Und dann kam das schlechte Wetter und brachte das Ende des Sommers. Der Wind brachte es vom Atlantik und zog dann ohne das Ende weiter und der Sommer wollte gar nicht mehr aufhören, zu Ende zu gehen. Man musste die Fenster schließen, damit die Welt drinnen nicht mit unterging und der Wind trieb den Regen gegen die Fenster und riss die letzten Blätter von den Bäumen, die dann an den Fenstern klebten oder nass und tot auf die Welt fielen und dort lagen und lagen, bis sie von irgendeiner kurzen Sonne getrocknet wurden oder irgendeinem trägen Wind, der sie einmal kurz aufwirbelte und am Ende einer Abenddämmerung zwischen den Ereignissen umhertrieb. Die Welt roch dann nach Laub, das nicht mehr wehte.
Mit dem Regen kam die Traurigkeit in die Stadt und mit der Traurigkeit, diese eine Seite an ihr, die sich nicht mit dieser einen Seite an mir verstand. Ansonsten verstanden wir uns prächtig und ich glaube, dass diese eine Seite der Grund war, dass sich die anderen Seiten an uns, so gut miteinander verstanden. Das dachte ich damals und das denke ich auch noch heute. Es ging immer nur um Sachen, die egal waren, um die wichtigen Sachen stritten wir nie. Bei den wichtigen Sachen war es ganz egal, wer Recht hatte. Wenn irgendetwas wichtig war, setzten wir uns auf die Bänke, im amerikanischen Viertel, die man auf halber Strecke zwischen Treppen gestellt hatte, die nie einer ging, und erklärten uns einander. Wenn wir nicht weiterwussten oder sie sich zu lange erklärte, flogen meine Gedanken davon und ich dachte, dass das hier gute Bänke wären, um ein sich zu erklären, weil sie in einem ganz bestimmten Winkel zueinander aufgestellt wurden und man sich nicht anschreien und nichts schmeißen konnte, wegen der Nachbarn und dass hier viel Unkraut durch das Pflaster wächst, weil sie nie jemand ging. Ich nahm mir vor, die Treppen öfters zu gehen und irgendwie sah sie mir das immer an, wenn ich an Treppen dachte, die ich öfter gehen möchte und wir begannen zu streiten. Wir stritten von den Treppen bis zum Pantheon und dann zum Miradouro da Nossa Senhora. Einer ging immer vor und der andere rannte ihm nach und am Miradouro da Nossa Senhora begann es zu regnen oder wir bemerkten den Regen erst dort. Die Bäume waren alle kahl und die Kirche war zu und es gab auch sonst nichts zum Unterstellen, nur ein großes Kreuz in der Mitte des Platzes.
Wir standen also unter dem großen Kreuz in der Mitte des Platzes, jeder unter seiner Seite des Kreuzes und wurden sehr nass. Ich hatte den ganzen Sommer über auf sie gewartet und ich hatte auch heute auf sie gewartet, obwohl gar kein Sommer mehr war, und ich hatte kein Problem damit gehabt, weil ich nie ein Problem damit hatte und sie ständig zu spät kam und ich ständig so dastand und rauchte und über Dinge nachdachte. Aber als sie heute zu spät kam, küsste sie mich zu flüchtig und sprach nur von ihrer neuen Wohnung und ich sagte ich hätte darüber nachgedacht, dass sie nur noch von ihrer neuen Wohnung sprechen würde und immer zu spät wäre. Sie hatte die gleichen Meinungen, die nicht stimmten, wie ich, aber manchmal saß sie nicht auf Bänken, zwischen Treppen, sondern wie eine Prinzessin auf einem Elefanten, der durch einen Dschungel lief und kämpfte gegen Mücken. Vom Elefanten ausgesehen, fielen meinem männlichen Betriebssystem ihre kurzen Haare auf. Sie waren scharf und kinnlang abgeschnitten und die Spitzen ihre Haare zeigten zu ihrem Mund. Ihr Mund hatte dieses ewige Erste an sich und ein unendlicher Impuls ging von ihm aus, der sich anfühlte, wie die Verheißung von etwas. So als wären erste Küsse mit ihm ein Leben lang möglich. Damals ging es viel um Sex und das Leugnen von Sex und das durch Sex viele Dinge einfacher wurden und komplizierter. Früher dachte ich immer, dass da etwas zwischen uns ist, bis ich erkannte, dass das, was da zwischen uns ist, nur die Frage war, ob man seinen Augen im anderen so gefällt, wie man ist, was etwas Gutes war, das zwischen zwei Menschen sein konnte. Es war etwas Gewisses, das zwischen Leuten sein musste, die zusammen sein wollten.
