-Hallo, stört es Sie, wenn ich mich hier setze? Der Kellner schlug mir vor, Sie zu fragen, da Sie alleine essen. Er sagt, dass alle anderen Tische besetzt seien.
-Aber bitte, das würde noch fehlen, machen Sie es sich bequem. Freut mich, ich bin Jérôme, Jérôme Latroux.
-Oh, danke. Es ist mir ein Vergnügen. Sie sind sehr freundlich. Ich dachte, ich würde keine Probleme haben, hier einen Platz zu finden, aber wie ich sehe, ist es sehr voll ... Ah, ich vergaß, ich heiße Aisha ...
-Nun, zur Mittagszeit ist es hier immer sehr voll ...
-Ich bin zum ersten Mal hier. Sind Sie Stammgast?
-Ja, ich gebe zu, ich esse hier jeden Tag zu Mittag. Ich bin verliebt in diesen Ort. Die Besitzer sind ein eng befreundetes Paar. Er ist Italiener - immer eine Garantie in der Küche - sie ist Französin, ich glaube aus dem Süden, eine echte Weinkennerin. Beide sind so jung und originell! Andrea lebt seit einiger Zeit in der Schweiz und legt großen Wert auf lokale Produkte und unsere traditionellen Spezialitäten. Ich finde das schön, richtig ... ich würde sogar sagen, intelligent. Ungewöhnlich für einen Italiener. Welchen Sinn hat es, sich einzuschränken und um jeden Preis nur Pasta oder Mozzarella anbieten zu wollen? Und dann gibt es Lebensmittel, die man nur vor Ort genießen kann, in Italien zum Beispiel ... vielleicht an einem schönen sonnigen Tag im Freien essen ... Hier bei uns ist alles anders, verstehen Sie? Sogar der Frühling ist dieses Jahr spät dran ... Alles in allem ist dies ein magischer Ort, ich bin sicher, nachdem Sie es probiert haben .... Aber Sie, Signora Aisha, was machen Sie in Basel?
-Ich bin Musikerin. Ich spiele Cello im Sinfonieorchester Basel, das derzeit unter der Leitung steht von Gerard ...
-Favre! Ich kenne Gerard, wir haben unsere Kindheit zusammen verbracht. Wir kommen beide aus Divonne-Les-Bains, in der Nähe von Genf ...
-Wirklich? Was für ein Zufall! Die Welt ist manchmal wirklich klein. Aber ich störe Sie, Entschuldigung. Wie ich sehe, haben Sie bereits angefangen zu essen ...
-Es ist nur eine Vorspeise ... Ich glaube nicht, dass ich heute mehr als das essen werde, ich habe keinen großen Appetit ...
-Sieht einladend aus, was essen Sie den Gutes?
-Es ist ein Teller mit Terrine und gemischter Pastete im Teig und Salat. Ich kann es Ihnen empfehlen.
-Sie haben mich bereits überzeugt! Herr Ober! Darf ich auch den gleichen Teller wie dieser Herr haben?
-In dieser Pastete steckt eine Menge Miró...
-Wie meinen Sie das?
-Ha, ha … Entschuldigen Sie, das ist eine Berufskrankheit. Ich habe vor kurzem die wunderbare Miró-Ausstellung im Kantonsmuseum gesehen ... Die Komposition zwischen dem Gelee, den Schinkenstücken und den runden Pistazien ist unglaublich ... Ich sehe es mir immer wieder an und es sieht aus wie ein Gemälde des katalanischen Meisters ... Und Sie? Haben Sie die Ausstellung schon gesehen?
-Nein, noch nicht... Nur so aus Neugier: Sind Sie Kunsthändler?
-Nicht wirklich ... Ich habe eine Werkstatt, die im Kunstbereich arbeitet, hier in Basel. Ich habe einen Partner ... und ... wir restaurieren und begutachten Kunstwerke ...
-Interessant ... Ich verstehe. Deshalb sehen Sie auch überall Bilder!
