Die Galerie Thomas Zander zeigt erstmalig eine Serie neuer Dye Transfer Abzüge von Tod Papageorges frühen Farbfotografien aus New York. In ausdrucksstarken Bildern von Schaufensterauslagen, politischen Plakaten und Begegnungen der Großstadt hält die 1966-67 entstandene Serie Dr. Blankman’s New York den Zeitgeist und das gesellschaftliche Klima zwischen Pop Art und Vietnamkrieg fest. Die prägnante Intensität der Farbarbeiten, die fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung nun erstmals in einer Ausstellung präsentiert werden, kommt dank des hochwertigen Dye Transfer-Verfahrens einzigartig zur Geltung. Diese aus den 1960er und -70er Jahren bekannte Technik wird heute aufgrund ihrer aufwendigen Produktion nur noch sehr selten angewandt. Papageorges New Yorker Aufnahmen lassen sich keineswegs von der Hektik der Metropole anstecken, sondern sind beobachtend, wahrnehmend. Dabei ist der Künstler sensibel für die lyrische Qualität, die den Bildern innewoht, wach für die Zeichen seiner Zeit und bewusst im Umgang mit seinem Medium. Mehr als alles andere zelebriert die Serie die Seherfahrung selbst, die den damals 25-jährigen Fotografen elektrisiert zu haben scheint: „Eyes examined“ verspricht das Schild des Optikers Dr. Blankman im titelgebenden Motiv. Wir sehen, wie ein Fotograf mit Stativ im Central Park eine junge Frau fotografiert, wie eine andere Frau sich spielerisch ein Leporello mit Fotos vors Gesicht hält.
Ein junger Mann in einer weiteren Aufnahme trägt eine Lederjacke mit Vietnam-Schriftzug, ein Bote der Kriegsrealität im Alltag, die in der Serie ebenfalls nicht ausgeblendet wird. Zu Dr. Blankman’s New York erscheint eine Publikation im Steidl Verlag. In den darauffolgenden Dekaden hat Tod Papageorge ein beeindruckendes Werk geschaffen, das amerikanische Zeitgeschichte und Lebensgefühl in Bildern vom Central Park, von Sportstadien und vom legendären Studio 54 einfängt. Er wurde mehrfach mit dem Guggenheim Stipendium und dem National Endowment for the Arts ausgezeichnet und lehrte an der Yale University, wo heute so bekannte Fotografen wie Philip-Lorca diCorcia und Katy Grannan zu seinen Studenten zählten. Papageorges Werke sind in international bedeutenden Museumssammlungen vertreten.
Parallel zeigt die Galerie unter dem Titel Streetwise ausgewählte Positionen von Mitch Epstein, Lee Friedlander, Anthony Hernandez, Helen Levitt, Dieter Meier, Max Regenberg und Beat Streuli. Das Genre der Straßenfotografie verkörpert eine dynamische Erfahrung des urbanen Umfelds und macht menschliche Alltagssituation im öffentlichem Raum der Stadt zu ihrem Sujet. Zumeist gehen die Begegnungen nicht über den Moment der Aufnahme hinaus, aber in den Fotografien entfalten sie eine poetische Tiefe, machen Wahrnehmungsstrukturen sichtbar oder fassen soziale Begebenheiten in Bilder. In den Fotografien wird sowohl Distanz als auch Nähe spürbar, Anonymität und Intimität verbinden sich. Lee Friedlander reflektiert in seinen Schwarzweißaufnahmen das moderne, oft entfremdete Alltagsleben und gilt als kritischer Chronist des American Way of Life. So scheint auch seine Gruppe Head, in der jeweils nur der Hinterkopf der Passanten zu sehen ist, das Nicht-zustande-Kommen einer Beziehung zu symbolisieren. Gleichwohl teilen Betrachter wie Fotograf hier ihren Blickwinkel auf die Stadt.
In seiner Serie The City (1995-98) spürt Mitch Epstein den Ebenen von privater und öffentlicher Interaktion nach und hat einen Stil entwickelt, der seine Bilder durch Farbkomposition und Bildaufbau gleichzeitig inszeniert und spontan wirken lässt. Im Vordergrund einer Fotografie stehen umher-blickend eine Mutter mit drei Kindern, in ihrer Sommerkleidung wirkt die Familie wie ein Fremdkörper auf der regennassen Straße. Im Hintergrund hängt ein Unterwäscheplakat in Schwarzweiß. Auch Max Regenberg reflektiert die ästhetische Wirkung von Plakaten im öffentlichen Raum. In einer frühen Schwarzweißarbeit von 1981 experimentiert er mit subjektiv-filmischen Mitteln, um die anschwellende Bilderflut zu dokumentieren: Regenberg fotografiert in Köln, legt denselben Film in New York wieder ein und belichtet doppelt. Wie die Eindrücke des Fotografen legen sich die Aufnahmen übereinander und zeigen in Bildsequenzen die synchrone Wahrnehmung und die allgegenwärtigen Werbebotschaften, die die visuelle Kultur durchziehen. Die soziale Landschaft im urbanen Kontext ist der Fokus in Anthony Hernandez’ Fotografie. Die Ausstellung zeigt unver-öffentlichte Bilder seiner Serie Rodeo Drive, die den Zeitgeist der ’80er Jahre in ihren unverkennbaren Farben zeichnet, während die Reichen und Schönen auf Beverly Hills' Shoppingmeile flanieren. Helen Levitt fotografierte Menschen in New Yorks weniger privilegierten Stadtteilen in Bildern voll unsentimentaler Poesie.
Ihre eindrücklichen Farbarbeiten von 1971 bis 1990, die als Diaprojektion und Dye Transfer Abzüge zu sehen sind, spiegeln auch den Wandel einer Zeit, in der das Privatleben der Menschen in der Stadt immer weniger sichtbar geworden ist. Beat Streulis großformatige Straßenfotografie versetzt den Betrachter mitten ins Geschehen von Großstädten wie New York, Rom und Tokio. Durch Realismus gepaart mit reduzierter, präzise gesetzter Formsprache nimmt Streuli oft nur eine oder zwei Figuren in den Fokus. Die Bilder führen faszinierend vor Augen, wie privat Menschen in der Anonymität der Straße wirken, wo sie sich unbeobachtet fühlen. Immer wieder ließ sich der Schweizer Künstler Dieter Meier zu Aktionen auf öffentlichen Plätzen inspirieren, die durch eine unmittelbare Auseinandersetzung mit Passanten geprägt waren; so auch in seiner Serie Given Names von 1976. Sie zeigt Personen auf der Straße, denen er eigene, erfundene Namen gab, mit dem Untertitel „I only saw her/him once and later gave her/him a name”. Die Serie spricht damit ganz direkt zentrale Aspekte der Straßenfotografie aus, in der Identitäten performativ und imaginär konstruiert werden.