Birgit Brenner erkundet in ihrer Kunst die digitalen Muster, mit denen wir leben. „Ich nenne es ‚Hand-Poly'", sagt die Künstlerin über ihre Gemälde – „Hand-Poly" als Abwandlung von „Low-Poly" aus den frühen Tagen der 3-D-Animation. Low-Poly-Grafik besteht aus einer relativ kleinen Anzahl von Polygonen – zweidimensionalen Formen, die aus geraden Linien und Winkeln gebildet werden und aus denen in 3-D-Programmen Bilder geformt werden . „‚Low-Poly' liefert eine sehr niedrige Bildauflösung", sagt Brenner, „eine grobe Darstellung der Wirklichkeit." Es ist ein Instrument für die digitale Darstellung der Realität, eine Fiktion: „Kunst ist auch Fiktion. Ein Fragment der Wirklichkeit. Kunstwirklichkeit."
Brenners Werke sind von der Sprache aus Computerspielen, die den Anfang der VR ausmachten, wie „Deep Speech", oder „End-to-End" inspiriert. Bei „End-to-End" spielt man ein Spiel optimal in einem Durchgang bis zum Ende durch, ohne zurückzugehen. Oder „Permadeath" – ein Terminus, der eine Spielsituation bezeichnet, in der eine Figur nach ihrem Tod nicht wieder in den gleichen Parkour zurückkehren kann. „Man stirbt, wie im wahren Leben", erklärt Brenner, „ohne die Möglichkeit der Optimierung. Computerspiele simulieren das Leben, in welchen Facetten auch immer." Brenner ist fasziniert von der Gewalt, die Spielhandlungen in der virtuellen Welt durchzieht, von Autounfällen bis hin zu Bombenexplosionen: „Es ist kein Zufall, dass militärische Kriegssimulationen der Ausgangspunkt für Videospiele waren. Erst später wurden sie auch zum Privatgebrauch hergestellt."
Brenners Arbeit nimmt nicht nur Bezug auf die Blütezeit der Videospiele, sondern auch auf Science-Fiction-Romane und ‑Filme, die in deren Kielwasser entstanden, beispielsweise „V wie Vendetta", eine Graphic Novel von Alan Moore aus den späten Achtzigern. Darin wird London als postapokalyptische Stadt dargestellt, in der der Anarchist V gegen ein faschistisches Unterdrückerregime kämpft. Brenner ist besonders von Vs Vertrauter Evey Hammond fasziniert, einer unschuldigen jungen Frau, die sich zur Revolutionärin gewandelt hat. Eine weitere ihrer Inspirationen sind die düsteren Science-Fiction-Romane von Philip K. Dick, auf denen beispielsweise Filme wie „Blade Runner" (1982) basieren, die ihrerseits wiederum zahlreiche Videospiele und Animes beeinflussten. Ein thematisches Element dieser Neo-noir-Cyberpunk-Filme und ‑Romane ist die Hinterfragung dessen, was angesichts moderner Technologien das Menschsein ausmacht. „Künstliche Intelligenz verhält sich logisch", so Brenner, „und Menschen sind alles andere als logisch. Was vermag also die Technik? Und was kann ich selbst tun?".
In Zeiten von 3-D-Kunst gefällt es Birgit Brenner, Modelle von 3-D-Szenen zu kreieren: eine flache Skulptur, die dennoch wie ein Hologramm aussieht, oder ein Gemälde, das digitale Muster zeigt. Anstatt das Vorbild möglichst schön nachzugestalten, neigt sie dazu, eine Komposition aufzubrechen, sie auf der Leinwand in ihre Bestandteile zu zerlegen. „Mich interessiert nicht nur, was, sondern wie wir sehen", erläutert Brenner. Die von ihr verwendeten Farben strahlen einen Anflug des Virtuellen aus, imitieren dessen künstlichen Glanz. Brenner bezeichnet sie als „quietschige Farben". „Wenn man längere Zeit eine Virtual-Reality-Brille aufhatte, sieht nach dem Absetzen alles grau aus", sagt sie. Mit ihrer Ausstellung bei Galerie EIGEN + ART erzeugt sie ein eindringliches Erlebnis und spielt dabei mit der zwiespältigen Rolle der virtuellen Realität: Ist VR ein Zeichen unserer technologischen Unterwerfung oder ein Beleg dafür, dass wir die Technik beherrschen?