-Ja ... Glauben Sie, dass der Kellner mir erzählt hat, dass diese Pastete aus einer Werkstatt in Bockten kommt, einem kleinen Dorf nicht weit von hier. Manchmal frage ich mich, ob Miró sie jemals gekostet hat? Wir wissen es nicht, aber viele große Künstler haben sich von Lebensmitteln inspirieren lassen ... Es könnte in den 1970er Jahren passiert sein, als Miró oft in die Schweiz kam, um seinen größten Bewunderer zu besuchen, der … wie heißt er doch gleich … Baumann heißt, ja, der Mann, der die Baumann-Stiftung gegründet hat, welche auch ein Museum betreibt. Wenn ich so darüber nachdenke … Er kam tatsächlich von Bockten gewohnt ...
-Es fällt mir leichter, mir vorzustellen, dass ein Koch diese Pastete kreiert hat, einfach um dem großen Meister des Surrealismus zu huldigen ... Ein Chefkoch mit einer Leidenschaft für Kunst ...
-Was für eine originelle Idee, das gefällt mir! Unterschätzen Sie aber nicht meine Theorie. Sie basiert auf meinen jahrelangen Erfahrungen. Picasso zum Beispiel, der frischen Fisch sehr liebte, kam einst mit in Papier eingewickelten Sardinen vom Markt zurück. Als er sie auspackte, sah er das Rot des Blutes und war wie vom Blitz getroffen, denn in diesem Moment wurde ihm klar, dass er genau die Farbe gefunden hatte, die er suchte ...
-Erzählen Sie mir etwas über Ihre Arbeit, Sie haben mich neugierig gemacht ...
-Wir führen vor allem Schätzungen von Gemälden durch und, falls erforderlich, chemische spektroskopische Analysen und Infrarot-Reflektographien. Sie haben keine Ahnung, wie viele Entdeckungen wir dabei machen ...
-Welche Art von Entdeckungen?
-Nun, auf den Leinwänden und Zeichnungen findet man alles, nebst den verwendeten Farben, natürlich ...
-Alles was?
-Im Grunde genommen sind es Spuren von Lebensmitteln, ein Zeichen dafür, dass die Künstler während ihrer Arbeit immer gegessen und getrunken haben. Das erscheint mir mehr als natürlich. Dann gibt es noch andere organische Stoffe ... über die ich an dieser Stelle lieber nicht sprechen möchte ....
-Es erscheint fast wie einer dieser Filme über forensische Ermittlungen ...
-Tatsächlich entgeht uns mit der heutigen Technologie nichts mehr ... oder fast nichts. Auf vielen Gemälden Picassos haben wir Spuren von Erdnüssen, Mandeln und Kürbiskernen gefunden. Cézanne Sardellen, in einigen seiner Werke ist Leinöl mit anderen öligen Substanzen vermischt, die dem Bodensatz von Büchsenfisch sehr ähnlich sind ... Und dann, oft, Spuren von Rotwein, besonders auf den Gemälden der französischen Impressionisten ... Offensichtlich hatte jeder seine eigenen Vorlieben. Manchmal war es auch eine Frage der Notwendigkeit. Im Allgemeinen wurden die Künstler jedoch schon immer von der Freude am guten Essen verführt, wobei die einen rustikale, die anderen raffiniertere Speisen bevorzugten. Dieser Lackaffe von Kandinsky zum Beispiel bestellte bei seinem Kollegen Paul Klee oft bestimmte Berner Haselnusskekse, die noch heute in einer kleinen Werkstatt im Stadtzentrum hergestellt werden. Am Bauhaus ließen sie es auch in schwierigen Zeiten nicht an kleinen Köstlichkeiten mangeln ...
-Ich nehme an, dasselbe könnte man auch über Musiker sagen ...
-Nun, ja ... Ich weiß mit Sicherheit, dass der große Freddie Mercury, wenn er auf Tournee in der Schweiz war, immer im Gerardet's übernachtete, sie haben mir erzählt, dass er sogar in der Küche aß, um den Blick auf die Zubereitungen des großen Küchenchefs zu genießen ...
-Ich habe hingegen an meine Liebe gedacht, Bach ... wer weiß, was er …
-Bach war gierig auf Sauerkraut und Kartoffeln ... das wissen wir ganz sicher. Er hat tonnenweise davon gegessen. Jeden Tag.
-Aber nein, das wusste ich nicht … Jerome, du nimmst mich auf den Arm …
-Was ist daran so seltsam? Ich meine es ernst. Sauerkraut war für Bach fast eine Besessenheit … Aber es gibt einen weiteren interessanten Aspekt …
-Was das wäre?
