Eigentlich wollte ich darüber schreiben, wie ich im Park saß, da der Jacaranda, dort der Fluss, Italo Calvino las und ein Bier mit mir trank, notierte, schaute, unterstrich, während ich rauchte und rauchte, während ich schaute und unterstrich. Aber es war schwer über etwas Anderes zu lesen, denn ich saß im schönsten Park der alten Welt. Selbst Spielplätze und bellende Hunde konnten ihm nichts anhaben. Die Frauen hatten ihre nackten Beine gekreuzt, damit man ihnen nicht in den Schritt schauen konnte und die Männer saßen breitbeinig da. Einer zupfte an einer portugiesischen Gitarre. Es klang wie der komponierte Feierabend für ganz Südeuropa, das sich nun endlich erholen durfte, von einem langen, harten Tag, an dem es wieder barfuß mit dem Fahrrad Forellen fangen fahren musste. Alles war gut in der schönsten Stadt der Welt. Wie immer, leicht verkatert und ein bisschen gestritten. In denen Laternen ging gerade die gelbe Straßenbeleuchtung auf und ich wurde langsam fetter und fetter vom vielen Käse essen. Ich las ein Zitat, das ich gut fand: Sei ganz in jedem Ding. Leg, was du bist, in dein geringstes Tun! und kam dem Schönsten der Welt näher und näher. Mithilfe dieses Zitats würde nun eine Zukunft vor mir liegen, wie ich sie noch nie gelebt hatte. Vorbei die zu vielen sinnvollen Momente, der Zwang zur Sinnhaftigkeit. Wenn ich, bis zu diesem Zitat, andere im Park sitzen sah, trinkend, Gitarre spielend, nichts tuend, erschien es mir als das einzig richtige. Selbst, wenn ich mich selber im Park sehen könnte, würde ich das denken. Absolut sinnvoll und schlüssig, was der macht und wie unverschämt gut der dabei aussieht. Er muss es wissen. Wenn ich mich aber selber in einen Park setzte, fragte ich mich, ob es der richtige Park war und ich das richtige nicht tue, das richtige trinke, das richtige unterstreiche, notiere, anschaue, schreibe, liebe, lese, rauche und esse. Um meine Gedanken herunterzufahren suchte ich dann nach etwas deinspirierenden, das ich anschauen konnte. Baum, Spielplatz oder Hund. Ich hatte viele tiefe Gedanken. Wo hört das Hirn auf, wo fängt das Universum an und wenn wir nichts sind, können wir auch nicht sagen, dass das alles und das nichts und Alles nichts ist. Es waren normale Gedanken ja, die einem eben kommen, wenn man abends auf der Schwelle von irgendwas sitzt und die Kühle genießt.
Dann wollte ich über Kindergeburtstage von Einjährigen schreiben, etwas, das noch nicht weiß, dass es Geburtstag hat. Das wollte ich schon lange mal machen und nachdem ich im Park von weitem einen gesehen hatte, fühlte ich mich aufgeladen inspiriert. Da standen viele Muttis und auch einige Vatis mit ihren Problemen im Arm. Irgendwer muss Kuchen mitgebracht haben. Warme Apfelschorle in bunten Bechern. Sie stillten, redeten und nickten verständnisvoll. Die Mutter des Einjährigen bedankte sich vielmals für die Geschenke. Mehr ist zu Kindergeburtstagen von Einjährigen nicht zu sagen.
