Len Lye (1901 – 1980), geboren in Christchurch (NZ), ist einer der wichtigsten Experimentalfilmer der 1930er bis 1950er Jahre, der in seinen späteren Jahren ein faszinierendes, alle künstlerischen Disziplinen umfassendes Werk schuf, das es in weiten Teilen noch zu entdecken gilt. Er entwickelt früh einen autodidaktischen und ausgesprochen individuellen Zugang zur Kunst.
Nach einer Station in Wellington lebt Lye 1923-1926 in Sydney, wo er sich zeichnend mit der Kunst der Völker von Samoa, Neu Guinea, Afrika, der australischen Aborigines und der ihm aus seiner Heimat vertrauten Maori befasst, und dies in Skizzenbüchern dokumentiert, die einerseits Zeichnungen von Masken und Ornamenten der verschiedenen Kulturen mit Werken russischer Konstruktivisten oder von Henri Gaudier-Brzeska verbindet, und in einem Heft dieser visuellen Sammlung eine Transkription von Sigmund Freuds «Tabu und Totem» (in Deutsch 1913 erschienen, in Englisch 1918 in der ersten Übersetzung von Abraham Brill), Texte von und über Henri Gaudier-Brzeska (erschienen 1916 in einer Textsammlung von Ezra Pound) und von Oskar Pfister (Expressionism in Art, engl. 1922) gegenüberstellt.
Lye arbeitet als Filmer für die britische Post und andere öffentliche wie auch private Institutionen und schafft Werbefilme auf höchstem künstlerischem Niveau. Wie er keine Schranken zwischen den Kulturen, zwischen «westlicher» und «primitiver» Kunst erkennt, so bestehen sie für ihn auch nicht zwischen «Hoch-» und «Alltags-»Kunst.
Lye macht sich früh Gedanken über die breite Rezeption seiner Filme, die als Werbefilme auch in Kinos gezeigt werden. Die Idee des Fernsehens fasziniert ihn, bereits 1939 schreibt er einen Text über die filmische Umsetzung von Musik im Farbfernsehen! Und er schafft Filme zu Musikstücken – bzw. vertont seine Filme sehr gezielt. Entsprechend verstand der TV-Sender MTV Len Lye als einen der Väter des Musikvideos.
Von 1944 bis zu seinem Tod 1980 lebt Len Lye in New York City. Nachdem das kommerzielle Umfeld für seine Filme immer schwieriger wird, wendet er sich Ende der Fünfziger Jahre ganz der kinetischen Skulptur zu und schafft eine Serie von Plstiken, die er bis zu seinem Tod immer wieder variiert, in Grösse, Material und Einsatz. Sie sind sowohl für einen Museumskontext als auch für Freizeitpärke gedacht, kulturelle Schranken existieren für Lye nicht.
Neben den Skulpturen und Filmen entstehen Gemälde, Photogramme, Zeichnungen, Fotografien, Tonaufnahmen, Vorträge, Texte – Len Lye arbeitet in allen ihm zur Verfügung stehenden Medien und tut dies immer mit einem sehr individuellen und spontanen Ansatz. Gleichzeitig reflektiert er sein Tun in zahlreichen Texten, die für Publikationen und Vorträge entstanden.
Von der besonderen Stellung seines filmischen Schaffens ausgehend soll die Breite seines medienübergreifenden Werks und dessen Verschränkungen gezeigt werden. Auch Len Lyes «unverfälschter» Blick auf die Kulturen dieser Welt soll einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.
Das Archiv des Len Lye-Centre in New Plymouth mit vielen teils unveröffentlichten Dokumenten und Werken wie auch die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern verschiedener kulturhistorischer und -wissenschaftlicher Richtungen kann die Grundlage für die Recherchen und kritische Reflexion im Rahmen des Projektes bieten. Lyes Beschäftigung mit psychoanalytischen Texten am Anfang seines Werks soll sicher auch einer kritischen Lektüre unterzogen werden. Textkritik wie auch die gegenseitige Befruchtung von theoretischem und praktischem Schaffen werden nicht zuletzt für den Katalog wichtig sein.
Die etwa 18 Filme (zu denen noch die Filme, die während des Krieges entstanden sowie eine Anzahl von eher kommerziellen Filmen kommen) sollen möglichst umfassend als zum grossen Teil neu digitalisierte Projektionen gezeigt werden.
Drei Originalskulpturen, die sich in verschiedenen Museen in den USA befinden, wurden bereits von der Len Lye-Foundation restauriert. Sie bilden einen weiteren Höhepunkt der Ausstellung. Zur Demonstration der Bewegung kann auf «Rekonstruktionen» neueren Datums aus den Beständen der Foundation zurückgriffen werden.