Die Galerie Thomas Zander freut sich besonders, eine Ausstellung anzukündigen, die ausgewählte Arbeiten der Künstler Gerhard Richter und Michael Schmidt gemeinsam präsentiert und in ihnen die Vielfalt der Farbe Grau erkundet. Der bewusste Umgang mit Grau als Farbe bildet sowohl bei Richter als auch bei Schmidt eine wesentliche Konstante in den Wandlungsprozessen ihres künstlerischen Werks.
Michael Schmidt (1945-2014) ist einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Nachkriegsfotografie. Er beschäftigt sich in den 1960er und -70er Jahren vor allem mit seiner direkten Umgebung in West-Berlin, den Distrikten Kreuzberg und Wedding. Seine in der Ausstellung gezeigten Bilder der neuen Bebauung, von Freiflächen und Baulücken vermeiden eine hergebrachte Schwarz-Weiß-Ästhetik. Diese verkörpert für ihn ein Denken in Oppositionen, was der Künstler ablehnt: „Grau ist für mich eigentlich eine Farbe und ich bin auf diese Position des Graus erstmals 1976 bei der Serie Berlin-Wedding gekommen. Es war ein ganz bewusster Schritt, die Bilder noch extremer ins unermessliche Grau zu treiben, so dass Schwarz und Weiß eigentlich gar nicht mehr vorkommen“, so Schmidt. Sein Grau verbildlicht einen gefühlten Zustand. Diese Verdichtung der Realität ergibt sich nicht im Einzelbild, sondern entfaltet erst in der Serie ihren Zusammenhang. Als Autodidakt wird Michael Schmidt zum Vorreiter eines neuen dokumentarischen Stils und gründet 1976 die Werkstatt für Photographie an der Volkshochschule Kreuzberg. Hier wird Fotografie gelehrt und ausgestellt, heute so bekannte Künstler wie Robert Adams, Diane Arbus, Lewis Baltz oder William Eggleston werden in die Werkstatt eingeladen. Schmidt selbst erlangt mit seiner Serie Waffenruhe (1987) internationale Anerkennung. Die Serie von atmosphärischen Detailansichten, Porträts und immer wieder Fragmenten der Mauer bricht mit seiner bis dahin ausgeführten Methode, indem sie einen subjektiven Blick auf den spürbaren Ideologiewandel und das Lebensgefühl einer jüngeren Generation darstellt. Ein Auszug der Arbeit ist als Wandinstallation in der Ausstellung zu sehen. Das früher sachliche, zähe Grau entwickelt in seiner Absolutheit darin ein „perverses Leuchten“, wie Lewis Baltz bemerkt. Waffenruhe sei ein Kunstwerk von solcher Intensität, dass es die Welt, die es abbildet, verändere. Michael Schmidt empfindet die Serie als einen Endpunkt seiner Auseinandersetzung mit dieser Form der Fotografie und bekräftigt, dass er nur in steter Veränderung seine Grundhaltung bewahren kann. Eine Haltung gegenüber der Welt, welche als Frage formuliert ist und das Ungewisse als Daseinsmodus anerkennt. In den Differenzierungen der Farbe Grau findet sie ihren Ausdruck.
Auch im Werk Gerhard Richters nimmt die Farbe Grau bereits früh eine entscheidende Position ein. Nachdem Richter wenige Monate vor dem Mauerbau von Dresden nach Düsseldorf übersiedelt, entwickelt er in Abwendung von sozialistischem Realismus und westlichem Nachkriegsmodernismus eine Art Antimalerei: Um die Malerei von einer Bedeutungshaftigkeit aus Pathos und Narrativität zu entlasten, entdeckt er Fotos aus Familienalben und Zeitschriften als scheinbar stil- und urteilsfreie Bildvorlagen. Das in der Ausstellung präsentierte Mädchen im Garten (1965) entsteht nach einem Kindheitsfoto seiner ersten Ehefrau. Dieses ist in Richters Atlas zu finden, seiner Materialsammlung von Fotos, Zeitungsausschnitten und Skizzen. Das Grau der Malereien ist in den Amateurfotos und Reproduktionen angelegt, die zu jener Zeit vorwiegend schwarzweiß sind. Auch die charakteristische Unschärfe vollzieht den medialen Wandel. Mittels der Farbe Grau negiert Richter jedwede künstlerische Festlegung, um auf die Bildfunktion jenseits des Abbilds zu konzentrieren und begründet damit sein eigenständiges Werk. Die Ausstellung zeigt ebenfalls Gerhard Richters einzige Arbeit im Medium Film, Volker Bradke von 1966.
Der Film greift die Unschärfe der Fotomalereien auf und zeigt ein verwischtes Porträt eines jungen Mannes, der sich in der Düsseldorfer Kunstszene gerne in die Nähe von Künstlern begab. Aus Richters Beschäftigung mit Farbtafeln, Seestücken oder Wolkenbildern entstehen immer wieder monochrom graue Malereien. Ab 1972 tauchen sie in Serie auf, und der Künstler kehrt wiederholt zu ihnen zurück. Die grauen Farbflächen gehen zunächst aus einer negativen Motivation Richters als „Entsprechung zu Indifferenz, Aussageverweigerung, Meinungslosigkeit, Gestaltlosigkeit“ hervor. Indem er dafür Bilder findet, die nicht veranschaulichend sind, sondern die Wirklichkeit des Bildes selbst aus ihnen hervortreten lässt, gelingt es ihm, diese Zustände zu wenden. Das gestrichene, gespachtelte, geschlierte Grau in den ausgestellten Malereien offenbart keinen transzendenten Raum. Es zeigt sich als undurchlässige Konsistenz von Farbschichten. Die Idee des opaken Bildes findet sich wieder in Richters grauen Spiegeln. Diese wohl radikalste Form der Indifferenz wirft ein klassisches Paradigma der Fotografie und Malerei auf sich selbst zurück. Die graue Farbe ist in einem Emaillierverfahren ins Glas eingebrannt, so dass die Spiegel in der Reflexion ihre eigene Materialität behaupten. Mit seinen grauen Arbeiten beunruhigt Richter Sehgewohnheiten und Sehgewissheiten. Er führt sie konzeptuell auf den Graubereich der Erkenntnisskepsis zu, woraus sein Werk seine Kohärenz bezieht. Durch wiederholte Prozesse des Infragestellens verbildlichen die Facetten der Farbe Grau auf unterschiedliche Weise bei Richter wie bei Schmidt die Anerkennung eines Da-Seins, das sich nicht in Bedeutung einlösen lässt.