung des neuen Coronavirus Covid-19 erlebt?
In normaler und langweiliger Ruhe!
Wie sehen Sie Ihre Zukunft? Was erwarten Sie vom Leben?
Die Zukunft ist, wie die Araber sagen, „Inshallah“. Es gehört den Göttern. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wenn ich Sie jetzt bitten würde, sich auf das Sofa zu legen und ein Lied in voller Lautstärke einzuschalten, das Sie rührt, was glauben Sie, woran würden Sie denken? Oder würden Sie bevorzugen, an nichts zu denken?
Lied für den Sommer (Aus dem italienischen Originaltitel: Canzone per l'estate) von Fabrizio De André / Francesco De Gregori.
Erste Strophe:
Mit deiner Frau, die das Geschirr in der Küche spülte und nicht verstand mit deiner Tochter, die ihr neues Kleid anprobierte und lächelte mit dem Radio, das in der Welt merkwürdige Dinge summte und dem Atem deines Hundes, der schlief.
Vielleicht wūrde ich einschlafen ... wie der Hund.