In Japan ist das Falten von Papier – Origami – eine spirituelle Praxis, eine Meditation über Vergänglichkeit und Form. Katja Strunz fügt dieser langen Geschichte der Faltung in der Kunst eine neue Dimension hinzu – eine, die weit über die rein formale Auseinandersetzung hinausgeht. Ihre neue Werkreihe verbindet die uralte Praxis der Faltung mit hochmodernen Satellitenbildern und schafft so ein Spannungsfeld zwischen Mikro- und Makroperspektive, Tradition und Technologie.

Die Aufnahmen aus dem All zeigen die Erde in ihrer verletzlichen Schönheit, aber auch in ihrer Zerrissenheit: abgeholzte Wälder, schwindende Flussläufe, die Spuren menschlicher Eingriffe. Diese Dokumente, eigentlich als analytische Werkzeuge konzipiert, werden von Strunz einer künstlerischen Transformation unterzogen.

Hier beginnt der eigentliche Akt: das Falten. Strunz faltet die Bilder, als ob sie deren starren Narrativen widerstehen möchte. Durch das physische Umformen entstehen neue Verbindungen zwischen Details und großflächigen Strukturen. Grenzen, die uns im Alltag selbstverständlich erscheinen, lösen sich auf. Die klaren Linien eines Flusses verschwimmen in industriellen Landschaften.

Strunz’ Faltungen sind keine zerstörerischen Akte, sondern Versuche, Ordnung und Chaos, Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verweben. In In Formation wird die Faltung zum zentralen Motiv, nicht nur als physischer Akt, sondern als Denkmodell.

Ein wichtiger Ausgangspunkt für Strunz Überlegungen, ist das kürzlich erschienene Buch Die gefaltete Welt des Physikers Anders Levermann. Für ihn bildet die Faltung eine Alternative zum linear gedachten Wachstum: Sie eröffnet neue Möglichkeiten, indem sie das Bestehende transformiert und Diversität fördert statt Fortschritt um jeden Preis. In der theoretischen Physik, insbesondere in der Theorie dynamischer Systeme und der Chaosforschung, bezeichnet der Begriff Faltung das Phänomen, Grenzen zu erkennen und sich ihnen anzupassen. Eine Fläche kann im begrenzten Raum unendlich wachsen, wenn sie gefaltet wird. Faltungen entstehen stets an einem Punkt des Übergangs – wenn eine Grenze erreicht wird und eine neue Richtung eingeschlagen werden muss. Übertragen auf die menschliche Entwicklung eröffnet dieses Prinzip eine Vielfalt an Möglichkeiten, innerhalb der bestehenden Begrenzungen neue Wege zu finden und sich weiterzuentwickeln. Faltung bedeutet daher nicht Stillstand, sondern dynamische Transformation und Wachstum.

Strunz nimmt diese Idee auf und macht sie greifbar. Ihre Arbeiten sind keine statischen Objekte, sondern dynamische Prozesse. Sie verweisen auf das zyklische Wechselspiel von Erstarrung und Bewegung, das in der Natur ebenso wie im menschlichen Körper zu finden ist. Die Parallelen zur Traumaforschung, unter anderem nach Peter A. Levine, die Strunz in ihrer Arbeit zitiert, sind augenfällig: Erst durch die bewusste Durcharbeitung von Verhärtungen kann sich Neues entfalten.

Katja Strunz’ Werke laden uns ein, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten – aus der Distanz des Weltraums und aus der Nähe des Papiers. Sie erinnern uns daran, dass jede Falte eine Geschichte erzählt, dass jede Grenze durchlässig ist und dass die Welt, so fragmentiert sie auch erscheinen mag, immer wieder neu gefaltet werden kann.

Die Künstlerin möchte Planet Labs PBC für die grosszügige Bereitstellung der Satellitenbilder danken. Teile der Ausstellung sind im Paper Residency Berlin-Stipendium entstanden, hier gilt der Dank dem Haus des Papiers.