Auch über meinen Heimweg hätte ich gerne geschrieben. Mit ein bisschen Wein im Tank fühlen sich die Kopfsteinpflaster nämlich an wie Kissen. Man schwebt förmlich nach Hause. Wie soll ich das jetzt erklären? Manchmal ziehe ich bis nachts eben durch die Gassen. Um ehrlich zu sein, ziehe ich nicht mal wirklich, ich renne förmlich und schleiche, wie bei einem Versteckspiel mit Anschlagen, nur das mich keiner sucht und ich dreißig werde. Ist mir aber egal. Ich bin dann wie elektrisiert und schwitze und betrachte meine Notizen als eine Art Beute, mit der ich sicher nach Hause gelangen muss. Begegne ich jemandem unterwegs, tue ich so, als hätte ichs eilig. Weit und breit kein Hochhaus in Sicht, das mich zur Besinnung bringen könnte. Nur Gassen und Treppen und Schatten einer ruhmreichen Geschichte. Ein Labyrinth aus Bauwerken, die so groß und mächtig sind, dass sie aus Sklaverei und Ausbeutung geschaffen sein müssen. Von größenwahnsinnigen Diktatoren, die auf Menschenleben bauten, weil sie zum Einjährigen zu viele Geschenke bekamen oder nie mit Verstecken spielen durften. Ach ja, die Tyrannei. Unfassbar, was die früher mit Krieg und Raub und Unterdrückung so alles errichten konnten. Heute alles beliebte Attraktion. Geruch und Anblick zugleich, denn die frische Wäsche auf den Leinen wird vom Wind durch die Gassen getragen und lässt die dreckigsten Ecken sehr sauber aussehen. Auf dem Heimweg vom Heimweg bin ich dann noch zu all den Drehorten gegangen, an denen ich mich vor einigen Tagen in Teilen meines Buches wiederfand und stand da. Leer wars. Schauspieler, Kameraleute, Menschen für den Ton, alles Idole. Alle weg, schön wars. Interessiert keinen so sehr wie mich. Ich hörte die Straßenbahn, wie sie sich den Hang hinauf quälte. Es wäre so schön gewesen, darüber zu schreiben.
Aber in mir drängte sich eine lange Frage auf, die sich hochwürgte und endlich einmal aufs Papier gekotzt werden musste. Diesmal schluckte ich nicht, schluss mit dem schlecht werden. Finger in den Hals und durch. Also ging ich in eine Spielunke auf dem Land an die Bar, die dem Schönsten der Welt sehr fern war und bestellte Lösungen. Der Raum in dem man volle Teller auf Tische stellte (Restaurant oder Essen zu sagen, wäre übertrieben gewesen) gehörte einem Ehepaar, das seit vierzig Jahren gemeinsam volle Teller auf Tische stellte. Bei denen ging gar nichts mehr. Sein Name war João und für viele Leute aus der Stadt war er ein Arschloch. Für die Leute auf dem Land war João jedoch der, ders geschafft hatte. Eigener Raum, in dem ihn Leute dafür bezahlten, dass er volle Teller auf Tische stellte und seit 40 Jahren unglücklich verheiratet. Für einige war er also ein Arschloch und für die einigen anderen, der ders geschafft hatte. Nur sein Name João war für alle gleich. Er stand kurz vor der Rente und hatte in seinem Leben keine Frau vergewaltigt und niemanden überfahren, in seinen Augen also ein erfolgreiches Leben geführt. Und ich sags dir, wie er da so saß so kurz vor drei, als ich in den Raum kam. So kurz vor dem Wochenende und sein Steak mit den Pommes aß. Der Wein vor ihm auf einer rosafarbenen Tischdecke. Die Gardine, die geradeso wehte. So sah Trostlosigkeit aus. Seine Frau stand in der Küche, seit 40 Jahren da in der Küche, sie alle zu bekochen. Jeden Tag. Sie war schon lange verblüht, auch wenn nichts an ihr darauf hindeutet, dass sie in ihrer Jugend jemals geblüht hatte, schön war oder überhaupt