Daniel Marzona freut sich, eine Ausstellung mit aktuellen Arbeiten der Künstler Vajiko Chachkhiani und Reijiro Wada in der Galerie Rolando Anselmi zu präsentieren.
Die Idee zu dieser Ausstellung entsprang einem Nachdenken über mögliche Strategien des Prozesshaften in der zeitgenössischen Skulptur. Die Arbeiten von Wada und Chachkhiani scheinen in diesem Feld konzeptionell und inhaltlich zunächst zwei entgegengesetzte Pole zu markieren. Während der eine sich mit eher abstrakten Ideen auseinandersetzt und diese in makellos schönen Objekten zur Anschauung bringt, scheint die Reflektion des anderen immer an ganz konkrete Ereignisse, persönliche Begegnungen oder psychische Dispositionen gebunden. Wenn eine Gruppe streng geometrischer Wachsskulpturen (The Other Life) von Chachkhiani also ihren Ausgangspunkt in dem langwierigen Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu einem schwerkriminellen Gefangenen nimmt oder ein kurzer Film (Life Track) nicht ohne zahllose Besuche in einem Berliner Hospiz möglich gewesen wäre, arbeitet Wada in einem eher luftleeren Raum der reinen Ideen, sei es, dass er sich mit Fragen und philosophischen Entwürfen zur Vergänglichkeit oder stark abstrahierten Konzepten der Landschaftsdarstellung beschäftigt.
Was beide Künstler jedoch eint, ist ein verstärktes Interesse an einem Offenhalten der Form und Bedeutung ihrer skulpturalen Arbeit. Für die Bildwerke aus seiner Vanitas-Serie ordnet Wada zwei oder mehr Messingplatten in einem flachen Winkel zueinander an, der es erlaubt, dass die mit Wucht in die Konstruktion geworfenen Früchte bis zu ihrer Verwesung an ihrem Ort verharren. Ist der Prozess der Verrottung abgeschlossen, löst Wada die Anordnung auf und hängt die Platten beispielsweise zu einem Diptychon geordnet an die Wand und stellt die letztlich zufällig auf den Bildträgern verbliebenen Spuren seiner Aktion zur Disposition. Für eine Serie von vermeintlich minimalistischen Wachsskulpturen hat Chachkhiani eine Gruppe von Objekten mit einem Gefangenen getauscht und diese dann in seine Wachsarbeiten eingelassen. Den Objekten beigegeben ist eine präzise Instruktion für die Neuanordnung der Skulptur, sollte das Objekt je geöffnet und der in ihm verschlossene Gegenstand entnommen werden, was vom Künstler als durchaus möglicher und gültiger Umgang mit dem Werk betrachtet wird. Vor- oder nachgängige Prozesse spielen also im Werk beider Künstler nicht selten eine wesentliche Rolle für die Entschlüsselung bzw. Verrätselung ihrer Bedeutung.
Auf welch hohem Abstraktionsniveau sich der Ansatz von Wada bewegt, mag das Wandobjekt mit dem schlichten Titel Mittag verdeutlichen. Zwischen zwei Glasplatten in einem quadratischen Messingrahmen hat Wada Cognac eingefüllt. Auf die Spitze gestellt und an der Wand angebracht liegt die Füllhöhe im Rahmen exakt auf Höhe der äußeren Ecken des Objekts. Was wir sehen, ist also offenbar als Horizontlinie gemeint, die uns zu dem Zeitpunkt erscheint, an dem die Sonne am Höchsten steht und die Schatten am Kürzesten sind – sparsamer und doch prägnanter lässt sich ein Blick auf die Landschaft nicht abstrahieren. Doch selbst dieses vermeintlich präzise Objekt erweist sich gegenüber unkontrolliert ablaufenden Prozessen als offen. Je nach Raumtemperatur kommt es zu Ausdunstungen, die sich auf den Innenseiten der Glasplatten niederschlagen und gleichsam eine Art Binnenklima der Landschaftsdarstellung andeuten. Aus unterschiedlichen Gründen erweist sich eine vermeintliche Nähe zur minimalistischen Tradition von Wada und Chachkhiani als Chimäre. Denn beide gehen auf verschiedene Weise über dasjenige, was ihre zumeist recht einfachen Objekte zu sehen geben, hinaus. Der eine benutzt dazu zumeist narrative Strategien während der andere das Objekthafte in philosophischen Höhen zu transzendieren sucht. Dass sich beide Ansätze unterschiedlichsten und manchmal sogar gegenläufigen Interpretationen gegenüber als offen erweisen, mag als Indiz für die Qualität und Vielschichtigkeit der prozess-orientierten, skulpturalen Arbeit von Chachkhiani und Wada gelten.
Vajiko Chachkhiani (geb. 1985 in Tiflis, Georgien) lebt und arbeitet in Tbilisi. Bei der 57. Vendig Biennale 2017 bespielte er den Georgischen Pavillon. In den letzten Jahren waren seine Arbeiten in einer Reihe von internationalen Ausstellungen zu sehen, darunter Einzelpräsentationen in der Bundeskunsthalle Bonn (2018) und bei der Art Basel Unlimited 2019. Reijiro Wada (geb. 1977 in Hiroshima, Japan) lebt und arbeitet in Berlin. Nach der Einzelausstellung in der Capsule Tokyo (2017) waren seine Arbeiten unter anderem bei der Architektur Biennale in Tiflis (2018) zu sehen.