Betritt der Besucher den Raum der Galerie, wird sein Blick unmittelbar von der scheinbar sich verflüssigenden Materie eines großformatig gemalten Innenraumes angezogen, um den faszinierenden Moment der Transformation eines (Aggregat-)Zustandes, nahezu mit Erleichterung, rechtzeitig erhascht zu haben. Gleichwertig behaupten die umgebenden UFOs ihr Dasein trotz ihrer transzendenten Erscheinung. Mit seiner Einzelausstellung Etui 1-7 greift Stehn Raupach die verschwimmenden, transitorischen Innenräume seiner „Kreuzserie“ wieder auf und schließt mit ihnen zugleich ab. Von der Idee der Grenzen überschreitenden Räume durchdrungen, verlässt der Künstler den Innenraum mit der UFO-Reihe und wirft Existenzfragen subtil ins All.
Mit der Produktion des Grisaillegemäldes „J-A“ beginnt Stehn Raupachs künstlerischer Diskurs in den Übergang zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten, zugleich zwischen Tradition und Zukunftsvision. Mit einem Beamer projektierte der Künstler die Fotografie einer analogen Schaltzentrale der 1960er auf die Leinwand. Entgegen dem Sinn der klassischen Vorskizze, zeichnete Raupach nicht die Konturen nach. Er umriss Farbverläufe wie autonome Mikroorganismen und fasste diese Schritt für Schritt einschichtig in Farbe – wie ein Freskomaler, der Zentimeter für Zentimeter in den noch feuchten Putz malen muss. Das unermüdliche Ringen um einen Zustand zwischen Festigkeit und Auflösung reüssiert Raupach mit Ruhe.
Wie zahlreiche Spätromantiker kreiert Raupach in „J-A“ einen atmosphärischen und menschenleeren Raum. Durch die stumpfen Graunuancen erscheint das Werk wie verflüssigte, voneinander getrennte und zuletzt erstarrte Materie. Die Nahsicht enthüllt ein verpixeltes Bild. Es erschließt sich ein eigener Kosmos an gemalten Strichen und Flecken wie schwebende Partikel in der Luft, welche für das menschliche Auge ohne jegliche technische Hilfestellung nicht sichtbar wären. Das Nachvollziehen der einschichtigen und matten Malweise des Künstlers bei dem gegebenen Volumen erlaubt nicht nur eine mikroskopische Auseinandersetzung mit Materie, sondern auch einen Exkurs in die Kunstgeschichte. Der retardierte und konzentrierte Malprozess des Künstlers erinnert an den eines Freskomalers, wogegen das Subjekt das Sublime der Romantiker und Impressionisten wiederhallt.
Den Weg zum UFO fand Raupach über den langwierigen Malprozess an „J-A“.Wie andere Künstler in der Geschichte, die über eine Konstruktion eine innovative Malperspektive erreichten, befreite sich Raupach mithilfe seines mit Armhalterungen erweiterten Bürodrehstuhls von physischen Einschränkungen. Das mühelose Verharren in einer Position intensivierte die Meditation. Die Steuerung des Stuhls transponierte den Künstler in sein eigenes Werk - gleich einer imaginären Schaltzentrale eines Raumschiffes.
„UFOs sind schwer zu malen. Sie sollen bezaubernde Welt darstellen und zugleich Fragen aufwerfen – auf eine sehr beunantwortbare Weise.“, so Raupach über die entstandene UFO-Reihe. Auf Hintergründen in zarten Farbnuancen von Eierschale über Zartrosa zu Olivgrün präsentieren sich die in ihren Konturen verschwimmenden, teilweise schwarzen, teilweise die Farbe des Hintergrundes annehmenden, UFOs mit ihrer samtmatten Haptik wie zarte Biscuitporzellanobjekte vor einer seidigen Wandtapete. Ihre mattschwarzen Flächen sowie ihre farbliche Verschmelzung mit dem Hintergrund evozieren ein Licht-Schatten-Spiel, das das „Beunantwortbare“ ihrem nicht legitimierten Dasein als unidentified-flying-objects vorwegnimmt. Ist es ein UFO oder ein Schatten, oder zugleich das Werk der eigenen Imagination? Spürbar ist, dass die scheinbar schwebenden Objekte in ihrem feinsinnig eingefangenen Zustand zwischen Sein, Nicht-Sein und Im-Traum-Gewesen bezaubern. Durch ihren geisterhaft konturierten, sensiblen Zustand und ihre zarten Lichtquellen laden sie den Betrachter mehr zum Träumen ein, als ihn entführen zu wollen. Sie drängen Fragen auf. Ihr unbeschwertes Dasein im Bild schließt jegliche Spuren von Natur und Mensch, wie die Schaltzentrale in „J-A“, fast ausschließlich aus. Eine Zukunftsvision, in der sich Mensch und Maschine vereinen?
Derweilen schreibt der zum Jahresbeginn 2019 erstmalig dokumentierte Vorbeiflug einer NASA-Sonde an dem kürzlich entdeckten transneptunischem Objekt Ultima Thule sowie die Landung des chinesischen Raumschiffes Chang’e 4 auf der dunklen Seite des Mondes dem steuernden Menschen und den autonom fliegenden Maschinen historische Erfolge zu. Wie in Raupachs Bildern klingen die Schlagzeilen ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch und Maschine an. Die verschwommenen Aufnahmen der schwebenden grauen Köper mit porösen Oberflächen im schwarzen All erinnern an die malerische Ästhetik in Raupachs UFO-Bildern. Scheinbar so unergründlich, meinen die UFOs auf den ersten Blick mehr Antworten zu liefern als die historischen Aufnahmen der vorstellbar staubigen Himmelskörper. Stehn Raupachs schwirrende, strahlende und von der Ferne leuchtende Flugobjekte antworten dem Betrachter, wie mit persönlichem Inhalt bestückte Etuis, mit einem vertrauten Phänomen – dem Licht.