-Wie der berühmte italienische futuristische Schriftsteller Marinetti sagte, sind und denken wir, was wir essen, also besteht ein Zusammenhang zwischen Essen und künstlerischem Schaffen... Aber das bedeutet natürlich nicht, dass jemand durch die Einnahme großer Mengen Sauerkraut und Kartoffeln dieselben großen Dinge tun kann, die Bach getan hat, das ist klar ... aber ... aber wir können uns vorstellen, dass, wenn Bach eine italienische Frau gehabt hätte, wir heute eine andere Musik hätten ... Kein Kontrapunkt, der durch die Säure des Sauerkrauts erzeugt wird, sondern etwas, das vielleicht weniger umständlich ist, die natürliche metabolische Folge einer Ernährung mit Tagliatelle und Sauce ... oder Pappardelle mit Pilzen. Ich halte das für eine mehr als glaubwürdige Hypothese ...
-So habe ich das noch nie gesehen. Das ist sicherlich eine recht originelle Idee.
-Sehr viel mehr als eine Idee, liebe Signora! Sehr viel mehr als eine Idee … An der Universität Zürich gibt es ein Forscherteam unter der Leitung von Professor Franz Lehmann, das mit großer Leidenschaft die biochemischen Grundlagen der Kreativität erforscht ... aber ... entschuldigen Sie, trinken Sie denn gar nichts? Wir haben vergessen zu bestellen ...
-Oh, ja ...
-Ich habe mich ein wenig verloren mit deinen erstaunlichen Geschichten ...
-Mit leuchtend roten Strümpfen wie Ihren ... Ich denke, ein Château Margaux 2018 ist angesagt ...
-Wie ich sehe, entgeht Ihnen nichts ...
-Ich habe eine Schwäche für schöne Dinge .... Ziehen Sie immer Ihre Schuhe aus, wenn Sie auswärts essen?
-Normalerweise nur zu Hause, muss ich sagen. Aber hier fühle ich mich besonders wohl ...
-Herr Ober! Verzeihung, könnten Sie uns zwei Gläser von dem sehr guten Château Margaux bringen ... Den ich gestern hatte?
-2018?
-Ganz genau.
-Möchten Sie mit dem ersten Gang des Hauses fortfahren oder ... Ich empfehle Ihnen ....
-Guten Morgen, Aisha. Stört es Sie wenn ich mich setze …
-Mein Lieber, was für eine Überraschung! Und Sie fragen mich so etwas? Setzen Sie sich zu mir. Es ist schön, Sie wiederzusehen.
-Ganz mein Vergnügen! Sie haben diesen Ort vermisst, seien Sie ehrlich …
-Die Wahrheit ist, dass ich heute gerade angefangen habe, einer jungen Musikerin, die hier in der Gegend wohnt, Cellounterricht zu geben. Sie ist der Sprössling einer bekannten Familie in der Stadt. Und als ich sah, dass es nicht mehr weit bis hierher war … dachte ich mir, dass ich zum Mittagessen anhalten würde und ....
-E ...
-E... nichts. Ich bin hier. Ich habe mir beim Eingang gerade die Speisekarte mit den Gerichten des Tages angesehen …
-Aus der Küche riecht es nach gebratenen Zwiebeln ... welcher Tag ist heute?
-Dienstag!
-Ah, gut ...
-Es tut mir leid, ich bin ein wenig gestresst wegen meines Mannes, der mir heute Morgen eine Riesen-Eifersuchtsszene gemacht hat. So ist er noch nie gewesen. Wenn ich daran denke, dass ich lieber einen Italiener als einen Araber geheiratet habe um genau das zu vermeiden ... aber jetzt ...
-Aus welchem Teil Italiens stammt Ihr Mann?
-Sizilien.
-Nun, Männer aus Süditalien sind auch bekannt für... Es klingt ein bisschen wie ein Klischee, aber es klingt, als ob es wahr wäre. Was macht Ihr Mann Schönes?
-Er ist Chefkoch, ein ziemlich bekannter Chefkoch sogar. Sein Name ist Lello Vitale. Aber vor kurzem hat er aufgehört, in seinem Restaurant zu arbeiten, und ist als Berater für einige wichtige Lebensmittelmarken tätig ...
