Das erste Bild, das ich sah, als ich zu Beginn eines verregneten Nachmittags Ende März wieder einmal in Tim Eitels Atelier kam, war gegen die linke Wand gelehnt. Es war fast fertig. Eigentlich hätten meine Augen in diesem Moment den Rest der Wand absuchen und bei dem schwindelerregenden Gemälde anhalten sollen, um das es am Ende dieser Zeilen gehen wird. Doch merkwürdigerweise zog stattdessen die rechte Wand meine Aufmerksamkeit auf sich. Dort waren einige Werke in verschiedenen Formaten aufgehängt oder angelehnt: Eine Silhouette, die eine Treppe hinaufgeht. Eine Frau mit verborgenen Zügen, die sich durch eine perspektivisch erstaunliche Fensteröffnung zeigt. Ein Körper, der zu mehr als drei Vierteln von einem Bettlaken bedeckt ist. Ein Mann, der mit einem modularen Synthesizer hantiert. Ein Bild im Bild. Tim Eitel hat, auf Marcel Schwob anspielend, diese Ausstellung Vie imaginaire betitelt.
Es braucht Zeit, um diese Werke auf sich wirken zu lassen. Ihre fast hypnotisierende Kraft. Die Transformationen, die dort vor sich gehen. Was lässt sich über das Gesicht dieses Mannes sagen, das zu nah an der Wand ist? Über diese modularen Kabel, die wie Bildzeichen an der Grenze zur Autonomie anmuten? Über diese neoplastische Komposition, die oben über der Treppe zu sehen ist? Was kann man über dieses große Format sagen, auf dem Tim abgebildet ist, angespannt und konzentriert, auf einem Sessel sitzend, sein Blick im Diderotschen Sinne versunken? Was kann über die „weiße“ Wand hinter ihm gesagt werden, deren Ausmaß an schillernden Tönen nicht auf den ersten Blick ermessen wird? Und wie kann man diesen Anschein einer Öffnung nach außen interpretieren? Handelt es sich um eine Landschaft? Aber was hat es mit diesem Schatten an der Wand auf sich?
In diesem Augenblick sehe ich das Opus magnum der Ausstellung, das Werk, an dem ich auf meinem Weg durchs Atelier vorbeigegangen bin. Eine Frau – Sophie, die Gefährtin des Malers, die in dieser Gemäldegruppe sehr präsent ist – sitzt auf einer Bank, auf der sich ein Müllbeutel befindet, der unerklärlicherweise den Gesetzen der Schwerkraft widersteht. Sie wendet uns den Rücken zu. Wie die bei den deutschen Romantikern beliebten Figuren, angefangen bei Friedrich. Wie die Madeleine im Palast der Ehrenlegion in Hitchcocks Vertigo. Vor Sophie entfaltet sich eine prächtige Landschaft. Aber ein darunter projizierter Schatten, einer mehr, verrät uns, dass es sich um keine „echte“ Landschaft handelt, sondern um ein Gemälde an der Wand. Das gleiche Gemälde, von dem uns ein Fragment im Selbstporträt auf dem Stuhl getäuscht hatte. Denn weder das eine noch das andere öffnet sich dem Raum. Sie ziehen sich vielmehr auf die Oberfläche zurück. Dort ist das Leben. Wesen aus Fleisch und Blut. Möbel. Objekte. Architekturen. Hier dagegen die Malerei. Und nur sie allein.