Das Gebiet des künstlichen Lebens zielt darauf ab, dieses so zu studieren, wie es sein könnte.1,2 Eine Definition des Lebens basiert auf Autopoiese bzw. Selbsterschaffung.3,4 Lebende Organismen - wie der Mensch - bauen im Gegensatz zu einer Maschine kontinuierlich Proteine, subzelluläre Organellen, Zellen und Gewebe in ihrem Körper ab und erneuern diese. Zellen und Organismen machen diesen Prozess innerhalb sich selbst.
Es handelt sich um eine emergente Eigenschaft, die nicht nur auf der Grundlage der Eigenschaften der einzelnen Komponenten vorhergesagt werden kann, sondern darüber hinaus reproduzieren oder erhalten sich alle lebenden Systeme durch Wachstum im oder am Körper, gefolgt von Spaltung, Knospung oder Geburt.5
Im Gegensatz dazu replizieren sich subzelluläre Organellen ohne internes Wachstum. Stattdessen bauen sie Material in ihrer äußeren Umgebung (aber immer noch innerhalb der Zelle) zusammen und stellen so funktionsfähige Kopien her. Vor 2021 war eine solche kinematische Replikation noch nie auf höheren Ebenen der biologischen Organisation beobachtet worden und es war auch nicht bekannt, ob mehrzellige Systeme dazu überhaupt in der Lage wären.
2021 änderten Wissenschaftler aus den USA dies. Sie veröffentlichten einen Bericht über Anordnungen von Herz- und Hautzellen, die sich kinematisch replizierten. Sie wurden aus Stammzellen des afrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis hergestellt, daher sind sie als Xenobots bekannt. Sie bewegten und komprimierten dissoziierte Zellen in ihrer Umgebung, um funktionale Kopien von sich selbst herzustellen. Dieses Verhalten entstand spontan über Tage und entwickelte sich nicht über Jahrtausende. In dieser Studie wurden mit auf künstlicher Intelligenz basierenden Methoden Baugruppen entworfen, die sich replizierten und als Nebeneffekt der Replikation nützliche Arbeit leisteten. Dennoch schrieben die Autoren, dass diese rekonfigurierbaren Organismen 'Maschinen' seien.5 Im Gegensatz dazu betrachtet die Theorie der Autopoiesis lebende Organismen nicht als Maschinen und somit wären Xenobots keine eigene Lebensform. Nichtsdestotrotz wurden Xenobots auch als lebende Roboter und eigene Lebensform beschrieben.6
Andere haben sie als selbstfahrende, autonome Protoorganismen beschrieben, die manche der Eigenschaften lebender Organismen haben, aber nicht alle (wie etwa Autopoiese).7 Xenobots könnten einen großen Wert haben. Sie könnten in der Lage sein, verschmutzte Ozeane zu reinigen, indem sie Mikroplastik sammeln. Sie könnten auch verwendet werden, um enge oder gefährliche Bereiche zu betreten und Giftstoffe oder radioaktive Materialien entfernen. Xenobots könnten auch mit sorgfältig geformten Beuteln ausgestattet sein und somit Medikamente zu Zielorganen im menschlichen Körper transportieren.7 Sie könnten auch in der Lage sein, Krebsstammzellen zu entfernen, bevor sie sich zu reifen Krebszellen und Tumoren entwickeln.8 Sie sind weniger als 1 mm lang und bestehen aus 500-1000 lebenden Zellen. Sie können sich selbst antreiben, sich zusammenschließen (um kollektiv zu handeln) und kleine Objekte bewegen.9 Mit ihrer eigenen Zellenergie können sie bis zu 10 Tage leben.
Künstliche Intelligenz (KI) und ein Supercomputer wurden verwendet, um Tausende von zufälligen Designs einfacher Lebewesen zu testen, die ausgewählte Aufgaben ausführen konnten.5,10 Nach Auswahl der vielversprechendsten Designs wurden die virtuellen Modelle mit Froschhaut oder Herzzellen ersetzt und manuell zusammengesetzt. Die Herzzellen ermöglichten es den Baugruppen sich zusammenzuziehen und zu entspannen, wodurch die Xenobots ihre Beweglichkeit erhielten.
Die verwendeten Zellen stammen aus Embryonen im Blastula-Stadium, wo sie größtenteils noch die Fähigkeit behalten, sich in jeden Gewebetyp des Körpers zu wandeln. Später wurden ausgewählte Funktionen in das Design eingebaut, indem Zelltypen verwendet wurden, die begonnen hatten, sich in ein Zielgewebe zu differenzieren. Epithel- und Herzzellen wurden getrennt kultiviert. Als Nächstes wurden sie kombiniert, sodass sie sich zu einer einzigen Masse aggregieren konnten. Die spezifische Anordnung der Zellen wurde mit Hilfe eines evolutionären Algorithmus in Simulationen entschieden, die nach den Geometrien suchten, die für die gewünschte Aufgabe am besten geeignet waren. Beispielsweise konnte sich ein zweibeiniger Xenobot, mit kontraktilen Zellen in der unteren Hälfte, in einer nicht zufälligen Richtung über eine Oberfläche bewegen.
Die Designs wurden durch Iteration optimiert, wobei die leistungsstärksten Strukturen als Eingabe für weitere Testrunden verwendet wurden. Die beweglichen Strukturen zeigten auch emergentes Verhalten. Beispielsweise könnten sie sich bei einer Kollision vorübergehend aneinanderheften oder umkreisen. Einige der Entwürfe enthielten unerwartete Merkmale, die neue Verwendungsmöglichkeiten haben könnten. Ein Xenobot entwickelte während der Entwurfsphase ein Loch, das den hydrodynamischen Widerstand verringerte und als Hohlraum zum Lagern und Transportieren von Objekten fungieren könnte.10
Ob nun Xenobots als lebende Organismen bezeichnet werden können oder nicht, bieten sie trotzdem viele aufregende Möglichkeiten, um die menschliche Gesundheit zu verbessern und die Umwelt zu reinigen. Dennoch könnten Biologen sich fragen: Muss Autopoiese (Selbstherstellung) innerhalb eines Systems stattfinden, damit es als lebendig betrachtet wird? Kann Autopoiese außerhalb des Organismus stattfinden?
Anmerkungen
1 Aguilar, W. et al. The past, present, and future of artificial life. Frontiers in Robotics and AI, 2014.
2 Gershenson, C. & Cejkova, J. Artificial life: sustainable self-replicating systems.
3 Capra, F. and Luisi, P.L. The Systems View of Life, Cambridge University Press, United Kingdom, 2014.
4 Luisi, P.L. The Santiago school. Autopoiesis and the biologics of life. Wall Street International, 29 Feb., 2016.
5 Kriegman, S. et al. Kinematic self-replication in reconfigurable organisms. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021.
6 Ramanujam, L. Xenobots: A remarkable combination of an Artificial Intelligence-based biological living robot. International Journal of Sociotechnology and Knowledge Development , Volume 14, 2022.
7 Abramson, C.I. & Levin, M. Behaviorist approaches to investigating memory and learning: A primer for synthetic biology and bioengineering. Communicative & Integrative Biology, 2021.
8 Ghahfarokhi, M.H. Stem cell-based intervention of neurological cancer for cognitive restoration. Neurosphere Student Journal, 2022.
9 Brown, J. Team builds first living robots—that can reproduce. University of Vermont Communications 2021.
10 Ball, P. Living robots. Nature Materials, 2020.