-Es kann nicht einfach gewesen sein ... Ich meine, für einen Chefkoch ist es nicht einfach, kein eigenes Restaurant, keinen eigenen Laden zu haben. Ich habe mir immer vorgestellt, dass es eine Notwendigkeit ist ... Aber es muss auch schön sein, einen Mann im Haus zu haben, der kocht ... Ich stelle mir vor...
-Was essen Sie heute? Haben Sie auf der Speisekarte die Kürbisgnocchi … mit Kastanien gesehen …
-Warum nicht? Sie geben mir immer die besten Ratschläge. Ah... wie ich sehe, gibt es noch jemanden, der seine Schuhe auszieht ….
-Still … Ich kann nicht mehr anders … der Kellner sieht mich manchmal verlegen an ... Gestern hat er mir gedroht. So etwas passiert schönen Frauen nicht ... Finden Sie das richtig?
-Schöne Strümpfe, heute flaschengrün ... Ich mag Frauen, die mit Farben spielen ...
-Tag der Komplimente? Sie tun immer gut. Ich danke Ihnen. Wie ich sehe, sind Sie schon beim Dessert. Und was für eine Nachspeise! Mir gefallen Männer, die sich nicht zurückhalten vor einer Nascherei .... (zwinkert mit dem linken Auge)
-Guten Tag Herr Latroux, darf ich mich zu Ihnen setzen? Die anderen Tische sind alle reserviert.
-Setzen Sie sich. Kennen wir uns?
-Ich bin Vanessas Ehemann ....
-Und wer ist Vanessa, bitte?
-Bitte spielen Sie keine Spielchen mit mir. Das Leben ist schon so kompliziert ... Meine Frau hat mir viel von Ihnen erzählt ...
-Ah! Dann sollten wir vielleicht erst einen Drink bestellen ... Möchten Sie ein Glas Wein?
-Ich trinke keinen Wein. Ich lebe abstinent.
-Sie machen Scherze! Ein Chefkoch, der nicht trinkt, das ist ein guter Witz!
-Chefkoch? Wer ist dieser Chefkoch, bitte?
-Vanessa hat mir erzählt, dass... ähh… Aisha hat mir erzählt, dass Sie, ich meine ihr Mann ...
-Aisha? Sie wollen mir sagen, dass meine Frau sich Aisha genannt hat?
-Ja.
-Oh Gott, es geht schon wieder los. Sie ist wieder zurück im Tunnel ...
-Ich kann Ihnen nicht folgen. Sind Sie nicht der berühmte Chefkoch Lello Vitale ...?
-Ich bin kein Chefkoch, ich arbeite in einer Bank, ich kann nicht einmal ein Spiegelei braten ... Der berühmte Chefkoch war mein Schwiegervater, er war begabt. Vanessa schafft sich andere Realitäten, wenn sie in einer Krise steckt, sie vermischt Erinnerungen mit Wünschen ...
-Ich verstehe.
-Ich weiß nicht, was Sie - objektiv gesehen – verstehen können. Glauben Sie mir, es gefällt mir überhaupt nicht, hier zu sein, vor Ihnen zu sitzen, einem Fremden, der wahrscheinlich schon versucht hat, meiner Frau den Hof zu machen, wenn nicht sogar schon mit ihr geschlafen hat, aber ich liebe meine Frau und bin am Punkt angekommen, mir jedes Schamgefühl oder Verlegenheit egal geworden ist. Ich bin verzweifelt, Vanessa ist mein ganzes Leben, ich will sie nicht verlieren. Ich weiß, dass Sie gut zu ihr waren. Deshalb habe ich mich entschlossen, heute zu Ihnen zu kommen und Sie um Ihre Hilfe zu bitten. In Wirklichkeit weiß ich nicht, was Sie tun könnten ...
-Es tut mir leid. Ich weiß noch nicht, worum es sich handelt, aber ich kann Ihnen versichern, dass zwischen Ihrer Frau und mir nichts gewesen ist. Ich muss zugeben, sie ist eine reizende Person, kultiviert, witzig ... Eine großartige Gesprächspartnerin. Und voller Talente. Ich würde sie gerne bei Gelegenheit spielen hören ...
-Bitte sagen Sie nichts mehr. Es macht mich tief traurig, Vanessas Erfindungen aufzudecken ...
-Sagen Sie mir nicht dass ...
