In der Geschichte der Literatur ist der Realismus mit Sicherheit die beliebteste Romanform der Leser. Sie brach nicht nur das Eis des Vorurteils, Literatur sei für gebildete Menschen geschaffen, sondern brach auch neue Wege zu unendlichen Gebieten unserer wahrhaften Existenz auf. Mitte des 19 Jahrhunderts ergab sich aufgrund der Wandlung der Gesellschaft das Bedürfnis, das Leben der Bürger in einer anderen Form erzählen zu können. Die Schriftsteller dieser Zeit hatten viele Perspektiven und Realitäten zu beschreiben, ob harte oder glückliche Schicksale, Frieden oder Krieg, Wohlstand oder Armut, Vergnügen oder Schmerz, waren die gespalteten Bilder der Gegenwart eine Art Antrieb für die künftigen Texte, deren Seele das eigene Glück oder Schmerz des Volkes war.
In diesen Zeilen werden wir keine wichtigen Werke zusammenfassen, evtl. ein paar nennen, jedoch die Motivationen, Erzählkraft und Thematik untersuchen. Ab 1880 bis zum Ende der Weimarer Republik wurden im Deutschen Reich unzählige Romane veröffentlicht. Die Kunstschreiber beschäftigten sich mit der Darstellung vielfältiger Alltagssituationen, beispielsweise: das Stadtleben, die Ausbreitung neuer städtischer Alltagsrealitäten, das Arbeiterleben, das adlige Leben, und die Wendungen nach dem Ausbau der Industriellen Revolution (gerade ab 1850 in Westeuropa). Letzteres bereicherte die Phantasie der Autoren, indem sie über die Miseren der Bevölkerung berichteten, und zwar nicht nur über Armut, sondern auch über gesellschaftliche Phänomene wie die Migration in die Großstadt und ihre langfristige Entwicklung. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass der aus den deutschen Literaturepochen hervorgegangene Naturalismus nicht im Jahre 1900 abrupt endet. Die nachfolgende Epoche, Die neue Sachlichkeit, in der Theorie bis 1933 vertreten, untersuchte ausschließlich die gleichen Themen bis auf die Inflation – Folge der Wirtschaftskrise 1929 – und die Bezauberung von Technik und Industrialisierung. Einer der wichtigsten Autoren war zweifellos Gerhart Hauptmann, dessen Werk und Name im deutschsprachigem Raum relativ unwichtig geworden ist, obwohl seine Figuren, Beschreibungen und kritische Perspektive als Ursprung des Naturalismus gelten.
Die neue Dichtungsart in der Prosa, um das wahre Leben darstellen zu können, sollte ein neues Format erhalten, dessen Ursprung nichts anderes als einen vertieften Blick ins Deutsche Reich hineinwerfen lassen sollte. Gerade ab dieser Zeit erlitten die großen Städte des Deutschen Reichs eine massive Zuwanderung vom Lande, denn die neue Technologie, die Massenabfertigung und das Aufblühen der Industrie führten zu einer neuen Bevölkerungsschicht, die nichts besaß und lohnabhängig war; das sogenannte Proletariat. Diese Schicht nahm um 1900 zu, als die - so von Sozialwissenschaftlern betrachtet – zweite Industrielle Revolution in Gang kam, alle Prognosen zerschlug und eine Welle von wirtschaftlich besonderen Ereignissen mit sich brachte, bei denen Lohnarbeiter den Künstlern die wahren Grundgedanken ihrer Existenz mitten im sozialen Kern überreichen konnten. Da das neue Format ein breites Spektrum an Ideen und eine neue Thematik beinhaltete, schufen die Kunstschreiber selbst ihr eigenes Handlungskonzept in dem sie selbst das Leben, Freude, Ungnade und Alltag der neuen Sozialschicht erkunden mussten.
Eine weitere Charakterisierung der Literaturwandlung stellte völlig neue psychische Bürgerprofile dar, deren Entstehung an soziale Probleme verweist. Ganz egal, ob am Potsdamer Platz oder in einer dunklen Kneipe eines armen Viertels, spielte sich dort immer wieder etwas Neues ab; die Verwandlung der Bürger und der Stadt spürte man in jedem Herzschlag überall im Lande. Die Migration in die Großstadt verursachte eine explosive Zusammenlegung von Armut und Reichtum mit dem bedenklichen Nachteil eines sozialen Ungleichgewichts. Durch den Wohnungsmangel und die unvorbereiteten Räume für die vom Lande Zugezogenen entstand ein Wirtschaftsphänomen, dessen Gang auf dem ersten Blick unauffällig verlief, das sich aber durch die Jahre als wahres Erbgut der künftigen schriftstellerischen Werke behaupten ließ. Die in vielen Fällen wirkliche Entwicklung des neuen städtischen Menschen, vom Positiven zum Negativen und umgekehrt, wurde zum Schwerpunkt der Analyse bei vielen Autoren.
Den Wert dieser neuen gesellschaftlichen Landschaft stellten Autoren wie; Ludwig Renn, Hermann Hesse, Georg Grabenhorst, Erich Kästner, Alfred Döblin und Erich Maria Remarque hervorragend dar, denn sie bevorzugten als Thematik sowohl die aktuellen Elemente des neuen gemeinsamen Raumes, als auch die Folgen des Ersten Weltkrieges. In diesem Sinne strahlte die Literatur der Weimarer Republik ein Gefühl aus, das alle Deutschen mehr oder weniger, direkt oder indirekt, hart oder leicht, getroffen hatte.
In diesen Büchern finden wir einen „gemeinsamen Nenner“; die Stadt als Gesellschaftsbild. Ein Ort, in dem sich individuelle Perspektiven, unterbewusste Wünsche, Abgrenzung aufgrund der Armut und eine tendenzielle Neigung zur Kriminalität abgespielt haben. Da Romane den Gesetzen der Erzählkunst folgen, spielten oft die darstellenden Milieus die Rolle echter Großstädte und ihre Wirklichkeit, um einen sozialkritischen Beitrag zu dem Verstand der Leser zu leisten.