Der Ausstellungsraum erscheint in einem kräftigen und doch sanften Grün – einem ‚prophetischen‘ Grün. Denn Grün ist die Farbe des Paradieses, die Lieblingsfarbe des Propheten Mohammed und somit im Islam an heiligen Orten allgegenwärtig. In die farbig gestrichenen Flächen des Raumes hat Jörg Herold mit Hammer und Meißel die 99 Namen Allahs eingestemmt. Über diesen Schriftzügen hängen 100 Werke aus Papier, Cyanotypien, die verschiedene Vor- und Darstellungen des Paradieses aufgreifen. Sie erweitern und ergänzen die Wandarbeit – kommetieren sie womöglich.
In seiner Arbeit Dschanna. Prophetisch Grün – Leipziger Tor zum Paradies setzt sich der Künstler Jörg Herold mit dem Begriff des Paradieses und folglich mit Glauben und Religion auseinander – einem Thema, das Menschen vereinen, aber genauso auseinander treiben und Auslöser für Kriege sein kann. „Herolds Anliegen ist es, Konflikte zu überwinden. Prämisse für die Überwindung von Konflikten ist, einander zu verstehen. Dafür gilt es wiederum, fortwährend neue Perspektiven einzunehmen – unabhängig davon, ob sie geteilt werden oder nicht.“
In Dschanna begegnet Jörg Herold dem für ihn Neuen. Denn er wendet sich dem Islam zu, genauer: der Lehre von den 99 schönsten Namen Gottes. Der Großzügige, der Erhabene, der Gnädige, der Allwissende, der Gerechte, der Mächtige, der Nachsichtige, der Erste, der Letzte… Alle Namen Allahs zu kennen und vor allem zu verinnerlichen, ist im Islam eine Voraussetzung, um ins Paradies zu gelangen. So prophezeit es ein Hadith, eine Überlieferung von Aussprüchen des Propheten Mohammed. Die Betitelung „Die 99 Namen Gottes“ ist symbolisch zu verstehen, denn der Koran und die Hadithe führen mehr als 100 Namen für Allah an. Der symbolische Titel der Lehre beruht darauf, dass der hundertste Name Allahs nach islamischem Glauben unaussprechbar und den Menschen nicht bekannt ist.
Mehrere Tage lang hat Jörg Herold die 99 Namen Allahs akkurat und konzentriert in die Wände ge- meißelt. Über das Nachempfinden in der Schrift sucht er einen Zugang zu dem für ihn Unbekannten. Diesem praktischen und zugleich empfindsamen Vorgang hat Herold, der sich selbst als Dokumentar-archäologe bezeichnet, weitere Arbeitsschritte zugrunde gelegt: Er hat recherchiert, dokumentiert, Material geordnet und für die Ausstellung ausgewählt. Aus dem ausgewählten Material hat er seine Cyanotypien entwickelt, welche in einem fotografischen Verfahren mittels einer chemischen Reaktion hergestellt werden. Sie zeigen Idealvorstellungen auf, unterschiedliche Entwürfe des Paradieses auf Erden. Szenen des Privaten, Visionen vom Eigenheim, aber genauso Schauplätze des Öffentlichen, gesellschaftliche Ideologien sind erkennbar. Durch seine Bildsprache, bedingt durch Motivik und Herstellungsverfahren, lässt Jörg Herold analog zu paradiesischen Vorstellungen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmen. 100 Papierarbeiten deshalb, weil das Paradies entgegen dem hundertsten Namen Gottes gedanklich zu fassen ist. Seine Quellen für Dschanna hat Jörg Herold hauptsächlich in der Kontroverse zwischen Deutschland und der arabischen Welt sowie in seinen eigenen Erfahrungen und dem Material gefunden, welches er während seiner Reise nach Jordanien gesammelt hat. Dschanna stellt also Herolds Versuch dar, zu einem Verständnis zu gelangen. „Denn es geht ihm um die Überwindung religiöser Konflikte und das kulturelle Gedächtnis der Menschen.“