Am 9. November 2018 eröffnen wir unsere erste Einzelausstellung mit Arcangelo Sassolino (*1967 in Vicenza, wo er auch lebt und arbeitet). Es ist – nach seiner großen Einzelausstellung im Frankfurter Kunstverein in 2016 – seine erste Einzelausstellung im Westen Deutschlands.
Der international verständliche Titel der Ausstellung – Conflitti – deutet eine politisch-gesellschaftliche Dimension an, die gerade in unseren aktuellen Zeiten Relevanz hat. Und diese Dimension ist an den drei Werken der Ausstellung auch abzulesen. Gleichwohl funktionieren sie zunächst und vor allem als neue Lösungen für Skulptur.
Die offensichtlich konfliktreichste Arbeit besteht aus einem hydraulischen System, Stahlseilen und einem sehr stabilen Holzbalken. Die hydraulische Mechanik drückt eine Kolbenstange aus einem Zylinderkolben gegen den Holzbalken. Er wird von starken Stahlseilen gehalten. Und zwar so lange und mit so viel Gewalt, daß der Balken nach geraumer Zeit bricht. Er bricht aber nicht ad hoc, sondern nach physisch spürbarer Gegenwehr, mit vielen knackenden, knisternden und lauten Geräuschen. Zunächst wird das Holz eingedellt, dann verschieben sich durch den Druck seine Jahresringschichten, dann schließlich reißt und splittert das Holz. Während dieses ganzen Prozesses sind die Gewalt und die rohe, unbeirrbare Kraft hörbar, sichtbar, generell: spürbar.
Die 225 cm hohe Säule aus zahlreichen 12 mm starken Industrieglasplatten, die uneben geschnitten sind, wird nur durch einen Schraubstock zusammengehalten. Dabei trägt jedes Element dieses labilen, massiven Glasturmes zur Stabilität der Skulptur bei. Ohne ihre Breite und Tiefe würde sie nicht stehen, genauso wenig wie die Glasplatten ohne den Schraubstock in der Vertikale bleiben könnten. Ein Konflikt, der lateinische Ur-sprung des Wortes enthält die Worte "con" ("mit") und "fligere" ("schlagen", "prallen"), ist vor allem in der mechanischen Funktionsweise zu sehen. Ohne daß die Glasplatten zusammengeprallt sind (es ist im Grunde eher ein Zusammenstehen) kann die Skulptur nicht existieren. Vielleicht eine Metapher für die (hier) positiv wirksam werdenden Kräfte, die zusammenspielen.
Bei der dritten Arbeit der Ausstellung, die aus der Blase eines ca. 100 x 100 x 100 cm großen, sogenannten Intermediate Bulk Containers, Schläuchen und einem Ventilator besteht, wird die Blase durch den Ventilator rhythmisch leergesaugt und wieder aufgeblasen. Wenn die Luft herausgesaugt wird, wird der Kubus zum zusammengeknüllten Gegenstand, wie ein Tetrapak, der nach Entleerung im Müll landet. Und wenn die Luft hineingeblasen wird, gibt es den Moment der größten Füllung, die aus dem Kubus fast einen Ball werden läßt. Der industrielle und – ohne Sassolinos Eingriff – im Grunde hochstabile Gegenstand wird dabei quasi zum Spielball der Luft und des Ventilators und der dabei entstehenden Kräfte. Es kämpfen also, wenn man so will, der Ventilator und der Kunststoffgegenstand gegeneinander.
In allen drei Arbeiten werden Materialien direkter Krafteinwirkung ausgesetzt, Kraft wird dabei als physische Größe sicht- und erfahrbar, eine Größe, die in diesen Arbeiten unvermeidbar und unausweichlich ist. Und dadurch, also: durch diese ästhetische Umsetzung von Physis beziehen sich die Arbeiten auf die und unterscheiden sich von den Werken auf die sich Sassolino kunsthistorisch bezieht: zum einen existieren natürlich Bezüge zur Arte Povera Italiens. Auch die Materialien Sassolinos, sind "arm" und "einfach": Glasplatten an und für sich sind kein besonderes Material, Holzbalken auch nicht und ebenso kann man dies von Kunststoff-Containern sagen. Im Unterschied aber zur Arte Povera werden diese armen Materialien nicht mit persönlicher Bedeutung oder gar Emotionen oder Erinnerungen aufgeladen. Vielmehr sind es vor allem stark reduzierte Prozesse, die sichtbar gemacht werden. Und insoweit besteht auch der Bezug zur Minimal Art und zur Process Art. Nur daß bei Sassolino die unmittelbare Krafteinwirkung sichtbar gemacht wird und es nicht vor allem um die Lesbarkeit der Form geht. Am meisten ist das vielleicht mit Richard Serra zu vergleichen. Sassolino allerdings zeigt diese Krafteinwirkung mit diversen Materialien. Mit seinen Formen, die Quader der Glasplatten und des Holzes sowie der Kubus des Containers, referiert Sassolino jedoch auf die Quader und Kuben der Minimal Art. Nur: bei ihm werden diese Figuren brutal verändert und aus der Form geschlagen.
Sassolinos Umgang mit Materialien und Formen hat natürlich auch eine politisch-gesellschaftliche Seite. Und dafür kann der Ausstellungstitel als Anknüpfungspunkt herangezogen werden. Heraklit beschrieb den Konflikt, den Krieg als den Vater aller Dinge, der Wandel und Entwicklung ermögliche. Für Sassolino dienen seine Skulpturen jedoch mehr als metaphorische Spiegel der gesellschaftlichen Situation in der wir uns befinden: Konflikte als unvermeidliche Konstante der "Conditio Humana" lassen sich allenthalben feststellen. In der Politik, der Gesellschaft, in der Wirtschaft, zwischen Nationen oder auch in Beziehungen. Diesen Bedingungen des Lebens verleiht Sassolino seine Stimme. Und zwar, wie er es sagt, in dem er sich bei der Industrie bedient, um existenzielle Fragen zu erörtern.