etwas anderes gewesen war, als verblüht. Ihr fehlten mehr Zähne, als sie noch hatte, deswegen konnte sie gegen das Spucken beim Sprechen nicht viel machen. Als erstes fragte sie mich (Spucke) ob ich vorher schon mal (Spucke) in Fatima gewesen bin (Spucke). Ich sagte ja, einmal bei McDonalds, kurz von der Autobahn. Die anerzogene Gläubige in ihr erschauderte, dem Rest von ihr wars egal. Dann begann sie mir Fotos von Fatima zu zeigen. Der Kirche, dem Papst, der Jungfrau Maria. Auf allen dreien war eingetrocknete Spucke. Weil das mit den Fotos gut lief, holte sie noch eine andere Kiste heraus und begann mir Fotos von sich und João zu zeigen, damals in der Algarve, João beim Militär, die Hochzeit, Ferien, das erste Kind und dessen einjähriger Geburtstag, die Kinder des ersten Kindes und ihre einjährigen Geburtstage und so weiter. Warum, fragte ich sie, empfinde ich Symbole des harmonischen Zusammenseins (Mann und Frau, die einmal im Jahr Ferien machen) immer als Angriff auf meine Freiheit? Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte, damit sie spucken konnte. João, rief sie, João komm mal her und bring den Wein mit, rief sie (ganz viel Spucke, das mit der Spucke lassen wir ab jetzt weg). Bis sich João von der rosafarbenen Tischdecke auf den langen Weg zum Ursprung der Rufe seiner Frau machte, versuchte sie sich eine Antwort zusammen zu stacheln. Sie war eine liebenswerte Frau und ich mochte sie sehr. Das hat, was mit dem Alter zu tun, sagte sie. Und freute sich sehr über ihre Antwort. Sie dürfe das nicht Fall falsch verstehen, sagte ich. Ich hätte nichts gegen die Ehe, ich will an die Ehe glauben, deswegen bin ich gekommen. Leute, die gegen die Ehe sind, weil sie für die Freiheit des Einzelnen sind und Menschen verurteilen, die in Ehen sind, sind nicht besser als das, gegen was sie sind. Ich begann ihr von einer verheirateten Alten zu erzählen, älter als meine Mutter ist sie gewesen, mit der vor einigen Jahren eine Affäre hatte. Es war das einzige in meinem Leben, das bisher mit dem Alter zu tun hatte. Unsere Affäre bestand mehr aus Ausstellungen besuchen, im Park spazieren und ein bisschen Fummeln, als aus den Dingen, aus denen Dingen, aus denen gewöhnliche Affären sind. Sie hatte aber immer nur morgens Zeit, sagte ich ihr, kurz nach dem Frühstück. Nüchtern und mit Müsli im Bauch konnte ich unmöglich eine Frau flachlegen, die älter war, als meine eigene Mutter. Sie schaute sehr verdutzt und kreuzigte sich ein paar Mal. Dann kam João. Er schien die Sache auf eine ländliche lässige Art sehr ernst zu nehmen. So wie das Reparieren eines Autos, wenn es sonst nichts zu reparieren gibt. Er setzte sich und fragte, was los ist. In einer unverständlichen Sprache, die sich beide über viele gemeinsame Ehejahre angeeignet haben, brachte sie ihn auf den Stand der Dinge. Dann ging sie in die Küche, um sauberzumachen und ließ João und mich allein zurück. Er fragte, was mein Problem ist? Ich sagte naja, ich will an die Ehe glauben, an Leidenschaft, die über das erste an –und ausziehen hinausgeht. An Begierde, die haltbar ist, kein Verfallsdatum kennt und über den Anfang hinaus frisch bleiben kann. Ein ehrliches Zusammensein, dass aus Bänden der Liebe besteht und keinen ehelichen Ketten. Rede ich mir das nur ein, oder ist das, was ich mir einrede, wahr. Ich will mich niemals selbst betrügen müssen und auch nichts Gemeinsames zerbrechen, etwas Unersetzliches. Ich kenne