Es hatte irgendwas mit Lieben und Hassen und Sein und nicht anders können und Brauchen zu tun. Ich wusste auch nicht, was es war und ich wollte es auch nicht herausfinden. Wir brauchten nicht viele Worte, um das und uns zu verstehen, aber einige brauchten wir schon und als wir uns verstanden hatten, verließen wir den nassen und kalten Platz und gingen in ihre neue Wohnung, um näher Beisammen sein zu können und unseren letzten gemeinsamen Abend nicht zu verschwenden. Gemeinsam befriedigten wir unsere Bedürfnisse und dadurch, dass ich meins befriedigte, befriedigte ich ihrs und es gab in dieser Zeit kein Bedürfnis, dass wir nicht zusammen befriedigen konnten. Ein Glück. Sie zeigte mir ihre neue Wohnung und wir legten uns auf ein Laken, um den neuen Teppich nicht zu versauen und ich wurde unsicher, da ihr die Sache wohl keinen neuen Teppich wert gewesen wäre. Regen schlug jetzt heftig ans Fenster. Ich wollte sie und meine Unsicherheit vernichten und versaute sie und den Teppich, lange bevor sie bereit war, sich richtig versauen zu lassen. Es war unser letzter gemeinsamer Abend und wir waren traurig, dass wir unseren letzten gemeinsamen Abend so verbrachten, aber letzte gemeinsame Abende taugen nie etwas, nichts Letztes taugte etwas. Sie weinte wegen des Teppichs und ich, weil sie wegen so etwas wie einem Teppich weinen konnte.
Am nächsten Tag folgte ich meiner Bestimmung, dem Pfiff der Ferne, dem Dampf von Lokomotiven, dem Dröhnen der Triebwerke, die nur vom Boden aus, wie die schönen Schreie der Sehnsucht klingen, wie langes fliegendes Weiß. Außerdem hatte ich viele andere Schreie von letzter Nacht im Kopf, die ihr Stöhnen, an das ich mich lieber zurückerinnerte, völlig übertönten. Es waren so viele und das Flugzeug flog so laut, dass ich der Stewardess am Notausgang gar nicht erklären konnte, was mein Problem ist. Sie brachten mir Ohropax und es war immer noch laut, aber die Lautstarke beschränkte sich auf den Krach in meinem Kopf, der dröhnte wie ein turbinenangetriebener Schrei, der nicht mehr enden wollte und sich anhörte, wie ein Flugzeugabsturz, bei dem alle Gefühle ums Leben gekommen sind. Alles explodierte, das Herz und die Ohren und der Kopf, alles voll davon, voll von letzter Nacht, so laut, dass ich glaubte, selbst zu Nacht und Explosion, zum Problem geworden zu sein. Das Fliegen konnte vielleicht gar nichts dafür. Ich sah aus dem Fenster, trank Whiskey und Wein, sah ganz weit weg, die ganze Weite der Welt konnte ich sehen, hohl und hoch und weiß in der Sonne lag sie da vor mir, und wenn die Gipfel durch das Weiße kommen würden, wäre ich endlich da. Angekommen, bevor ich losgeflogen bin. Irgendwie so, erklärte mir mein Sitznachbar. Wenn man jeden Tag so fliegen würde, meinte er, kann man doppelt leben und wird halb so alt, muss aber jeden Tag im Flugzeug verbringen und so fliegen. Ich war nicht glücklich, aber auch nicht traurig oder einsam wegen dem, was er da sagte, was ohne meine Freundin mit Glücklich sein gleichzusetzen ist.