68projects freut sich, mit Story As A Woven Carpet eine Gruppenausstellung von sieben im georgischen Tiflis lebenden und arbeitenden Künstlerinnen zu präsentieren. Die Ausstellung besteht aus kulturellen Fragmenten und widmet sich neuen Narrativen, die in den Werken der jungen Künstlerinnen konstruiert werden. Georgien wird in der Geschichte schon immer exotisiert, von den Griechen der Antike bis hin zu Reiseberichten aus dem 20. Jahrhundert. Was andere über das Land gesagt haben und meinen, wurde in georgischen Lehrbüchern gesammelt und über Generationen gelehrt. Die an dieser Ausstellung teilnehmenden Künstler*innen erzählen Geschichten aus ihrer eigenen Perspektive. Sie vertreten die Generation, die vielleicht mit dem Prozess begonnen hat, ihre eigenen Geschichten zu erfinden und zu erzählen, ähnlich wie in Demna Gvaalias Ausstellung SS19 in Paris.
Diese georgischen Künstler*innen des 21. Jahrhunderts finden ihre kulturellen und visuellen Referenzen im Internet und auf dem Computerbildschirm. Sie greifen auf Information zu, ohne auf physische Grenzen zu achten, und entdecken neue Arten, Dinge zu sehen und zu erschaffen. Für sie steht alles gleichzeitig zur Verfügung, auf dem Bildschirm, ganz ohne die Zeitevolution, wie sie in der Kunstgeschichte erklärt wird, und sie folgen keinen traditionellen Kanons von gut und schlecht. Allerdings lassen sie sich von ihrer direkten Umgebung inspirieren und ihre Arbeit ist weniger abgekoppelt von der örtlichen Tradition, als dies auf den ersten Blick scheint.
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf Nino Kvrivishvilis gleichnamige Arbeit in unserer Ausstellung. Die Künstlerin fertigt handgewebte Wandteppiche aus Wolle an, die großformatigen Gemälden ähneln. Vor der Einführung der Textilindustrie wurden in fast allen Regionen Georgiens Teppiche gewebt. Die Geschichte der Wolle, des Materials, das sie verwendete, um die Arbeit zu schaffen, ist Zeugnis einer Geschichte aus dem echten Leben: Nino Kvrivishvili erwarb ein Stück eines alten Teppichs von einem tuschischen Schafhirten, der es verkaufte, um einen Nabidi kaufen zu können, eine Art Winterfilzmantel, die Schafhirten im Winter in den Bergen tragen. Außerdem kaufte sie dem Schafhirten Wolle ab, mit der sie die Geschichte mit abstrakten Elementen in ihren Teppich einwebte. Der handgewebte Teppich mit schwarzen abstrakten Details sowie dem Namen der Künstlerin und dem Datum seiner Fertigstellung erzählt davon, wie er geschaffen wurde.
Tezi Gabunias Werk Breaking News: Flooding of the Louvre sind Fake News, die wahr sein könnten. Naturkatastrophen, die immer stärker mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden, haben den Louvre erreicht, eine Reaktion auf die Überschwemmungen in Paris 2018. Der Künstler verwendet das Louvre-Modell aus seiner früheren Arbeit Put Your Head into Gallery, wo die Betrachterinnen ihren Kopf in die Modelle berühmter Museen steckten, die der Künstler in seinem Atelier nachgebaut hatte. Indem er das Modell flutet, das auch sein eigenes Kunstwerk ist, setzt sich Gabunia mit dem Thema kultureller Überreste und der Frage des Recyclings auseinander. Das Fluten des Louvre erzählt von einer Nachrichtenkultur und unserer fluktuierenden Wahrnehmung von Katastrophen, von denen wir durch die Medien erfahren. Die Arbeit wird von einem Video mit dem Titel Breaking News begleitet. Das Video zeigt, wie das Wasser langsam in die Räume des Louvre fließt, so dass die Betrachterinnen zusehen können, wie das Innere des Museums nach und nach zerstört wird. Die Wirkung ist überzeugend, bedrohlich und fake.
