Die Ausstellung «Tadeusz Kantor: Où sont les neiges d’antan» des Museum Tinguely präsentiert einen der wichtigsten Theaterschaffenden und bildenden Künstler Polens des 20. Jahrhunderts mit einem seiner grossen Bühnenwerke. Mit kritischem Blick auf die verdrängte Geschichte Polens widmet sich Tadeusz Kantors (1915-1990) unabhängiges Untergrundtheater der Alltagsrealität und prägt bis heute eine junge Generation in der Welt des Theaters.
Sein Werk gilt als Modell für radikale, disziplinübergreifende Theaterexperimente und für die Aufhebung der Differenz zwischen Bühnen- und Zuschauerraum. Als Regisseur, der sich auf der Bühne unter seine Schauspieler*innen mischte, Anweisungen gab, eingriff und so zum Fremdkörper im Ensemble wurde, durchbrach Kantor vor allem mit seiner eigenen Anwesenheit die Grenzen des klassischen Theaters. Zu seiner künstlerischen Praxis gehörte die Wiederverwendung von Objekten. Alte und beschädigte Dinge waren sein ‹natürliches› Medium und das Motiv des Todes ist ein zentrales Thema in seinem Werk.
Die Ausstellung im Museum Tinguely zeigt Objekte und Kostüme aus Où sont les neiges d'antan. Begleitet werden sie von der Filmvorführung einer Probe, die 1984 am Vorabend der polnischen Premiere im Studentenclub Stodoła in Warschau von Andrzej Sapija aufgenommen wurde. Zeichnungen und Skizzen von Tadeusz Kantor werden der fotografischen Dokumentation und Plakaten gegenübergestellt.
Mit einem jüdischen Lied eröffnet die Posaune des Jüngsten Gerichts, das Objekt aus Tadeusz Kantors Performance, einen Dialog um das Motiv des Totentanzes mit Jean Tinguelys Installation Mengele-Totentanz (1986). Aus dem nächsten Raum, in dem Tinguelys Werk ausgestellt ist, erklingen die Geräusche einer vergangenen Tragödie und scheinen die Aktivierung von Kantors Maschine vorwegzunehmen – eine Posaune, die das bevorstehende Ende ankündigt. Tinguelys Werk setzt sich hauptsächlich aus den Überresten eines niedergebrannten Bauernhofes zusammen.
Jean Tinguely und Tadeusz Kantor lernten sich um 1960 durch den schwedischen Sammler Theodor Ahrenberg kennen, der sich in Chexbres in der Schweiz niedergelassen hatte. Beide Künstler vermischen in ihren Werken ihre persönlichen Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Erinnerungskultur. Ihr gemeinsames Interesse an prozessualer Kunst und hybriden Medien animierte sie dazu, die Grenzen zwischen Kunst und Realität aufzubrechen. Ideologisch sind ihre Werke jedoch weit voneinander entfernt.