Die Geburt Jesu ist eines der wichtigsten christlichen Feste und die Adventszeit der Beginn des Kirchenjahres in der katholischen Kirche. In der Kunstgeschichte haben sich viele Künstler mit dem Thema Maria beschäftigt, von der Verkündigung über die Geburt Jesu bis hin zu ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel. Die meisten von ihnen haben sich vom Evangelium nach Lukas inspirieren lassen und Beschreibungen, Elemente und Symbole übernommen, aber woher rührt die Vorliebe der Künstler für diesen Evangelisten? Die Antwort beginnt in der Frühzeit des Christentums. Sie geht auf eine Legende zurück, die über Jahrhunderte weitergegeben wurde. Die Legende besagt, dass Lukas der erste Mensch war, der ein Bildnis von Maria anfertigte. Dieses Ereignis ist biblisch nicht belegt, gehört zur Legendenbildung der ersten Gläubigen und ist auf jeden Fall bei Orthodoxen und Katholiken tief verwurzelt.

Die Legende entstand wahrscheinlich im 6. und 7. Jahrhundert, als die Ikonen eine wichtige Rolle in der christlichen Liturgie zu spielen begannen, und diente dazu, die Bedeutung der Ikonenmalerei in der christlichen Tradition zu untermauern. Lukas war jedoch weder Maler noch Schriftsteller, sondern hatte ein besonderes Interesse am Leben Jesu und soll mehrere Gespräche mit Maria geführt haben, um später sein Evangelium zu dokumentieren. Das angebliche Porträt habe er zu einer Zeit gemalt, als er sie wahrscheinlich getroffen habe. Alle Informationen über die Verkündigung sind aus der Sicht von Lukas.

Im Mittelalter haben sich viele Künstler von diesem Evangelium inspirieren lassen, aber am meisten hat sie die Legende bewegt. Denn Lukas ist der einzige Evangelist, der von der Verkündigung berichtet und den Erzengel Gabriel als Boten Gottes beschreibt. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, warum die anderen drei Evangelisten - nämlich Markus, Matthäus und Johannes - in ihren jeweiligen Darstellungen des Lebens Jesu diesen Engel nicht erwähnt haben. Hatte Lukas eine andere Informationsquelle als die anderen? Wahrscheinlich ja, und diese Informationsquelle war keine andere als die Mutter Jesu, die Lukas die vollständige Information mit allen Einzelheiten anvertraute. Dieses Ereignis, auch wenn es für viele nur eine Legende ist, ist dank der einzigartigen Information des Evangelisten eine Realität. Das Ergebnis sind unzählige Kunstwerke, die diesen Moment des christlichen Glaubens verewigt haben.

Unter den Künstlern sind zu nennen: Duccio di Buoninsegna, Simone Martini und Melchior Broederlam in der Gotik oder Fra Angelico, Hans Memling, Andrea del Verrocchio und Leonardo da Vinci in der Früh- und Hochrenaissance. Unter diesen Werken sind das Fresko von Fra Angelico (1395-1455) im Kloster San Marco in Florenz, das Gemälde von Leonardo da Vinci (1452-1519) und Andrea del Verrocchio (1435-1488) in den Uffizien und das Gemälde von Hans Memling (1433-1494) im Metropolitan Museum of Art in New York besonders hervorzuheben.

Die bekannteste Version des Freskos von Fra Angelico zeigt die Szene in einem von Arkaden begrenzten Raum, in dem sich Maria befindet und der Erzengel Gabriel eintritt. Das Bild ist besonders interessant, weil es eine Grenze - in diesem Fall eine Ecke - zwischen den Figuren und der Natur betont. Obwohl die Gesichter nicht sehr charakterisiert sind und ihre Farben mit der Hintergrundfarbe der Gewänder verschmelzen, verwendet der dominikanische Maler die lineare Perspektive. Maria nimmt eine zurückhaltende Haltung ein, während Gabriel die Szene durch sein friedvolles Auftreten abrundet. Das Fresko, das sich am Eingang des Klosters San Marco in Florenz befindet, wurde als Meditationshilfe für die Mönche geschaffen und sollte auch an den Moment erinnern, in dem Gott in die Welt eingetreten ist.

