Hauser & Wirth, Zürich, freut sich, parallel zur Art Basel 2017 eine grosse Ausstellung neuer Arbeiten von Jenny Holzer zu veranstalten. Die in New York lebende Künstlerin ist berühmt für ihre unverwechselbare Verwendung der Sprache und ihr künstlerisches Schaffen im öffentlichen Raum. Jenny Holzer verbindet sinnliche Erfahrungen mit poetischen, politischen und persönlichen Texten und schafft damit eine starke Spannung zwischen Gefühlen und Wissen. Diese Ausstellung ist Ausdruck der Vorstellung, die Holzer von Kunst hat: Ihre Vision umfasst sowohl individuelle als auch kollektive Erfahrungen von Macht und Gewalt wie auch von Verletzlichkeit und Zärtlichkeit.
Seit den 1980er Jahren hat sich Holzer im Rahmen ihrer Arbeiten mit verschiedenen Medien auseinandergesetzt. Am bekanntesten ist sie jedoch wohl für ihr Schaffen mit elektronischen Installationen sowie mit dem Material Stein und mit Lichtprojektionen. Zu den Glanzlichtern der Ausstellung in Zürich zählen zwei monumentale bewegliche LED-Leuchtschriftbänder mit neuen Texten, welche die Künstlerin speziell für diese Ausstellung ausgesucht hat, eine neue Reihe ihrer vielgepriesenen Redaction Paintings zusammen mit den verwandten Aquarell- und Graphitzeichnungen sowie eine Gruppe von gravierten Kalksteinbänken.
Die beiden LED-Installationen der Ausstellung, ‘RAM’ (2016) und ‘MOVE’ (2015), stehen für das neuere Schaffen der Künstlerin, in dessen Rahmen sie sich mit der Beziehung zwischen Materialität und Sprache befasst. LEDs werden normalerweise in einem öffentlichen Umfeld für Nachrichten, Informationen oder Werbezwecke verwendet, und sie finden sogar in einem offenen öffentlichen Raum Beachtung. Jenny Holzer hat dazu Folgendes erklärt: ‘Ich habe zur elektronischen Technologie gewechselt, weil ich mit meinem Schaffen dort präsent sein möchte, wo ich die Aufmerksamkeit des Publikums gewinnen kann. Ich habe mir gedacht, dass ich auch viele anspruchsvolle und relevante Themen präsentieren sollte – so ausführlich und auffällig, wie es für Promi-Klatsch, Konzerte, Produkte und die manchmal übervorsichtige Nachrichtenberichterstattung gemacht wird.’ Bei ‘RAM’ und ‘MOVE’ verwendet Holzer dieses Medium, um Fragen zu thematisieren, die mit kriegerischen Auseinandersetzungen zusammenhängen. Diese Fragen werden in erster Linie durch die Stimmen und Perspektiven von Zivilisten zum Ausdruck gebracht. Dabei liegt der Schwerpunkt sowohl auf den Kriegsopfern als auch auf den Urhebern von Kriegen. Holzer hat auch intelligente Robotertechnik eingesetzt, so dass sich jede Installation als Reaktion auf die Anwesenheit des Betrachters bewegt.
‘RAM’ ist ein dreiseitiges LED-Leuchtschriftband, das sich über eine Länge von sieben Metern erstreckt. Entlang jeder Seite der horizontalen LED-Installation scrollen die Worte in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Anschliessend blinken sie, werden abgedunkelt und lösen sich schliesslich in einem Spektrum von Regenbogenfarben auf. Dabei werfen sie einen faszinierenden Glanz auf den umliegenden Boden. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten rufen verschiedene Sprachmuster hervor, die Holzer als ‘das kinetische Pendant zum Tonfall der Stimme’ beschreibt. Der Text von ‘RAM’ stammt aus einem Zyklus von epischen Gedichten von Anna Świrszczyńska (Swir), die sich während des Zweiten Weltkriegs dem polnischen Widerstand angeschlossen hatte und während des Warschauer Aufstands im Jahr 1944 als Krankenschwester tätig war. Ihr Werk aus dem Jahr 1974, ‘Building the Barricade’ (Budowałam Barykade, Barrikaden errichten) – in einer neuen englischen Übersetzung des Dichters Piotr Florczyk –, thematisiert die Kriegsgräuel aus der Sicht einer unmittelbar betroffenen Person. Geschildert werden das Leid und das heldenhafte Handeln, das Swir 1944 während der Belagerung durch die Nazis und der Zerstörung der polnischen Hauptstadt als Zeugin vor Ort unmittelbar miterlebt hat. Mit Hilfe von Robotertechnik bewegt sich ‘RAM’ rückwärts und vorwärts und dreht sich von Seite zu Seite. Dies weckt Assoziationen mit den Bewegungen von militärischen Rammböcken. Die physische Aggressivität der Installation unterstreicht die Brutalität der von Swir geschilderten Geschehnisse. Dadurch werden die herkömmlichen Mythen des Kriegs in Frage gestellt, die in der Bildhauerei und Poesie traditionellerweise gepflegt werden.
Die Dichtung von Swir wird mit einer neuen Reihe von gravierten Kalksteinbänken verbunden, die speziell für diese Ausstellung geschaffen wurden. Der von der Künstlerin ausgewählte Kalkstein, der nüchtern eingravierte Zeilen des Gedichts von Swir enthält, erinnert an Grabsteine und historische Denkmäler. Dies verleiht den Texten der Dichterin eine tief bewegende Feierlichkeit.