nur Anfänge, brandneue Körper, die nach dem ersten Nacktsein in Kleidung verschwinden und nie wieder zu mir zurückkehren. Wieso, was passiert den mit denen, fragte João? Naja, die sind weg, sagte ich. Wie weg? fragte er. Na weg, sagte ich. Am Anfang sind sie noch Pullovernackt, da geht’s noch, man liebt sich eins, zweimal, oder man tut zumindest so, so lange es geht. Dann trinkt man noch Kaffee, bis man keinen Kaffee mehr trinken kann und wenn man dann alles getan hat, was man zusammen tun kann, will man lieber alleine sein, weil einem auffällt, dass man die Blumen nicht gegossen oder einen guten alten Freund lange nicht angerufen hat. Ich habe erst eine Frau gesehen, die sich angezogen hat, und das ist meine eigene, sagte João. Er sagte das mit einer Ruhe, als hätte man ihm noch in der Kirche zur Hochzeit die Eier abgenommen und ihm als Andenken mit Nachhause gegeben. Wahnsinn, und tut ihrs noch? fragte ich. Natürlich nicht, antwortete João. Aber die ersten zehn, zwanzig Jahre haben wirs getan, wie die Tiere. Jungfrau vergib mir! Da wo du grad sitzt, haben wirs am liebsten getan. Sie breitbeinig auf dem Tisch, das waren Zeiten. Ich saß auf einem Aluminiumstuhl und lehnte an einer Eistruhe. Mit dem Alter, fuhr João fort, werden die Dinge anders. Vieles wird schlechter, ich trage die ganzen Steaks mit mir herum, die nicht mehr gehen wollen und an ihr hängt alles herunter. Aber dass ihr Zähne ausfallen hat auch etwas Gutes, heilige Jungfrau, sie hatte nie die beste Technik, da waren die Dinger nur im Weg. Aber Junge, du bist doch blutjung! Du hast bisher nur eine Vorstellung von etwas. Du redest von gedachten Taten, wenn du spekulieren willst, musst du an die Börse. João kam in richtig in Fahrt! Erzähl mal von deiner kleinen Freundin, hat sie starke weiße Zähne?
Beim Versuch sie zu beschreiben, bin ich schon oft gescheitert und seit ich Richard Brautigan gelesen hatte, gab ich es auf. Ob er Richard Brautigan gelesen habe, fragte ich João. Nein, sagte João. Bevor ich Brautigan gelesen hatte, beschrieb ich sie immer wie etwas noch nie Dagewesenes. Ein Mädchen, das ich so noch nie gesehen hatte. Es gab keine Bücher oder Filme über das Mädchen wie sie. Ich hätte nicht sagen können, dass sie aussah wie und so war wie, weil sie das alles nicht war. Soweit auch so gut und soweit auch von mir. João hatte keinen Schimmer, von was ich redete. Mir wars egal. Pass auf João, sagte ich. Der Brautigan, das ist ein pädophil aussehender Schriftsteller, der seine Freundin mal mit einem Film beschrieb, den er als kleiner Junge gesehen hatte. Und ich hasse ihn dafür. Es war ein Film über die Elektrifizierung der Landwirtschaft. Der handelte von Bauern aus einem Land, in denen sie Äpfel aßen, die keinen Strom hatten. Alles, was sie taten, taten sie tagsüber. Alles? fragte João. Ich ging nicht drauf ein. Es war ein ödes und dunkles und einsames Leben. Irgendwann baute man dann ein Kraftwerk, hier haben sie auch ein neues Kraftwerk rief stolz João dazwischen, und die Bauern hatten nun Strom. Sie konnten also im hellen ficken, schlussfolgerte João schlau. Ich nickte. Genau, der Strom brachte Licht in die Finsternis des Sexuallebens der Bauern. Sie konnten nun schlechte Nachrichten im Radio hören, Fertiggerichte aufwärmen, sich wegen der Stromrechnung streiten und mit vielen hellen Lampen die Zeitung lesen. So würdest du deine Freundin beschreiben, fragte João? Nein sagte ich, aber