Eine Journalistin wagt sich in Lush Reeds in verstörende und unwirtliche Gebiete zwischen dem städtischen und ländlichen China, um die chinesische Realität und ihre Widersprüche zu ergründen.
Lush Reeds (之 子 于 归, China, 2018), der zweite Spielfilm von Yang Yishu (杨 弋 枢), wurde auf dem Vancouver International Film Festival gezeigt und erzählt die Geschichte der Xiayin (Huang Lu), Kolumnistin einer Zeitschrift in der Metropole Nanjing, am Ufer des Jangtse. Still, nachdenklich und idealistisch besteht Xiayin darauf jene "sensiblen" Themen zu behandeln, ihrer Intuition zu folgen und die Warnungen ihres Verlegers in den Wind zu schlagen. Als ein verarmter Bewohner aus dem Umland versucht ihr Hinweise auf massive Umweltverschmutzung in der Nähe seines Dorfes zu geben, ergreift Xiayin die Initiative. Aber die Wege zur Wahrheit werden ihr versperrt. Darüber hinaus belastet sie der Selbstmord ihres ehemaligen Mitarbeiters noch immer.
Unzufrieden beschließt Xiayin angesichts der Nachlässigkeit und Karriereambitionen ihres sozialen Umfelds alles zu riskieren und dem Hinweis zu folgen. Sie unternimmt eine Recherchereise in jene ländliche Region, die sich für sie in eine üppige, dichte und traumhafte Landschaft voller Gefahren und verstörenden Eindrücken im Dickicht der Schilflandschaft. Während sie durch die Landschaft wandert, vermischen sich ihre Erinnerungen mit intensiven Begegnungen, sie trifft ein mysteriöses Mädchen, das ihre eigene Kindheit oder aber ihre ungeborene Tochter zu verkörpern scheint. Der unangenehmen Begegnung mit Schlägern die sie bedrohen und daran hindern dem Hinweis nachzugehen, folgt ein verwirrender nächtlicher Ausflug, der auch ihr ungeborenes Kind in Gefahr bringt.
Yang Yishu porträtiert eine Frau mit ihren innersten Wünschen und Ängsten. Umgeben von oberflächlichen Charakteren taucht ihre Figur nicht nur in das Dickicht der Natur ein, sondern findet sich wieder gefangen in der Symmetrie fester sozialer Rahmen und Bilder, die so das Gefühl von Beklemmung vermitteln. Zu den für das Psychothriller-Genre typischen Spannungselementen fügt die Regisseurin eine Reihe von Symbolen hinzu und baut sie über den Film hinweg auf. Aber was zeichnet Lush Reeds aus? Als Kunstwerk ist es eine Tautologie und ist buchstäblich reich an Schilf und öffnet sich der breiten Interpretationen verschiedener Metaphern, um die Komplexität und Dichte der vielfältigen Phänomene zu beschreiben, die das Leben im heutigen China prägen und sich im Unterbewusstsein der Figur spiegeln.
Ein wichtiges Element in Lush Reeds sind die verschiedenen Szenen der zeitgenössischen chinesischen Realität, die auch das Gefühl innerer Leere suggerieren: Model-Wettbewerbe für Mädchen in Einkaufszentren, die beruflichen Perspektiven für Beamte und Akademiker oder die einfache Sehnsucht nach Konsum, das Alte gegen das Neue und Makellose verwerfen, ohne die eigene Vergangenheit und Identität zu reflektieren oder zu würdigen. Dies sind die Elemente, die diese ausgereiften Film inmitten rascher Veränderungen der Realität auszeichnen und an Yangs ersten Film Who is Haoran anknüpfen lassen. In Who is Haoran beleuchtet sich die Regisseurin mit geringen technischen Mitteln das schulische Umfeld in China.
Yang Yishu ist eine kühne und unabhängige Regisseurin und Dozentin. Ihre früheren Dokumentarfilme sind voll kompromissloser filmischer Intelligenz mit starkem Einfühlungsvermögen für die in chinesischen Medien und Mainstream-Kino marginalisierten Chinesischen. Ihre diskrete und intensiv reflektierte Herangehensweise enthüllt träumerische und voll sanfter Schönheit und ausgesprochen ruhigen Filmbildern die tiefsten Wünsche ihrer Figuren und wirft zugleich Fragen nach dem moralischen Zustand der heutigen chinesischen Gesellschaft auf.
Basierend auf dem Text von Shelly Kraicer über Lush Reeds.