Tamar Nadiradze lässt sich ständig von ihrer Umgebung und den Menschen darin inspirieren, obwohl sie, wie sie kürzlich in einem Interview behauptet hat, vor allem sich selbst als ihre wichtigste Inspirationsquelle betrachtet. Die Arbeiten der Künstlerin basieren auf Geschichten aus dem wahren Leben, die in märchenhafte Aquarellzeichnungen und Collagen verwandelt werden. Sie lassen sich mit Bilderbuch- beziehungsweise Märchenillustrationen vergleichen. Tamar Nadiradze setzt sich mit Themen des urbanen Lebens, gesellschaftlicher Verhaltensweisen, Ökologie und Menschenrechten auseinander, aber indem diese durch das Prisma ihrer Vision dargestellt werden, sind die Ergebnisse merkwürdig, überraschend und ein wenig verstörend.
Levan Chelidze malt eine eklektische Mischung von Portraits – sowohl von Menschen als auch von Tieren –, Stillleben und Landschaften der georgischen Region Racha. In einem Zeitalter, in dem fast jeder eine Kamera in seinem Smartphone hat und viele Künstler*innen auf Fotografien als Grundlage von Portraits zurückgreifen, verfolgt Chelidze einen traditionellen Ansatz: Er verlangt, dass die Portraitierten für ihn posieren. Es gelingt ihm meisterhaft, ihre Gesichtszüge einzufangen. Aber er spielt auch mit Wahrnehmungen, indem er ihre „echte“ Form, wie er sie sieht, vor einem imaginären Hintergrund platziert. Was die Portraitierten in seinen Bildern tragen – oder manchmal auch nicht tragen – entstammt ebenfalls Chelidzes Fantasie und nicht unbedingt der Wirklichkeit. Die Figuren in seinen Gemälden sind meist schön, sexy und nobel. Er malt Menschen, die er bewundert. Chelidzes Portraits können unfertig wirken, und manchmal sind sie das auch. Wenn jemand nicht zu einer zweiten Sitzung erscheint, dann war es das – er beendet das Portrait und malt stattdessen den Hintergrund. Das gibt seinen Arbeiten eine entwaffnende Ehrlichkeit, sie werden emotional freier und weniger formell.
Giorgi Qochiashvilis imaginäre Landschaften und Interieurs sind häufig von dunkelhäutigen Menschen bevölkert. Bald nach seiner Geburt in Gagra, Abchasien, einer abtrünnigen Region in Georgien, floh Qochiashvilis Familie vor dem Krieg in der Region. Seine tropischen Landschaften basieren auf Familienfotos und der nostalgischen Sehnsucht seines Großvaters nach der verlorenen Heimat in Gagra. Als früherer Rugbyspieler ist Qochiashvili nach Südafrika gereist und hat die dortige Natur und die Menschen in Südafrika mit seiner Heimat Abchasien identifiziert, die er nie besuchen durfte. Das Ergebnis ist die surreale Verträumtheit und Farbgebung seiner Malerei.
Unerwartete Kombinationen aus Beton, Bodenfliesen, Strickfäden und Textilien führen zu dramatischen Kontrasten zwischen den Bildern und den Materialien, die Salome Chigilashvili zu deren Herstellung verwendet. Die Künstlerin webt buchstäblich Muster traditioneller kaukasischer Teppiche in Bodendielen ein. Ihre in der Ausstellung gezeigte Arbeit Untitled (2019) ist ein mit weißem Faden besticktes braunes Papier. Saul Anton schreibt über Chigilashvili, dass „ihre Technik eine zurückhaltende Moderne des armen Menschen im 21. Jahrhundert erschafft. ... Ihre Arbeit ist bezeichnend für Georgiens aktuelle Situation, als ein Land voller junger Leute, die in die Zukunft blicken, aber eine uralte Geschichte und Kultur haben, der sie nicht entfliehen können“.
Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind Andro Eradzes Fotografien aus der Serie Fireworks, die eine bunte Explosion in einem Nachthimmel zeigt. Die Fotografien befinden sich in Rahmen aus Holz, deren „schützende“ Verglasung zerstört ist, als würde das Feuerwerk tatsächlich auf dem Bild explodieren. Indem er das Glas beschädigt, verwandelt Andro Eradze seine Fotos von bloßen Bildern in Wandskulpturen oder Objekte mit faszinierender Wirkung.