-Ja, Sie haben verstanden. Nicht nur, dass meine Frau Vanessa und nicht Aisha heißt, sie hat auch noch nie ein Musikinstrument in die Hand genommen und kann, soweit ich weiß, nicht einmal ein Notenblatt lesen.
-Aber warum tut sie das? Was ist los mit ihr? Entschuldigen Sie, helfen Sie mir zu verstehen ...
-Vor zwei Jahren haben wir unseren einzigen Sohn, Jaco, verloren. Es war ein Unglück, ein Auto mit zwei betrunkenen Jugendlichen ist über eine rote Ampel gefahren. Jaco überquerte gerade die Straße mit seinem Cello über der Schulter. Es war ein schrecklicher Knall. Es geschah in Palermo, unser Sohn war im Urlaub bei meinen Schwiegereltern. Ein paar Tage später hatte mein Schwiegervater einen Herzinfarkt. Offensichtlich konnte er den Schmerz über den vorzeitigen Tod seines Lieblingsneffen nicht ertragen. Als der Krankenwagen eintraf, war er bereits tot. Sie wissen, dass es angesichts solcher Schicksalsschläge sehr schwierig ist, stabil zu bleiben ... Vanessa verbrachte einige Monate wie in Trance und nahm dann langsam, langsam ihr normales Leben wieder auf, aber nur scheinbar ... Gott alleine weiß, wie sehr ich hoffte, dass dieser schreckliche Schmerz nicht wiederkehren würde. Ich habe sogar naiv geglaubt, dass es dauern würde .... Doch dann kam eine dunkle Welle, von innen ...
-Haben die Herren bestellt? (Kellner)
-Äh ... nicht wirklich ...
-Soll ich Ihnen noch ein paar Minuten geben? Haben Sie schon eine Idee oder ...?
-Was darf es sein, mein lieber Latroux?
-Ich dachte an die Hirschmedaillons mit Minz-Caponata…
-Caponata? Verlockend. Ich habe seit Jahren keine richtige Caponata mehr gegessen. Kann ich ihr vertrauen? Daran sind wir in Palermo gewöhnt.
-Vertrauen Sie ruhig ...
-Soll ich etwas Preiselbeermarmelade mitbringen?
-Geben Sie Sultaninen in die Caponata?
-Gewiss.
-Ah, gut. Dann bin ich beruhigt.
-Zu trinken?
-Für mich Wasser, bitte. Aber ich denke, Herr Latroux würde gerne ...
-Ein Glas Gewürztraminer "Les Natures"...
-Sehr gut. Und für den Nachtisch schauen wir später.
-Ja, danke.
-Das Problem, lieber Herr Latroux, ist, dass Vanessa jetzt eine wahre tickende Zeitbombe ist.
-Haben Sie nie darüber nachgedacht, einen Spezialisten aufzusuchen?
-Meine Frau will nichts von Spezialisten hören. In ihrem veränderten Zustand ist sie besonders sensibel. Sie sieht und hört alles. Deshalb schien sie Ihnen ein brillanter Mensch zu sein. Und sie kann auch sehr gut simulieren. Wer ihren Zustand nicht kennt, kann sich nicht vorstellen, dass sie es miteiner Person in der Krise zu tun hat. Vanessa ist in diesen Momenten ein Abgrund an Leid.
-Es tut mir so leid ... Ich sage es Ihnen aufrichtig. Sagen Sie mir, wie kann ich Ihnen helfen ..?
-Haben Sie schon meine Telefonnummer?
-Nein. Aber ich habe diejenige von Aisha ... äh, Vanessa.
-Wie seltsam. In letzter Zeit verteilt Vanessa sie an jeden, den sie trifft. Ich bekomme täglich Anrufe von den unwahrscheinlichsten Leuten. Einer von ihnen, ich weiß nicht wie, fand mein Büro und kam, um mich um Geld zu bitten. Sie haben keine Ahnung … was für Leute es da draußen gibt …
-Wo ist Vanessa jetzt?
-Wissen Sie es? Ich nicht. Ihr Telefon ist immer ausgeschaltet. Ich komme abends nach Hause und habe Angst, sie nicht zu finden ... oder schlimmer noch, sie zu finden. Ich meine ... sie leblos vorzufinden ... Ich weiß nicht, wie lange das noch so weitergehen kann. Aber Sie, mein lieber Latroux, könnten ein wertvoller Bezugspunkt sein ... Aber ich möchte Ihnen keine Verantwortung aufbürden, die Sie nicht gewählt haben, zu übernehmen … Ich kann Sie dafür bezahlen. Wenn Vanessa jemals wieder hierher kommt, würden Sie ...
