Die amerikanische Revolution von 1776 läutete das Ende des Feudalismus ein und bereitete den Boden der Französischen Revolution von 1789 vor. Mit dieser begründete sie die Moderne, also das Zeitalter von Demokratie, Menschenrechten, Anti-Kolonialismus, Selbstbestimmungsrecht der Völker und Massenwohlstand. Ungeachtet aller Rückschritte, Kompromisse und Fehltritte, waren die vergangenen zwei Jahrhunderte, vor allem aber die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, vom westlichen Fortschrittsgedanken geprägt. Von diesem verabschieden sich die USA gerade in die zweite amerikanische Revolution.

Wie geht es weiter? In den siebziger Jahren erkundigte sich der amerikanische Außenminister Henry Kissinger nach der Meinung des chinesischen Regierungschefs Zhou Enlai zur Französischen Revolution: „Kann man noch nicht sagen,“ soll dieser geantwortet haben. Auch ob Trumps Putsch Bestand haben wird, stellt sich erst in einiger Zeit heraus, also ob es zu einer Umdefinition kommt, wer Freund ist und wer Gegner, und ob sich die USA von den Werten der Aufklärung abwenden werden, von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Freihandel und von der Unterstützung offener Gesellschaften sowie demokratischer – zumindest nicht-totalitärer – Regierungen. Undenkbar wäre bis vor kurzem die schamlose Begehrlichkeit betreffend Gaza, Grönland, Kanada und Panamakanal gewesen, ebenso die unanständige Aufkündigung der von Trump selbst abgeschlossenen Handelsabkommen mit Kanada und Mexiko.

Das zerschlagene Porzellan häuft sich. Der russische Diktator kann sein Glück nicht fassen. Trumps Verrat der Ukraine mag letztlich mehr der Erbärmlichkeit Chamberlains/Daladiers in München 1938 ähneln als der herrischen Art Ribbentrops/Molotows in Moskau 1939. Ein schmählicher Ausverkauf des Westens ist es allemal, ohne Europa und hinter dem Rücken der Ukraine mit Russland zu verhandeln. Der U.S. Vizepräsident betont, es sei ihm egal, was mit der Ukraine passiert, während sein Chef, noch bevor Verhandlungen überhaupt begonnen haben, alles verschenkt: Die Ukraine hätte den Krieg nicht anfangen sollen; sie täte gut daran, alle Hoffnung fahren zu lassen, die seit 2014 völkerrechtswidrig von Russland besetzten Gebiete zurückzubekommen, NATO Mitglied zu werden oder von U.S. Truppen beschützt zu werden. Nach drei Jahren unendlichen Leidens und heldenhaften Kampfes kommt die Niederlage der Ukraine, sollte sie kommen, von hinten.

Trump übernimmt Putins abwegigen Vorwurf, Wolodymyr Selenskyj sei ein demokratisch nicht legitimierter Diktator und legt nach, indem er von der Ukraine seltene Erden im Wert von hunderten Milliarden Dollar für erhaltene Hilfe verlangt. Die atemberaubende Täter-Opfer Umkehr ist für die Ukraine existenzgefährdend. Für Europa und die Welt ist sie bestürzend. Denn wenn der Ukraine ein Diktatfrieden aufgezwungen wird, wenn sich für Putin Aggression lohnt, wenn seine Kriegsverbrechen sowie Zerstörungen ungesühnt bleiben, wenn alle Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit aufgegeben werden und wenn wieder, wie im Mittelalter, das Recht des Stärkeren gilt, ist Taiwan verloren und wird ein Atomkrieg wahrscheinlicher.

Von den USA im Stich gelassen, muss Europa nicht nur dem Aggressor die Stirn bieten, sondern auch seinen Unterstützern China, Nordkorea und Iran. Wieder einmal bewahrheitet sich die Vegetius Maxime „si vis pacem, para bellum.“ Der syrische Diktator – bis zuletzt von Russland mit chemischen Waffen und dem Bombardement von Krankenhäusern und Schulen im Amt gehalten – musste militärisch besiegt werden, ebenso wie Hitler, Hamas, Hisbollah, Khmer Rouge, Ruandas genozidale Hutus und viele mehr. Für die Freunde der Freiheit und Unterstützer der Ukraine hat Frieden nur Bestand, wenn er auf einem Gleichgewicht der Kräfte basiert. Ansonsten ist er eine bloße Atempause zwischen weiteren Kämpfen, weil sich Russland als Sieger und wiedererstarkte Großmacht sehen würde. Um dies zu verhindern, bestanden die Alliierten 1945 auf Nazi Deutschlands bedingungsloser Kapitulation. Ein Aggressor muss als solcher gebrandmarkt werden, denn er sieht sich, wie Clausewitz betont, als Mann des Friedens, der nichts lieber möchte als in sein Nachbarland einzumarschieren, ohne auf Widerstand zu stoßen. Sein Opfer und die Freunde seines Opfers müssen den Kampf wählen.

Das heutige Russland ist ein faschistischer, imperialistischer, aggressiver Staat, der nach Putins im Juli 2021 veröffentlichtem Plan Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern vorgeht und der gegen Europa eine Kampagne der Meinungsmanipulation, Destabilisierung und der hybriden Kriegsführung praktiziert. Dabei geht es nicht um russische Sicherheit, denn ein abgerüstetes Europa hat kein Interesse daran, geschweige denn Pläne, Russland anzugreifen. Solche absurden Unterstellungen spielen ins russische Narrativ. Selbstverständlich geht es auch nicht darum, Russland zu besiegen, sondern um die Wiederherstellung und Sicherung der territorialen Integrität der Ukraine, um den Schutz der baltischen und aller anderer osteuropäischer Staaten, darum, Russland und seinen Unterstützern China, Iran, Nord Korea, Belarus – den Vereinigten Staaten von Amerika? – einen Sieg zu verweigern und letztlich als Beleg, dass sich das in Putins und Trumps Augen dekadente Europa sehr wohl wehren kann und es auch tut.

Der Wahlausgang in Deutschland unterstreicht das Gespür der Leute, dass drei Jahre Zögerlichkeit nicht zielführend waren und die Behauptung „Wir stehen für die Sicherheit der Ukraine“ hohl. Es wird sich herausstellen, ob die AfD, die Wagenknechte und andere Putinfreunde aus Beschränktheit, Überzeugung, Berechnung oder gegen Bezahlung als seine Bauchredner agieren, aber ihre Hartherzigkeit angesichts der unermesslichen Opfer, welche die Ukrainer seit drei Jahren gebracht haben, ist schon lange beschämend. Putins Angriffskrieg geht in sein viertes, blutiges, festgefahrenes Jahr. Trotz hunderttausender Toter und Verwundeter kontrolliert er kaum zwanzig Prozent des gemarterten Landes.

Trumps Amerika zieht sich nicht in ein isolationistisches Paradies zurück, konstatiert der Denker Francis Fukuyama, sondern verbündet sich mit dem autoritären Lager. Damit ist die zweite amerikanische Revolution eine Rolle rückwärts. Ihr Leitmotiv ist nicht Emanzipation, sondern Ehrlosigkeit. Sie wird nicht Frieden und Wohlstand schaffen, sondern Chaos, Krieg und Elend. Aber auch Klarheit.