Schon in der römischen Antike wurden verschiedene Metallstifte zum Zeichnen benutzt, vorwiegend zum Vorzeichnen von größeren Gemälden, aber auch für kleinere Bilder und Dokumente. Lange in Vergessenheit geraten, entwickelte sich diese Kunsttechnik dann mit der ausgehenden Gotik und dem Beginn der Frührenaissance zu dem eigentlichen Mittel der autonomen Zeichnung, d. h. die Zeichnung selbst wurde zum Kunstwerk und war nicht mehr nur Hilfsmittel und Vorstufe zum eigentlichen Werk.
Dank Künstlern wie Jan Van Eyck, Leonardo Da Vinci, Hans Holbein, Albrecht Dürer und Hans Baldung erlebte die Technik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ihren absoluten Höhepunkt bevor sie wieder für einige Jahrhunderte in Vergessenheit geriet. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden einige Künstler wieder aufmerksam und widmeten sich dieser schwierigen Zeichentechnik. Denn mit einem Metallstift zu zeichnen ist nicht gleich einen Bleistift zu benutzen, auch wenn er sein direkter Vorgänger ist.
Um die Technik besser zu verstehen, sollte man das Instrument vorerst besser kennenlernen. Es handelt sich um einen Stift aus Metall oder Holz, in dessen zylindrische Spitze eine Metallspitze eingesetzt wird. Silber ist mit Sicherheit das meist benutzte Metall, neben Gold, Blei, Kupfer oder aber ein Gemisch aus Diesen. Der Durchschnitt, die Größe, die Weichheit und Form der Metallspitze können sehr unterschiedlich sein, und somit auch die Zeichnung beeinflussen.
Mit dem Metallstift können nur dünne, zarte Linien gezeichnet werden und eine Flächenfüllung ist nur durch Schraffuren möglich. Ein einmal gesetzter anfangs feingrauer Strich läßt sich nicht mehr einfach mit einem Radiergummi entfernen, was diese Technik extrem schwierig macht und der Künstler wirklich eine außergewöhnlich gute Hand haben muß. Der Gebrauch ist ähnlich zu dem eines Bleistifts, außer daß der Untergrund ein besonderer sein muß: Eine Fläche aus Papier oder Holz, mit einem leicht rauhen Grund, auf dem der Metallstift seine Pigmente ablegen kann. Es sind nur dünne Linien möglich und der Effekt von verschiedenen Farben, Schatten, Dichte und Tiefe kann nur durch verschiedene Schattierungen und dichten Gitternetzen erzielt werden. Eines der interessantesten Beobachtungen ist daß vor Allem Silberzeichnungen nach einiger Zeit oxidieren und die vorerst grauen Linien langsam zu goldbraun werden. Wahrscheinlich eines der Gründe warum Silber das bevorzugte Material war und noch heute ist.
Die Erfindung des Bleistifts, folgender Buntstifte und anderee Malutensilien, und der Schwierigkeitsgrad mit dem sich der Künstler beim zeichnen messen muß, hat diese Technik ein bißchen in Vergessenheit geraten lassen. Bis heute... Denn seit einiger Zeit scheint sich im Bezug Metallspitzenzeichnung einiges zu tun, vor allem im Herzen der Kunst New York und Umgebung.
Die Nationalgalerie in Washington hat soeben eine der größten Ausstellung zum Thema eröffnet. „Drawing in Silver and Gold: From Leonardo to Jasper Johns“ beinhaltet zum ersten Mal eine umfassende Selektion von Metallstiftzeichnungen der letzten sechs Jahrhunderte, mit Meisterwerken von Leonardo, Albrecht Dürer, über Rembrandt bis hin zu Otto Dix und Jasper Johns. (Dieselbe Sammlung wird im Herbst (10. September – 6. Dezember, 2015) in London im British Museum zu sehen sein)
Die Ausstellung öffnet mit einer Auswahl der ersten und wohl bekanntesten Werke, wie zum Beispiel „Portrait einer Jungen Frau“ (1435/40), die einzige Zeichnung die Rogier van der Wyden zugeordnet werden kann. Es folgen Werke von Leonardo Da Vinci (Büste eines Kriegers, c. 1475/1480), und zwei Seiten aus Raffaels weltbekanntem „Rosa Sketchbuch“. Auf Dürers „Schlafender Hund“ (1520) folgen Zeichnungen des 18. und 19. Jahrhunderts die in einer Art und Weise den Untergang dieser Technik zeichnen, bevor sie von einigen zeitgenössischen Künstlern wie Joseph Stella, Jasper Johns, und Bruce Nauman wieder ans Licht gebracht wurde. Auch von Diesen sind einige sehr interessante Werke ausgestellt an denen man erkennen kann wie sie durch Experimente und neue Kombinationen das Medium an neue Grenzen gebracht und dadurch jüngere Künstler inspiriert haben die heute sehr aktiv sind.
Fast Zeitgleich werden nämlich im Juni 2015 in New York zwei Ausstellungen eröffnet werden die sich gezielt mit diesem außergewöhnlichen Medium beschäftigen werden. Musing Metallic, (3. Juni – 11. Juli 2015), kuratiert von Elizabeth Garvey in der The Curator Gallery, wird sich generell mit dem Thema Metall in der Kunst auseinandersetzen und Künstler vorstellen die in verschiedener Art und Weise Metalle in Ihren Arbeiten verwendet habe, darunter natürlich auch Metallspitzenzeichnungen. Metalpoint Now! (11.Juni – 11. Juli 2015) dagegen ist eine Gruppenausstellung in der Galerie Garvey I Simon die Werke von acht zeitgenössischen Künstlern und einem Künstlerkollektiv ausstellen wird und somit dort anknüpfen will wo die Nationalgalerie von Washington aufhört: In der Gegenwart.
Robyn Ellenbogen, Jonathan Hammer, Marietta Hoferer, Michael Kukla, Cynthia Lin, Tom Mazzullo, Michael Nichols, Susan Schwalb, Scherer & Ouporov sind alle Künstler die die antike Technik der Metallspitzenzeichnung in individueller Art und Weise neu interpretieren und, manchmal in Kombination mit anderen Materialien, zu unerwarteten Resultaten bringen. So sind zum Beispiel in den Werken von Susan Schwalb eine Vielfalt von delikaten horizontalen Linien zu erkennen, die durch die Anwendung von verschiedenen Metallspitzen erzeugt worden sind,daher die verschiedene Farbgebung. Mike Nichols’ Portraits erscheinen wie von Geisterhand erstellt, sind aber mit Stahlwolle gezeichnet worden und Robyn Ellenbogens große Rotunden, die eine Ei-Tempera Grundierung haben und mit verschiedenen Metallgegenständen (z.B. Münzen, Löffel, Fingerhüte aus Silber) und –Wollen bearbeitet worden sind, sprechen von Ihrem emotionalen Innenleben. Dies um nur einige von den Künstlern zu nennen, denn die Anzahl der Werke wird vielfältig sein und nicht nur einen tieferen Einblick in eine fast vergessene Kunsttechnik ermöglichen, sondern gleichzeitig beweisen wie ein solch kompliziertes Verfahren auch in der Gegenwart neu angewendet werden kann.