Schritt für Schritt wandeln wir uns zu einem Netzwerkmuseum, in dem verschiedene Stimmen zu Wort kommen und sich unterschiedliche Orte miteinander verbinden. Gemeinsam werfen wir kritische Perspektiven auf die ethnologischen Sammlungen, deren Erwerbs- und Ausstellungsgeschichte.

Mit der Eröffnung von weiteren Ausstellungsteilen geht das Zukunftsprojekt in eine neue Runde. Die vierte Teileröffnung fand am 30. November 2023 statt und zeigt die Bereiche Völkerfreundschaften und (un)sichtbar, eine Intervention mit queer-feministischen Perspektiven auf die Geschichte des Königreichs Benin und im Rapid Response Bereich das Forschungsprojekt „Umgekehrte Sammlungsgeschichte. Kunst und Kultur aus Kamerun in deutschen Museen“.

Was haben eine Friedenspfeife aus der Prärie, eine Damenpistole aus dem „Wilden Westen“, ein mexikanischer Bauarbeiterhelm, eine Kaffeekanne aus Bagdad und ein aus Gras geflochtener Bus gemeinsam? Sie alle sind Teil der DDR-Geschichte des GRASSI Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Der neue Ausstellungsbereich Völkerfreundschaft nimmt das Museum und die Ethnologie vor 1990 in den Blick. Aufgrund der fehlenden Reisefreiheit wurden Museen zu Sehnsuchtsorten, an denen Besuchende an einem Tag „die Welt erleben“ konnten. Am Beispiel der vielen „Indianistik“-Klubs zeigt die Präsentation, welchen Einfluss die Völkerkunde auf das Privatleben, die Nischen- und Popkultur in der DDR hatte.

Der Teilbereich (un)sichtbar thematisiert, wie rein männliche Sichtweisen durchbrochen werden können und welche Geschichten (wieder) sichtbar gemacht werden müssen. Mit partizipativen Stationen und Interventionen gibt es vielfältige Möglichkeiten, vermeintliche Grenzen zu hinterfragen und zu durchbrechen. So suchten sich Akteur*innen aus verschiedenen Kontexten zwölf Dinge aus den ethnologischen Sammlungen aus und gaben ihnen eine bisher unsichtbare Bedeutung (zurück). Die neu entstandenen Lesarten sind persönlich, assoziativ, lyrisch, künstlerisch oder wissenschaftlich. Gezeigt wird auch ein Teil der umfangreichen Schmucksammlung des Gynäkologen Dr. Ümit Bir (1929-2014), welche seit 2004 als Dauerleihgabe am Museum aufbewahrt wird.

Darüber hinaus wird im Ausstellungsbereich zu den Benin-Bronzen eine Intervention mit queer-feministischen Perspektiven auf die Geschichte des Königreichs Benin in Zusammenarbeit mit der nigerianischen Kuratorin, Dichterin und Forscherin Mary Osaretin Omoregie eröffnet. In sieben Geschichten stehen nun erstmals Biografien von Frauen aus dem ehemaligen Königreich Benin im Mittelpunkt. Frauen, die sich den Normen einer patriarchalischen Gesellschaft widersetzten und den Lauf der Geschichte maßgeblich beeinflussten.

Das Forschungsprojekt „Umgekehrte Sammlungsgeschichte. Kunst und Kultur aus Kamerun in deutschen Museen“ ist das aktuelle Thema im Rapid Response Bereich. Die Technische Universität Berlin untersuchte gemeinsam mit der Université de Dschang in Kamerun erstmalig die Präsenz Kameruns in deutschen ethnologischen Sammlungen. Ein Teil des Projektes ist die Untersuchung der Bestände des GRASSI Museums für Völkerkunde zu Leipzig und damit ein wichtiger Schritt zur Erforschung der Vergangenheit des Museums. Die wissenschaftlichen Ergebnisse wurden im Juni 2023 in Berlin vorgestellt. Daraus ist auch die Publikation „Atlas der Abwesenheit - Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ entstanden. Seine Herausgabe nimmt das Museum zum Anlass, auf diesen Teil der Geschichte aufmerksam zu machen.

Die dritte Teileröffnung fand am 8. Dezember 2022 statt. Im Projekt Winds of Change – Klanggeschichten von den Andaman & Nicobar Islands beschäftigen wir uns mit Umweltverschmutzung, Klimakatastrophen und den Auswirkungen touristischer Megaprojekte. Im Großobjekte-Raum präsentiert der belgische Fotograf Mark De Fraeye sein Projekt Witness of Time. Die Idee des Netzwerkmuseums steht bei unserem eintrittsfreien Spielraum, dem Bonvenon, im Mittelpunkt. Angesichts der Entwicklungen zur Eigentumsübertragung der Benin-Bronzen an Nigeria suchen wir gemeinsam mit nigerianischen Partner*innen nach neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Der erste Teilabschnitt wurde am 3. März 2022 eröffnet. Die neue Präsentation konfrontiert die Museumsgeschichte mit aktivistischen Zugängen zu Restitutionsfragen. Darüber hinaus kann nun unser Backstage-Bereich besuchen werden, in dem wir unseren Umgang mit den Objekten und Archiven reflektieren und uns gleichzeitig von eingeladenen Kurator*innen herausfordern lassen. Außerdem testen wir Roboter für ein neues Museums-Erlebnis, bauen die Ausstellungsräume nach und nach um und entwerfen einen neuen Museums-Look.