Das Leben eines Katholiken war in der Niederlande des 17. Jahrhunderts mit Sicherheit nicht einfach. Etwa mehr als hundert Jahre nach der Reformation, und mitten im 80 jährigen Krieg gegen die Spaniern, wurde Wilhelm I, Fürst von Oranien, der zum calvinistischen übertrat, im Jahr 1584 von Katholiken ermordet. Die in der Zeit von Calvinisten bevölkerten Vereinigten Provinzen des Nordens der Niederlande duldeten andere Christen und stuften die reformierte Kirche als weltliche Autorität ein. In diesem Sinne hatten Katholiken am öffentlichen Leben nicht wirklich teilgenommen. Fast fünfzig Jahre später in der gleichen Stadt der Ermordung Wilhelms I, Delft (13 Kilometer von Den Haag entfernt), kam Jan Vermeer, 1632, zur Welt. Dort wuchs er auf, wurde Maler des Barocks und starb im Alter von 43 Jahre in einer prekären wirtschaftlichen Lage.
Jan Vermeer war einer von vielen Künstlern, der laut Einschätzung von Kuratoren und Kunsthistoriker, wie Arthur Wheelock, Paul Claudel, Walter Liedtke bestätigen, die christliche Botschaft bei einem wichtigen Teil seines Gesamtwerkes vermittelt hat. Unter diesen Linien werden wir versuchen, eins seiner Gemälde zu entschlüsseln. Als erstes sollte man erwähnen, dass Maler in der Zeit, direkt oder indirekt, verpflichtet waren entweder die Legenda Aurea von Jakobus de Voragine oder die Iconologia von Cesare Ripa -in Wahrheit ein Wörterbuch abstrakter Begriffen des Christentums-, zu lesen. Beide Bücher handeln um den christlichen Glaube, auf deren Seiten werden Geschichten, Mythen, Verbindungen, Konzepte, Feierlichkeiten und Elemente der Theologie beschrieben. In den religiösen Gemälden von Vermeer spürt man einen klaren Einfluss von Cesare Ripas Iconologia; Gegenstände, Stimmung und Hintergründe in den Bildszenen seiner Gemälde weisen darauf hin, absolute Kenntnisse des Werkes zu haben.
In der „Allegorie des Glaubens“ (1670, Öl auf Leinwand -114X89 cm) setzt Jan Vermeer nicht nur eine Frau in Szene, sondern auch eine Reihe Elemente: ein Globus, eine Schlange, ein Kelch, ein Missal, ein Kruzifix, und ein Gemälde mit Jesus am Kreuz, deren Platzierung auf dem Bild zu einer geistlichen Bedeutung führt. Der Kelch, das Missal und das Kruzifix sind zweifellos drei unverzichtbare Gegenstände des Gottesdienstes. Die Atmosphäre, in der sich die Szene abspielt, spiegelt eine familiäre häusliche Umgebung wider, denn zu jener Zeit war es in der Niederlande geduldet, bei privaten katholischen Haushalten die heilige Messe zu feiern, was mit unserer Recherche übereinstimmt. Auf der linken Seite des Bildes liegt vor der Frau eine Schlange, deren Körper auf den Fliesen unter einem Stein verblutet, was in Wirklichkeit bedeuten würde; den Sieg Jesu Christi über das Böse. Bezüglich darauf – Stein oder Eckstein –, wird es in vielen heiligen Büchern (jüdisch oder christlich) hingewiesen. In der Bibel ist das Stichwort Eckstein von großer Bedeutung und es wird bei allen Evangelisten zitiert; z.B. Matthäus 21:42. Auch erwähnt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Epheser Jesus als Eckstein (Epheser, 2:20). Aus diesem Grund waren zudem die Fundamenten bei vielen Kirchen der Antike mit einem sogenannten Eckstein (i.d.R. mit Reliquien von Heiligen oder Märtyrern) gelegen.
Laut Kunstkritiker repräsentiert die Frau (bei der Allegorie des Glaubens) den Glauben; ihr Kleid ist ein Zeichen davon, denn es entspricht nicht, aufgrund des Stils und der Farben, einem niederländischen Frauenkleid aus dem 17. Jahrhundert. Das Zeichen Kleid wirkt durch die bildhafte Sprache mit; der weiß glänzende Farbton des Kleides ist für die Lauterkeit des Glaubens, was die hellblaue Farbe für das Symbol Maria ist. Der Glaube ist für die Christen eine der drei göttlichen Tugenden, die Gott uns zusammen mit der Gnade schenkt; laut C.Ripas Iconologia liegt er im Herz. Die Hauptfigur des Gemäldes, der Glaube, bestätigt mit ihrer Körperhaltung – die Hand auf dem Herz - , dass der Glaube auch Vertrauen bedeutet und wir dadurch Gott unser Herz schenken.
Der Künstler schließt die Szene mit einem Bild von Jesus am Kreuz ab, was die Liebe unseres Retters darstellt und ist ein gemeinsamer Nenner vieler Werke Vermeers. Die Ausstrahlung und Wirkung des Bildes hat genau mittig auf der oberen Hälfte einen weiteren Höhepunkt; eine geblasene Glas Kugel hängt und setzt einen besonderen Lichtakzent, wobei ihre symmetrischen runden Kanten die Lichtstärke reflektieren. Die Einflusssphäre des Lichtes wirkt auch direkt auf die auf dem Tisch gestellten Gottesdienstelementen; der Glaube richtet den Blick punktuell auf die durchsichtige Kugel.
Was hat die Kugel in dieser Atmosphäre zu bedeuten? Die Geschichte bzw. Emblem ist mit der katholischen Kirche verbunden; sie kommt seit 1636 in Betracht, als Willem van Hees, ein niederländischer jesuitischer Priester, das Buch Emblemata sacra de fide, spe, caritate (zu Deutsch; Heilige Symbole des Glaubens, der Hoffnung und der Nächstenliebe) veröffentlichte. Das ursprünglich auf Latein geschriebene Buch lässt uns in die Genialität des Autors blicken; was er aber mit diesem Symbol, eine durchsichtige Kugel, ausdrücken will, ist nicht nur poetisch sondern auch mystisch. In seinem Buch auf Seite achtundachtzig erscheint ein Engel mit einer durchsichtigen Kugel; als Untertitel das Zitat: „Capit quod non capit“, was auf Deutsch heißt: „Es fängt, was es nicht fangen kann“. In diesem Sinne ist es die Kugel gemeint; sie ist klein und fängt das unendliche Licht der kosmischen Welt. In übertragener Bedeutung bzw. metaphorische Wiedergabe meint Van Hees, dass jeder menschliche Verstand, der an Gott glaubt, die unendliche Natur Gottes fassen kann. Jan Vermeer zwingt den Betrachter des Gemäldes, Allegorie des Glaubens, letztendlich dazu, sich mit einer Weisheit jesuitischer Herkunft auseinander zu setzen.