Mit Zwielicht zeigt die G2 Kunsthalle die erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland der brasilianischen Malerin Marina Perez Simão (*1980). Simãos Werk ist geprägt von intensivem Kolorit, das durch einen expressiven und weichen Duktus bewegliche Farbflächen bildet, die im Zusammenspiel fluide, dynamische Landschaften ergeben. Dem Werk Simãos wohnen zwei Grundfeste der physikalischen Welt inne: Bewegung und Licht.
Die Bilder Simãos sind abstrakte Malereien, die eine Vielzahl von Assoziationen hervorrufen. Das Zusammenspiel aus Fläche, Linie und Farbe spricht unmittelbar die Wahrnehmungen an und stimuliert die Sinne der Betrachtenden. So fungieren die Werke als eine Kommunikation abseits von uns vertrauter Sprache. Dabei bilden die einzelnen Bildelemente das Vokabular und das Werk als Ganzes das Grundgerüst einer neuen Sprache. Auf Grund ihrer offenen Gestaltung lassen die Werke Simãos aber auch figurative Assoziationen zu und spielen mit kunsthistorischen Epochen. Die Farbflächen Simãos wölben, füllen und leeren sich wie atmende, organische Systeme. Gleichzeitig ziehen sich die Formen wie Landschaften über die Leinwand. Gebirgskettenartige Züge zeichnen einen Horizont, Himmelskompositionen oder Momente, die an Wege, Seen oder Felder erinnern. Es bilden sich Szenerien, die an klassische Landschaftsdarstellungen der Kunstgeschichte angelehnt sind.
Simão lässt immer wieder neue Räumlichkeiten in den Bildern entstehen. So bilden wellenartige Formen, die kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen scheinen, mitunter höhlen- oder felsennartige Raumkonstruktionen. Dabei lassen sich die Landschaften als Metaphern für innere Landschaften, zusammengesetzt aus Gefühlen und Emotionen verstehen und mit eignen biographischen Inhalten füllen.
Simão fügt ihren Darstellungen eine universelle Raum- und Zeitkomponente hinzu. Die Elemente schwingen und fließen in- und auseinander. Simãos gezielter und intensiver Ductus lässt den Inhalt ihrer Farbflächen beschleunigen: Gleich den Umrissen eines bewegten Objekts verschwimmen die Silhouetten zu unscharfen Schlieren.
Dabei vermischen sich verschiedene Farbtöne zu voluminösen Farbkörpern. Diese Farbspektren bilden die zweite fundamentale Komponente in Simãos Werk: Licht. Es scheint so, als ob eine inhärente Lichtquelle die Bilder zum Leuchten bringt. Somit eröffnen sie auch Assoziationen zu christlichen Ikonenbildern, die durch Blattgold ein göttliches Licht imitieren wollten, das sich vom uns umgebenden Licht absetzt oder zu Bleiglasfenstern in sakralen Kirchenbauten.
Dabei zeigt Simão ambivalente Lichtstimmungen: Zwischen strahlender Leuchtkraft und in Dämmerung liegendem Zwielicht mäandert die Atmosphäre innerhalb der Bilder und unter den Landschaften, die die Bilder in der hiesigen Ausstellung erzeugen. So scheint in dunkleren Passagen ihrer Werke das fehlende Licht Konturen zu schlucken, sodass eine diffuse Masse entsteht, die Inhalte vermischt und vereinnahmt. Ähnlich dem Prinzip der Dämmerung verlieren sich die klaren Konturen in Simãos Werk in einer undefinierbaren Materie und dienen als Projektionsfläche für eigene Imaginationen. Innerhalb eines Werks können verschiedenen Stimmungströmungen wahrgenommen werden. So kontrastiert Simão helle mit dunklen, warme mit kalten und harte mit weichen Elementen. Diese Kontraste lassen sich auf grundlegende Dualismen der Natur beziehen: Leben und Tod, Bewusstsein und Unterbewusstsein, Licht und Dunkelheit, Dynamik und Statik.
Marina Simãos Malereien sind eine Symbiose aus archaischer Materialität, kunsthistorischen Verweisen sowie gegenwärtigen Erfahrungen und fungieren als allegorische Projektionsfläche für Emotionen, Gefühle und Narrative. In Verbindung mit der systematischen Verwendung wiederkehrender Elemente erzeugt Simãos Werk eine poetische Kraft, die universal lesbar ist.