ich dachte, dass mit den Bauern und dem Strom und der Finsternis leuchtet dir ein. Tut es auch, aber was interessiert mich die Beschreibung eines pädophilen Schriftstellers? Ich will deine hören. Er war nicht pädophil, er sieht nur pädophil aus. Ich würde meine Freundin anders beschreiben. Wie denn? fragte João. Wie etwas sehr hohes mit Geländer dran, einen Arztbesuch, die Einführung von Elektroautos, ein Gedicht von Wolf Wondratscheck, ein gut gemeinter Ratschlag oder eine Beichte. Ich war zehn oder elf oder neun und meine Eltern wollten für einige Tage mal ohne mich Urlaub machen. Gut nachvollziehbar, ich war ein anstrengendes Kind, alles wollte ich wissen, warum die Sonne scheint, warum sie nicht scheint, warum Papa mit Mama im Bett liegt und warum Papa nicht mit Mama im Bett liegt. Sie gaben mich bei der Nachbarin ab, einer fantastischen Christin mit unrasierten Beinen und 19 Kindern. Ein Kind für jeden Geschlechtsverkehr. Es war ein Nachmittag und es gab Plätzchen, aber ich durfte nur ein Plätzchen haben, wenn ich auch diesen Vertrag unterzeichnen würde. Es war ein Vertrag mit Jesus, was drinstand weiß ich nicht mehr. Irgendwas mit Finsternis, Führen, Böse, Rettung, es klang furchtbar. Ich war zehn oder elf oder neun und sehr stolz aufs Schreiben, natürlich unterschrieb ich und bekam mein Plätzchen und eine Kopie des Vertrags. Ich war also zehn oder elf oder neun und ich war gerettet. Die kommenden Tage in dieser Familie waren die schlimmsten meines Lebens. Beten, Schuldgefühle, kein Fernsehen, Reden, früh ins Bett, noch mehr Beten, helfen, Tee, helfen, Tee, helfen, Tee. Ich träumte von Sünden, all den Sünden, die ich gerne begehen würde. Sexualität und Menschlichkeit. Schuldgefühle!!! Ich wollte raus aus dieser Wohnung, raus aus dem Licht, der Schönheit und der Wärme und rein in die Welt, den Dreck, dort wo es einsam ist und schmerzt. Ich wollte in keiner Welt ohne Verhütungsmittel groß werden. Noch mehr Schuldgefühle! Ich fühlte mich innerlich vergewaltigt. Diese Wohnung war wie ein Teppich aus Frieden, unter den man innere Kriege kehrte. Irgendwann klingelte es in diesem Neubaublockkloster und die Erlösung stand endlich vor der Tür. Gut erholt und schön gebräunt mit langem blonden Haar. Meine Mutter, die Retterin. Ich rannte hinaus und versteckte mich hinter den rasierten Beinen meiner Mutter. Die Irre zeigte meiner Mutter den Vertrag und meine Mutter nahm den Vertrag, zerriss ihn und wurde sehr wütend. Es dauerte eine ganze Zeit, bis mich meine Mutter wieder auf Normalzustand gebracht hatte und ich wieder der anstrengende Knatz wurde, der alles wissen wollte. Ich schrieb der alten Hexe einen Brief, in dem ich sagte, dass Indiana Jones gucken keine Sünde sei und sie ihren Söhnen etwas Freiraum zum Onanieren geben solle, wenn sie nicht will, dass sie irgendwann mal eine Kirche anfackeln. Ich fühlte mich sehr bestärkt in meinem Glauben und bekam obendrein noch eine Rakete von Religionslehrerin, die meine Sexualität zum Blühen brachte. Sie zeigte mir, dass Triebhaftigkeit und Gott funktionieren, dass das eine vom anderen so gewollt ist, dass wir denken und tun und selbst entscheiden dürfen. Sein können, was wir sind. Keine Angst vor uns selbst haben müssen. Auf einmal machte alles Sinn. Ich wollte, dass es überall auf der Welt Sinn macht und erzählten allen Menschen von meiner spirituellen Offenbarung. Und das ist die Art, mit der ich meine Freundin sehe.