-Hier sind die Rehmedaillons mit Caponata (Kellner) Und ein Glas Gewürztraminer für den Herrn. Ich bringe Ihnen auch noch etwas Brot ...
-Mhmm ... was für eine köstliche und unerwartete Sache diese Caponata doch ist. Sie versetzt mich in meine Kindheit zurück. Ich hatte eine Großmutter, die eine sehr ... sehr ähnliche gemacht hat ... in den Ferien in Cefalù … Das ist das Letzte, was ich mir hätte vorstellen können, hier in Basel zu finden ... danke ... danke ...
-Lieber Herr Vitale, Sie können auf mich zählen, ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen. Und vor allem, um Ihrer Frau zu helfen ... Ich weiß noch nicht genau wie. Aber vielleicht auch nur, ihr zuzuhören …
-Jérôme! Jérôme! Wie geht es Ihnen? Warum haben Sie nicht auf meine Nachrichten geantwortet?
-Jérôme, wer ist diese Frau?
-Das ist...
-Aisha! Schön, Sie kennenzulernen. Was für ein schönes, farbenfrohes Shirt, herzlichen Glückwunsch! Ich liebe Farben ebenfalls sehr. Ich habe Jerome schon immer gesagt, er solle seinen Look ändern, er ist immer so seriös ... es ist so schön zu sehen, wenn Männer es wagen, sich bunt zu kleiden, man muss nicht übertreiben, es reichen in Wirklichkeit nur Socken ... Socken ... Jérôme! Warum behalten Sie Ihre Schuhe an?
-Ich, wirklich ...
-Es war so süß, als du meine Gewohnheit übernommen hast, barfuß zu essen…
-Das ist gut. Das wusste ich nicht? Hast du wirklich barfuß gegessen?
-Ja, aber wir haben es geschafft, es ihm abzugewöhnen ... (Kellner kommt vorbei)
-Schatz, ich erkläre es dir später.
-Was muss ich noch über Herrn Latroux wissen?
-Sie haben es sicher schon bemerkt: Jérôme ist von einer hinreißenden Sympathie. Ich habe noch nie so viel gelacht wie bei unseren Dienstags-Mittagessen ...
-Also bin ich wohl das Mädchen für Mittwoch. Sag mir, wenn ich mich irre ….
-Nicht so meine Liebe, lass mich erklären ....
-Und dann ist er so originell, mit dieser außergewöhnlichen Arbeit, um die ihn viele beneiden ... es gibt nichts zu sagen, die Kunst ist faszinierend ... Kunst ist das Salz des Lebens ...
-Kunst? Aber hast du nicht in der Firma deines Vaters Bauprojekte durchgeführt? Damit ich das richtig verstehe ...
-Ich versichere Ihnen, dass er sehr sachkundig ist. Letzte Woche besuchten wir das Museum für zeitgenössische Kunst. Fast alle wichtigen Gemälde sind durch seine Hände gegangen ....
-Mir hingegen hat er letzte Woche erzählt, dass er die neue Brücke über den Rhein entworfen hat ... Wir haben es hier eindeutig mit einem Genie zu tun. Vielleicht ist er aber auch einfach nur ein Schurke. Ja, ein klassischer Serienschurke. Damit, Jerome, verabschiede ich mich und lasse dich mit deiner kleinen Freundin allein ... Asia ... Aisha ... wie zum Teufel sie auch immer heißt ...
-Aisha! Mein Name ist Aisha. Warum sind Sie so nervös? Was ist mit Ihrem Leben los?
-Vanessa, bitte versuch dich zu beruhigen ....
-Vanessa? Wer hat dir gesagt, dass mein Name Vanessa ist?
-Ihr Ehemann ....
-Mein Gott... aber ihr zwei seid wirklich trüb ... du gehst mit ihr aus, du kennst ihren Mann ... wie ekelhaft!