Bei ‘MOVE’ handelt es sich um eine vierseitige, vertikale LED-Installation, die durch einen Roboterarm bewegt wird, der an der Decke der Galerie befestigt ist. Für diese Arbeit suchte Holzer nach einem neuen Inhalt: Sie befasste sich mit der internationalen Flüchtlingskrise und den verheerenden humanitären Auswirkungen des anhaltenden Bürgerkriegs in Syrien. Die LED-Installation zeigt 131 individuelle Augenzeugenberichte. Die von Human Rights Watch (zwischen dem 23. Mai 2011 und dem 15. April 2012) durchgeführten Befragungen von demonstrierenden Zivilisten, die vom Assad-Regime festgenommen, inhaftiert und gefoltert wurden, und die Gespräche mit Überläufern des Regimes zeigen auf, dass die Versprechen des Arabischen Frühlings in Syrien gebrochen wurden. Im Rahmen der von Save the Children (zwischen September 2012 und April 2016) durchgeführten Befragungen kamen syrische Familien zu Wort, die in den letzten fünf Jahren aus ihrer Heimat geflohen sind und nun mit grossen Herausforderungen zu kämpfen haben.
In der Ausstellung wird auch eine neue Gruppe von Gemälden gezeigt, die zur laufenden Reihe der Redaction Paintings von Holzer gehören. Mit Öl auf Leinwand bildete die Künstlerin wirklichkeitsgetreu freigegebene, aber stark bearbeitete US-Regierungsdokumente und Armeeunterlagen nach. Zusätzlich zu verschiedenen Papieren aus der Bush-Ära, die aus der Zeit des Beginns der Einsätze des US-Militärs in Afghanistan und im Irak stammen, umfassen die Unterlagen auch FBI-Dokumente zu terroristischen Bedrohungen, zur Cyber-Spionageabwehr und zu CIA-Lehrgängen über Datenerhebung sowie Berichte über das umstrittene Überwachungsprogramm ‘Stellar Wind’ der NSA. Die meisten dieser Dokumente hat Holzer auf den Webseiten der American Civil Liberties Union (ACLU, Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung) und des National Security Archive gefunden. Für jedes Redaction Painting wurde die jeweilige Landessprache des Originaldokuments übernommen. Die Werke sind vielfach eine Vergrösserung des standardmässigen Formats von 8 ½ x 11 Zoll. Der Text wurde entsprechend dem Originaldruck – Schreibmaschinen- oder Handschrift – des Dokuments nachgezeichnet. Übernommen wurden auch die nachfolgend angebrachten Vermerke zur Klassifizierung, zur Aufhebung des Geheimhaltungsgrads und für die Bearbeitung zur öffentlichen Freigabe. Verschiedene Werke dieser neuen Serie, wie beispielsweise ‘Domestic investigations’ (2017), sind eine visuelle Abweichung von früheren Iterationen. Holzer hat kreisrunde Formen in Verbindung mit kräftigen Farben eingearbeitet. Diese erinnern an die frühen Experimente des russischen Konstruktivisten Alexander Rodchenko in abstrakter Geometrie. Diese neuen Arbeiten überlagern die Ästhetik des Konstruktivismus auf den aktuellen Inhalt von verfassten Regierungsdokumenten – gewissermassen eine historische Verbindung zu den späteren Zielen von Rodchenko als radikaler Anhänger der Russischen Revolution.
Der Autor und Sozialanthropologe Joshua Craze hat die Redaction Paintings gepriesen als ‘forensische Analysen einer der Waffen, mit denen Kriege geführt werden: die Struktur der Bürokratie des Militärs und der Geheimdienste und die rechtliche Straffreiheit, durch die ihre Aktivitäten verschleiert werden’. Mit der öffentlichen Ausstellung von Regierungsdokumenten, die durch den Freedom of Information Act (Gesetz zur Informationsfreiheit) freigegeben wurden, stellt Holzer sicher, dass diese Unterlagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig zeigt sie damit auf, wie die Gewalt zu einem normalen Bestandteil der Volkswirtschaft im weiteren Sinn und einer saturierten Medienlandschaft geworden ist.
Im Zusammenhang mit den ausgestellten Gemälden hat die Künstlerin verschiedene Aquarell- und Graphitzeichnungen auf transparentem Velinpapier erarbeitet. Diese neuen Arbeiten werden als Prozesszeichnungen realisiert, die im Atelier der Künstlerin verwendet werden, um die Regierungsdokumente auf die Leinwand für die Ölgemälde zu übertragen. Holzer hat die originalen Graphitlinien verwischt und in einigen Fällen Aquarellfarben in grellen Rottönen und in kontrastierenden Blautönen aufgetragen.
Jenny Holzer wurde 1950 in Ohio, USA, geboren. Sie hat Zeichnung und Druckkunst an der Ohio University studiert und 1977 einen MFA in Malerei an der Rhode Island School of Design erworben. Im gleichen Jahr hat sie am Whitney Independent Study Program teilgenommen.
Zu ihrem Schaffen wurden unter anderem die folgenden grossen Einzelausstellungen veranstaltet: Hauser & Wirth Somerset (2015); Fondation Beyeler, Basel, Schweiz (2009); Whitney Museum of American Art, New York NY (2009); Neue Nationalgalerie, Berlin, Deutschland (2001); Haus der Kunst, München, Deutschland (1993); United States Pavilion, Giardini della Biennale, Venedig (1990), Solomon R. Guggenheim Museum, New York NY (1989); und Institute of Contemporary Art, London, England (1983).