João saß da. João sagte, klingt aber hübsch, deine Freundin. So ist das mit den Frauen, sie sind jeden Mist wert, für diesen einen Moment des Glücks, der sich zu uns auf die Erde herablässt. Nur lasst euch Zeit, ehe man sich versieht, sind Frauen Ehefrauen. Und gebt euch nicht zu viele Kosenamen. Außerdem solltet ihr den Hass füreinander teilen, nicht nur die Liebe. Ironie, mein wilder deutscher Freund, ist wahre Intimität. Sei stolz, wenn du schwach bist und schwach, wenn der andere schwach ist. Ansonsten wird’s kompliziert und man versteht nicht mehr, wer hier schwach und wer stark ist. Darauf trinken wir einen. João ging hinter die Bar, suchte den Schnaps, schrie seine Frau an, dass er den Schnaps suche, fand ihn und schrie, dass er ihn gefunden hatte. Es war eine Flasche abgestandener 1920er, viele Gelegenheiten zum angestoßen werden, wird der hier nicht gehabt haben. João kam nochmal auf das mit dem Stolz zu sprechen. Weißt du, sagte er, all diese Gefühle, Eifersucht und Stolz und Angst, die sind okay, sie erfordern Mut, den Mut sich auszuliefern. Keiner will vom Sieger verlassen werden. Die Ehe ist die jahrtausendalte Antwort auf all dieses Gefühl. Ein menschengemachter Versuch, größer als alles Menschliche sein zu können. Ehe Mann oder ehe Frau etwas tut, das sie im Nachhinein bereuen, lassen sie sich trauen. Eine sehr bewusste Entscheidung, die ihnen die Entscheidung abnimmt. Loyalität. Die Menschen brauchen das. Und genau das will ich nicht glauben müssen, fuhr ich dem alten João zwischen die Worte. Dann glaub es nicht, sagte João mit der ganzen Gelassenheit seiner Jahre. Gut, dass du es nicht glaubst, sowie dus damals der Mutter Gottes nicht glauben wolltest. Aber verlass dich ein bisschen mehr auf die Leitplanken des Lebens, mein Freund. Und gottverdammt höre auf Äpfel mit Äpfeln zu vergleichen, die es nicht gibt. Erst leben, dann denken, leben mit den Stützrädern der Poesie. Das wird lange so gehen, sehr lange, bis du weißt, um was es geht und wenn du das dann weißt, wirst du nichts mehr wissen. Denn in dem Augenblick, in dem man das weiß, hört man auf zu wissen und fängt endlich mit dem Fühlen an. Oder mit dem Trinken. So ist das Leben oder ein Augenblick des Lebens eben. Ich bewunderte seine Worte sehr, weil sie von einem einfachen Mann kamen, der endlich ins Wochenende wollte. So, sagte João, jetzt schenken wir uns noch einen ein und du erzählst mir was von der Welt. Warst du schon mal in Amerika? fragte er mit großen, globalisierten Augen. Einmal, sagte ich. In Alabama? fragte João? Nein, aber ich hatte mal ein Mädchen aus Tennessee. Mhm..muss schlimm sein dort. Schon mal mit Krokodilen gekämpft? fragte João. Nein, sagte ich. Nächste Woche solls richtig heißen werden, sagte João. Oh, nein, sagte ich. Naja, sagte João. Ja, sagte ich. Nichts, sagten wir beide, bis João's Frau fertig geputzt hatte und aus der Küche kam. Los, ich will in Wochenende, du besoffener Sack, sagte sie zu ihm. Er packte sie am Arsch und zog sie auf eine Weise, die für ihn liebevoll war, an sich heran. Sie mochte das und gab ihm einen kräftigen Kuss bei dem Alkohol, Zahnlücken, Spucke und das Steak kollidierten.