Da Vinci und Del Verrocchio verwenden in ihrer Version der Verkündigung explizite Symbole aus dem Lukasevangelium. Früher wurde das Werk einem anderen Künstler zugeschrieben. Nachforschungen von Kunsthistorikern haben ergeben, dass das Gemälde während Leonardos Lehrzeit in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio entstanden ist. Zu dieser Zeit war Leonardo etwa 20 Jahre alt und musste zusammen mit anderen Mitarbeitern, die eigentlich Lehrlinge waren, die Techniken der Renaissance erlernen. Die Künstler experimentieren mit linearen und atmosphärischen Perspektiven. Die Szene spielt in einem Garten, einem traditionellen Symbol des Paradieses. Der Erzengel Gabriel blickt in das Herz Mariens und hält in seiner linken Hand eine Lilie, die im Lukasevangelium mehrfach vorkommt. Seine Flügel ähneln den Federn echter Vögel, ein Beispiel für Leonardos ernsthafte Naturbeobachtungen. Maria sitzt auf einem Steinpult und hält mit der rechten Hand die Seiten eines Buches, als würde sie ein Gebet sprechen. Überrascht empfängt sie den Gruß des Erzengels. Ihre unverhältnismäßig langen Hände sind ein Hinweis darauf, dass sich Leonardo in der Phase des Lernens befand. Dennoch vereinen Del Verrocchio und Da Vinci Natur, Mensch und Göttliches so harmonisch, dass die Komposition fasziniert.

Abschließend möchte ich das Gemälde von Hans Memling aus dem Jahre 1465 erwähnen, das zwischen Spätgotik und Frührenaissance einzuordnen ist. Der Meister hat diese Szene mehrmals dargestellt, aber jedes Mal besticht er durch seine ruhige Spiritualität und seine feine Symbolik. Die Perspektive des Raumes ist meisterhaft linear und lenkt den Blick des Betrachters in die Tiefe. Die Fenster - ein typisches Element der flämischen Maler wie z. B. Jan Vermeer - im Hintergrund auf der linken Seite lassen den Betrachter vermuten, dass sich das Geschehen während des Tages abspielt. Das Innere ist prachtvoll in Rot- und Blautönen gehalten. Maria liest mit demütigem Gesichtsausdruck ein Buch, wie auf dem Gemälden von Da Vinci und Del Verrocchio. Der Unterschied besteht darin, dass die Muttergottes ihren Blick auf den Boden richtet.

Auf der linken Seite hält der Erzengel Gabriel ein Lilienzepter, was die Szene auf das Lukasevangelium zurückführt und mit anderen Kunstwerken übereinstimmt. Memling verewigt die Szene mit zwei weiteren Engeln. Was sie symbolisieren, lässt mehrere Möglichkeiten zu. Erstens kann es sich um die himmlische Gefolgschaft handeln, d.h. die Verkündigung ist kein privates Ereignis zwischen Gabriel und Maria, sondern ein göttliches Geschehen, und die Engel stehen für die göttliche Ordnung. Als zweite Möglichkeit könnte auf die christlich-theologische Vorstellung von Engelschören verwiesen werden, die den Lobpreis Gottes für die Menschwerdung Christi verkörpern.

Eine weitere Bedeutung der beiden Engel ist die Ehrfurcht und der Respekt vor der Mutter Gottes, die oft als Himmelskönigin dargestellt wird. Letztendlich könnte die Anwesenheit der beiden Boten Gottes eine allegorische Darstellung sein, die die Botschaft Gabriels, die Reinheit und den Frieden verstärkt, eine spirituelle Bedeutung einer liturgischen Atmosphäre. Die im Hintergrund ausgeblasenen Kerzen stehen für die Menschwerdung Gottes, denn das göttliche Licht wird unsichtbar. Alle vier Künstler haben uns gezeigt, dass ihre Bilder tief mit dem Lukasevangelium verbunden sind. Doch durch die unterschiedlichen Entstehungszeiten bringen sie eine wertvolle Symbolik mit, die wir nur durch eine genaue Betrachtung des Bildes erschließen können.