-Trüb? Wie können Sie es wagen, Menschen zu beleidigen? Haben Sie sich selbst gesehen? Mit diesen gemalten Augenbrauen wie eine Kosovarin … Und fassen Sie Jérôme nicht an. Er hat seine Schwächen, aber er ist ein netter Mensch ...
-Ihr könnt mich beide mal! (die Frau kehrt sich um und geht Richtung Ausgang des Lokals)
-Manche Menschen sind so schwer! Lieber Freund, wie geht es dir? Freust du dich, dass ich wieder da bin?
-Ja, das bin ich. Obwohl ... Aisha ... Vanessa ...
-Wieder mit dieser Vanessa?
-Ich habe deinen Mann getroffen. Er hat mir viel über dich erzählt ...
-Das kann ich mir vorstellen. Dino spricht gerne mit allen …
-Wie geht es mit der Musik?
-Ich bin sehr beschäftigt. In genau einem Monat haben wir ein großes Konzert in Deutschland, in Berlin.
-Welches Repertoire?
-Mozart. Ab und zu braucht das Leben ein wenig Heiterkeit. Ich bin so aufgeregt.
-Ihr Mann sagte mir, dass ...
-Lassen Sie mich raten. Dass er stolz auf mich ist? Das ist so süß! Dino ist in diesen Dingen unschlagbar ... Ein wahrer Schatz ...
-Er ist sehr besorgt um dich. Er sagte mir, dass ...
-... Ich seine Kreditkarte genommen habe, ich weiß. Ich weiß. Und ich habe mir ein paar Dinge viel Geld wir auf der Bank haben, wir sind nicht knapp bei Kasse. Aber Dino ist, im Gegensatz zu mir, ein strenger Calvinist. Alles nur Arbeiten und Sparen. Ich sorge dafür, dass er jung bleibt. Er sagt es nicht, aber ich weiß, dass er glücklich ist ...
-Ja, aber... er sagte mir auch, dass ...
-Dass er ein weiteres Kind will?
-Er hat mir von Jaco erzählt …
-Dino sagt mir, dass wir jetzt vielleicht noch eines haben könnten ...
-Es tut mir leid, Vanessa ... ich wusste nicht ...
-Ah! Du hast deine Schuhe ausgezogen! Ich werde sie auch ausziehen ...
-Meine Damen und Herren, könnten Sie sich bitte beruhigen? Ziehen Sie Ihre Schuhe wieder an, dies ist ein Restaurant, kein Kindergarten. (Kellner, zunehmend verärgert)
-Aber das ist ein gutes Zeichen. Hier fühlt man sich wohl … Jérôme, lass uns einen Drink nehmen.
-Ja, aber… Ich will nicht ...
-Wir müssen die Ankunft des Tesla feiern. Ich habe auch im Auto keine Schuhe an. (lacht)
-Sagen Sie mir nicht, dass Sie barfuß fahren.
-Ja, sicher.
-Italienischer Prosecco?
-Italienischer Prosecco!
-Kellner bringen Sie uns eine Flasche Valdobbiadene Millesimato ...währenddessen werfen wir einen Blick auf die Speisekarte ...
-Guten Morgen, ich bin Inspektor Hess von Interpol, haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen? (zeigt ein Bild in Postkartengröße)
-Ja, sicher. Das ist Dr. Latroux. Er ist ein Stammkunde. Er isst hier jeden Tag zu Mittag und. .. Moment mal ... Lassen Sie mich nachsehen ... nein, ich sehe ihn nicht. Er ist heute seltsamerweise nicht gekommen. Was kann ich für Sie tun?
-Ich muss ein paar Worte mit Ihrem Kunden wechseln. Wie, sagten Sie, war sein Name?
-Latroux. Jérôme Latroux. Ein guter Mann. Ah, ich sehe da drüben jemanden sitzen, der oft mit ihm zu Mittag isst. Frau Ais...
-Ich danke Ihnen.
-Guten Tag Signora, entschuldigen Sie die Störung. Ich bin Hess von Interpol. Wir suchen eine Person. Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen? (zieht das Foto aus seiner Jackentasche).
-Jérôme! Oh je. Wo ist er? Früher haben wir uns hier immer getroffen. Das war immer unser Tisch!
-Wie sagten Sie, war sein Name?
-Jérôme Latroux. Ein Gentleman. Ein Freund. Sagen Sie mir: Ist etwas passiert? Lassen Sie mich keine Sorgen machen ...
-Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Herr Jerome Jérôme in Wirklichkeit Piero Randone heißt und wegen Waffen- und Drogenhandels ein meistgesuchter Verbrecher ist. Nicht wirklich ein Engel …
-Nein, das kann nicht sein. Das muss ein Irrtum sein. Jérôme ist ein so guter Mensch. Gebildet, leutselig, elegant ...
-Das sagen viele Leute von ihm. Das hat es ihm offensichtlich ermöglicht, sich all die Jahre der Justiz zu entziehen. Schauen Sie hier (und damit legt er zwei oder drei Pässe verschiedener Nationalitäten auf den Tisch, alle mit demselben Foto, aber auf den Namen verschiedener Personen ...)
-Ich weigere mich zu glauben, dass mein Freund Jérôme in so etwas verwickelt ist. Nein … nein … ihr müsst euch irren …
-Es gibt noch viele andere Menschen auf der Welt wie Sie. Er ist sehr geschickt im Verkleiden, im Erfinden von Alibis ... und, wenn nötig, neue Möglichkeiten zur Geldwäsche zu finden ...
-Aber Jérôme hat immer mit Kunst gehandelt, nicht mit Drogen. Entschuldigen Sie … schauen Sie, ich kenne ihn gut.
-Kann ich Ihren Ausweis sehen, signora … Signora?
-Aisha, nennen Sie mich Aisha...
-Aisha wer, Entschuldigung?
-Zeigen Sie mir Ihren Ausweis ...
-Ich habe mein Portemonnaie nicht dabei, tut mir leid. Ich zeige es Ihnen nach dem Mittagessen. Ich muss ihn im Auto holen. Ich habe ein neues Auto, wissen Sie? Einen weissen Tesla ... Aber jetzt bin ich hungrig und möchte zu Mittag essen ...
-Nein, Sie verstehen nicht. Sie bewegen jetzt Ihren Arsch aus dem Stuhl und kommen mit mir aufs Revier... was glauben Sie denn, mit wem Sie es zu tun haben?
-Du Rohling!
-Lassen Sie uns auch den Tesla überprüfen ... vielleicht ist heute der Tag der Überraschungen ... Stehen Sie auf. Ich werde es nicht noch einmal sagen.
-Rühren Sie mich nicht an.
-Ziehen Sie Ihre Schuhe an und folgen Sie mir. Ich verliere langsam die Geduld.
-Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, essen Sie gemeinsam zu Mittag? Soll ich den Tisch für zwei Personen decken? (Kellner neugierig)
-Nein, ich will nicht mit ihm essen gehen ...
-Die Dame kommt mit mir ... und wenn Sie sich weigern, verhafte ich Sie.
-Ah! (Kellner immer erstaunter …)
-Ich werde nirgendwo hingehen. Ich warte auf Jérôme. Er wird alles richtigstellen.
-Hat er Sie angerufen? Kommt er hierher?
-Ich werde es Ihnen nicht sagen.
-Okay. Es tut mir leid, aber meine Geduld ist wirklich am Ende. Ich muss Sie verhaften...
-Uuuuuhh ... wie unheimlich ...
-Was soll ich also tun ... Kartengerät oder nicht? (Kellner, der sich ein Lächeln nicht verkneifen kann, nachdem er in die Gesichter der beiden geschaut hat)
-Signora, zwingen Sie mich nicht zur Gewaltanwendung, legen Sie einfach die Hände auf den Tisch ...
-Wissen Sie, was ich stattdessen tue? Ich werde mich hinsetzen und meine Schuhe ausziehen ... Spielen Sie nicht den Bösen, entspannen Sie sich. Mit der Narbe, die unter Ihrem Haar pocht … sollten Sie sich nicht so aufregen … das ist nicht gut für Sie.
-Kann man es gut sehen? Ich dachte, die Haare verdecken es ...
-Kommen Sie schon, bringen Sie sich nicht um.
-Setzen Sie sich. Lassen Sie uns etwas trinken. Warten wir auf Jérôme. Heute ist unser Tag. Er wird nicht lange auf sich warten lassen... Hier gibt es eine Menge gutes Essen, wissen Sie? Vielleicht, wenn Sie Ihre Ernährung umstellen, könnten all die schlechten Ideen, die Sie über meinen Freund haben, verschwinden ....