Fokaler Punkt in der Innsbrucker Ausstellung stellt die Malerei dar. In Abstimmung mit der großen Hermann Nitsch Ausstellung in der Albertina Wien, die am 16.05.19 eröffnet und den Malereien des Künstlers ganze 20 Räume widmet, zeigt die Galerie Elisabeth & Klaus Thoman Innsbruck vielfarbige Werke, u.a. aus der 70. Malaktion, die 2014 in der Wiener Galerie stattfand. Als kleinere Revision der Museumsausstellung konzentriert sie sich auf Malerei in Acryl, während die Albertina auch frühe Arbeiten in Öl präsentiert. Bei genauem Hinsehen fällt bei einigen Arbeiten beider Malereigattungen unterhalb der Farbe eine dünne Grundierung in einen Rotbraunton auf. Dieser Farbfilm erinnert an die Spuren, den das Blut, das ebenfalls einen fixen Bestandteil des technischen Repertoire des Künstlers ausmacht, und vor allem beim Orgien-Mysterien-Theater großzügig zum Einsatz kam, auf der Leinwand hinterlässt. Ebenso greift Hermann Nitsch in der Herstellungstechnik seiner Gemälde auf rituelle Handlungen zurück: Das pastose Auftragen, Schütten und Spritzen von Farbe ruft nicht zufällig Assoziationen an einen Opfergestus hervor. Das Ritual ist von tieferer Bedeutung als das Resultat. Nitschs Malerei ist unweigerlich in Aktionismus, Performance, in der Multimedialität verankert.
Die Wiener Ausstellung hingegen lässt sein Werk einerseits in konzeptuellen Dialog treten mit dem Julian Schnabels, ein langjähriger Künstlerfreund, mit dem er in regem Austausch steht. Andererseits setzt sie den Schwerpunkt auf den technischen Aspekt der Aktionskunst Hermann Nitschs. Entgegen der sehr intensiv, organisch, teilweise chaotisch und willkürlich anmutenden Durchführung waren und sind die Aktionen des Künstlers nie improvisiert, sondern im Gegenteil jedes Detail in deren Ablauf im Vorhinein minutiös geplant und in Partituren festgehalten. Während die Albertina also die Produkte der Malaktionen präsentiert, ergänzt die Galerie Elisabeth & Klaus Thoman Wien den dokumentarischen Teil seiner Aktionen als Gesamtkunstwerke. Neben frühen Zeichnungen, Druckgraphik und Farbskalen werden auch Fotodokumente früher Aktionen, die deren intensive Atmosphärik spürbar machen, Relikte aufgeführter Werke und Partituren gezeigt. Ein Highlight stellt dabei die Partitur zur 155. Aktion in anlässlich des 80. Geburtstag des Künstlers in Mistelbach dar. Zum ersten Mal steht hier die musikalische Darbietung im Vordergrund. Mithilfe von einem Orchester aus unzähligen Streich-, Blas- und Schlaginstrumenten sowie einem riesigen Chor webt Hermann Nitsch einen Klangteppich, dessen Erschwellen und Abklingen eine verdichtete Atmosphäre schafft. Eine weitere Besonderheit der 155. Aktion stellt der ausschließliche Einsatz von Erntefrüchten anstatt von Tierkadavern oder –organen dar, was das Opferritual zu einem ekstatischen Erntefest werden, und den Künstler endgültig im 21. Jahrhundert ankommen lässt. Unsere Ausstellung dokumentiert die Aktion in der Partitur, sowie in Fotographien und Film, und auch ein Relikt derselben wird gezeigt.
Besonders freut uns die Ausstellungsbeteiligung Julian Schnabels, der die Nitsch’sche Einladung gerne annahm. Neben seinen im Neoexpressionismus anzusiedelnden bildnerischen Arbeiten ist Schnabels internationaler Ruhm hauptsächlich seinen vielfach ausgezeichneten Filmen zuzuschreiben, so „Basquiat“und zuletzt „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“, die Biografien des gleichnamigen Künstlers. Wie bei Hermann Nitsch umfasst auch Julian Schnabels Kunst die Musik, 1995 veröffentlichte er ein eigenes Album, „Every Silver Linig has a Cloud“. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten, Acryl- bzw. Ölmalerei auf Landkarten, greifen in Komposition und Farbgebung in gewisser Hinsicht Nitschs Aktionsmalerei auf. So bilden die Werke beider Künstler trotz, oder gerade wegen ihrer sehr unterschiedlichen Hintergründe eine stimmige Kombination.