Nach meinem Besuch bei João und seiner Frau, musste ich oft an João und seine Frau denken. Sie waren toll. Sie waren Partner. Sie ekelten sich an und lachten sich aus, sie teilten ihre dreckigsten Geheimnisse. Essen würde ich bei Ihnen trotzdem nicht. Ich schrieb meiner Freundin einen Brief, in dem ich sagte, dass ich einen João und seine Frau kennengelernt habe. Manche in Fatima konnten João und seine Frau nicht leiden, aber ich fand, dass es tolle Menschen waren (ich strich tolle Menschen und machte, tolles Ehepaar daraus). Ansonsten wäre Fatima grässlich (ich strich grässlich und schrieb mir zu heilig). Ich schrieb ihr, dass João und ich an einem Freitagnachmittag ein langes Gespräch führten. Antworten hätte er mir nicht geben können, aber vielleicht wären meine Fragen an ihn ja schon Antwort genug gewesen und eben das, aus dem das Werden ist. Wir können also beide getrost bleiben, wer wir sind und müssten keine Erwartungen erfüllen, nur, weil wir jetzt Freund und Freundin wären. Ich könne sie endlich gestochen scharf sehen, für das, was sie ist, nicht die bedeutungsschwangere Freundin, die ich mir einredete und aus meinen Erwartungen zusammensetzte (ich strich nicht die bedeutungsschwangere Freundin und machte eine glühend heiße Portugiesin draus, dann strich ich den ganzen Satz). In dem Brief entschuldigte mich, dass ich sie mit meinen Erfahrungen verwechselt habe und einfach alleine nach Fatima gefahren bin (den Satz fand ich gut, ich strich nichts). Ich erzählte ihr, dass es hier sehr langweilig ist und mein einziges Highlight darin bestand, einmal am Tag Bifana essen zu gehen. Direkt neben der Basilika und der Platz vor der Basilika sei sehr groß. Es sei so langweilig in Fatima, dass ich mich gefragt hätte, warum es das Wort Internet eigentlich nicht in der Mehrzahl gäbe. Internette? Egal. Ich würde mich also sehr auf zuhause freuen, auf sie (ich strich sie und macht etwas Unanständiges daraus, dann strich ich das Unanständige und machte etwas sehr Unanständiges daraus). Am Ende wird sowieso alles wieder unausgesprochen gut sein, schrieb ich. Und heiß soll es werden. Wir könnten an den Strand fahren oder uns im Wind meines Ventilators vertragen (ich strich vertragen und machte lieben daraus). Wir könnten dann Sardinen essen und kalten Wein trinken gehen. Außerdem würde ich darauf hoffen, dass sie sich noch auf mich freuen würde (ich strich noch auf mich und machte auf die brutale Wildnis, die sie gebrochen hatte daraus, weil ich sowas ähnliches bei Brautigan gelesen hatte). Ich bat sie auf mich zu warten, ich würde kommen und listete einige Gründe auf, warum sie warten solle. Dann ging ich zur Post und gab den Brief auf. Ich fühlte mich verschickt. Es war ein trostloser Nachmittag in einer sehr trostlosen Stadt. Es roch nach Laub, das nicht weht und ich lief durch Fatima, melancholisch durch Fatima. Vorbei an dem McDonalds, der mal Fatima für mich war. Hier hatten wir uns einst, auf einer langen Rückfahrt, eine Sechserpackung Nuggets geteilt. Wir aßen ungesundes Zeug, rauchten zu viel und waren verkatert. Das waren glückliche Zeiten. Meine Erinnerung hatte sie jetzt, Gedanken an andere Männer hatten sie jetzt. Es waren Männer, die größer und stärker sind, als ich. Sollen die Gedanken an andere Männer sie nur haben, sagte ich mir. Soll sie nur gehen und leben mit anderen Männern und Dingen, die nach uns nicht mehr genug sein werden, nie genug sein werden. Soll sie leben lernen ohne mich. Nach dem hier. Mit Feierabend, Garten und einer großen Garage. Kaum noch Wind im Gesicht. Frei werde ich sie sein lassen. Ihren Weg soll sie gehen. Sagte ich mir das alles selber? Nein, komm zurück. Tu's nicht. Tu nicht, was ich sage.